Die meisten 10-Jährigen wollen die gleichen Dinge: lernen, spielen, sich sicher fühlen. Aber für Millionen von Kindern, die in Syrien aufwachsen, wurden diese einfachen Freuden durch ein Jahrzehnt des Krieges gestohlen.
Im März 2021 erreicht Syrien einen düsteren Meilenstein. Die akute humanitäre Notlage, die das Land seit 2011 bestimmt, verschärft sich, während der endlose Konflikt immer weiter voranschreitet. Unter den 6,7 Millionen Binnenflüchtlingen befinden sich schätzungsweise 2,5 Millionen Kinder. Sie haben Schreckliches erlebt. Alles, was ihnen vertraut war, hat sich in einem Augenblick verändert - oft mehr als einmal.
Syrische Kinder haben Jahre der Schulbildung verpasst. Bildung gibt ein Gefühl von Stabilität und Vorhersehbarkeit, stärkt die Widerstandskraft und bildet die Grundlage für eine selbstbestimmte Zukunft.
Ihre Eltern wollen, dass der Krieg endet, damit sie ihren Kindern bessere Chancen bieten können. Die Kinder wollen nach Hause zurückkehren, ihre Schulbildung fortsetzen und Zukunftspläne schmieden. Sie träumen davon, Ärzt*innen, Architekt*innen und Fußballer*innen zu werden. Erfahren Sie, welche Dinge diesen 10-Jährigen besonders am Herzen liegen, wie sie die Vertreibung aus ihrem Zuhause empfunden haben und an welchen Hoffnungen sie festhalten.
Kinder so alt wie der Krieg
Tareq
Der zehnjährige Tareq liebt Fußball, hat Angst vor der Dunkelheit und findet Trost in den Umarmungen seiner Mutter. Tareq und seine Familie wurden durch ständigen Beschuss gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen und wurden bereits dreimal vertrieben.
Mit jedem Umzug von Tareqs Familie musste er die Schule wechseln. „Früher in unserem Dorf war er ein hervorragender Schüler. Eigentlich wäre er in der sechsten Klasse, aber jetzt ist er im Rückstand“, sagt seine Mutter Muna.
Muna hat über IRC einen Job in der Olivenernte bekommen, um ihre Familie zu unterstützen. Dieser Job ist Teil des IRC Projekt „Cash-for-Work“ im Nordwesten Syriens.
Trotz der Herausforderung, in einem Jahrzehnt des Krieges aufzuwachsen, bleibt Tareq optimistisch. „Meine Freunde und ich lernen zusammen für unsere Prüfungen“, sagt er. „Meine größte Hoffnung im Leben ist es, Arzt zu werden - oder Fußballer.“
Die Zwillinge Aisha und Ali
Auch Aisha und Ali wurden in ihrem ersten Lebensjahrzehnt mehrmals vertrieben. Jedoch konnten sie mit ihrer Familie in das Heimatdorf zurückkehren. „Am Anfang haben wir sehr gelitten, aber jetzt ist es besser“, erzählt Vater Hassan. Ihr Haus ist noch immer durch einen Luftangriff beschädigt.
Im Rahmen eines IRC-Projekts zur Entwicklung kurzfristiger Arbeitsmöglichkeiten hat Hassan bei der Renovierung einer Klinik geholfen. Das Schwierigste für ihn als Vater, sagt er, ist es, einen sicheren Ort für seine Familie zu schaffen. „Es gibt kein Einkommen und die Lebenshaltungskosten sind sehr hoch.“
Die Zwillinge haben einige Jahre Unterricht verpasst, aber jetzt sind sie wieder in der Schule. „Wenn ich groß bin, möchte ich Ärztin werden, damit ich Kinder behandeln kann“, erzählt Aisha. Ali, der auf einem Auge blind geboren wurde, will sich auch für seine Mitmenschen einsetzen. „Wenn ich älter bin, möchte ich Hilfsgüter an Menschen verteilen“, sagt er. „Ich möchte ein gutes Leben haben und arbeiten, um Menschen zu helfen.“
Hassan und seine Frau bemühen sich, ihre Kinder bei Laune zu halten. „Wir versuchen, ihnen die Angst vor dem Krieg zu nehmen“, erklärt er. „Wenn Kinder sehen, dass ihre Eltern Angst haben, bekommen sie selbst mehr Angst.“
Trotz der Nöte der Familie hat Hassan große Hoffnungen für die Zukunft seiner Kinder. „Ich hoffe, dass sie zu fleißigen und guten Menschen heranwachsen und eine große Zukunft in der Gesellschaft haben.“
Sara
„Ich lerne gerne, damit ich die besten Noten in meiner Klasse bekomme“, sagt Sara. „Wenn ich groß bin, möchte ich Ärztin werden.“
Sara und ihre Familie sind in sieben Jahren 14 Mal umgesiedelt worden. „Am Anfang hatten die Kinder damit große Schwierigkeiten, aber jetzt kommen sie zurecht“, sagt Vater Emad. Saras sehnlichster Wunsch ist es, in das Haus der Familie in Ghouta, einem Vorort der Hauptstadt Damaskus, zurückzukehren.
„Meine Töchter haben drei Jahre Schule verpasst“, sagt Emad. „Sara ist zehn Jahre alt und geht in die dritte Klasse. Sie sollte in der sechsten Klasse sein.“
Emads wünscht seinen Kindern Erfolg, für die Zukunft bessere Lebensbedingungen und ein eigenes Haus. Doch die Zukunft in Syrien ist ungewiss. „Ich bin stolz auf meine Kinder.... Gott sei Dank sind sie gute Schüler*innen, auch wenn sie ein paar Jahre verpasst haben.“
Omar
„Ich kann schwimmen und mache das genauso gerne wie ich Fahrrad fahre“, sagt Omar. Er ist auch begeistert vom Lernen, obwohl die Flucht seine Schulbildung beeinträchtigt hat – sogar noch mehr durch die COVID-19-Pandemie. Aber Omar ist sehr klug, sagt seine Mutter Sundus. „Er stellt immer Fragen und vergisst nichts.“
„Wir dachten, wir wären nach zwei Tagen wieder zurück, also nahmen wir nur die Kleidung mit, die wir anhatten“, erinnert sich Sundus an den erzwungenen Umzug der Familie. „Aber dann gerieten wir unter Beschuss und konnten nicht mehr zurück. Das war vor zwei Jahren.“ Omars Mutter Sundus hätte sich nie vorstellen können, dass ihre Familie zu Binnenvertriebenen werden würde - oder dass sie noch zwei weitere Male umziehen müssten.
Jetzt will Sundus, dass ihre Kinder den schulischen Rückstand aufholen und ihren Abschluss machen. „Früher haben wir auf unserem eigenen Grundstück gelebt“, sagt sie. „Alles war für uns verfügbar. Jetzt haben wir keine anständige Unterkunft. Unsere Familie ist gewachsen und damit auch unsere Ausgaben.“
Sundus arbeitet als Olivenpflückerin, um ihre Familie zu unterstützen. Bis sie nach Hause zurückkehren können, stehen sie einander zur Seite. „Wenn wir zusammen sind, reden wir immer darüber, wie wir uns gegenseitig helfen können", sagt sie. Auch der junge Omar will seinen Teil dazu beitragen. „Ich möchte Fisch verkaufen, wie mein Vater“, sagt er. „Ich will das tun, weil es unser Beruf ist - und ich liebe es, Fisch zu essen und ihn auch zu fangen!“
Salam
„Ich träume davon, ein schönes und glückliches Leben zu führen, ohne Beschuss, ohne Töten und ohne Krieg“, sagt Salam. Ihre Mutter Ruba konnte ihre Familie durch Herstellung von Seife im Rahmen des Seifenherstellungsprojekt von IRC und FCDO unterstützen und ihre Gemeinde vor COVID-19 schützen. „Das Wichtigste für mich ist, meinen Kindern beizustehen.“
Rubas Tochter Salam hat viel Schulunterricht verpasst. Trotzdem scheint die 10-Jährige weise für ihr Alter. „Ich möchte der Welt sagen, dass man sich gegenseitig lieben, die Älteren respektieren und freundlich zu den Jungen sein soll.“ Ihre Mutter schließt sich den Worten ihrer Tochter an. „Familien sind voneinander und von ihren Häusern getrennt“, beklagt sie. „Ich hoffe, dass die Menschen wieder vereint werden und dass das Gute siegt.“
In der Zwischenzeit arbeitet Salam geduldig auf ihr Ziel hin. „Am liebsten zeichne ich“, sagt sie. „Ich möchte Architektin werden.“
Unsere Arbeit im Nordwesten Syriens
Seit 2012 ist IRC in Syrien vor Ort. Wir unterstützen derzeit 15 Gesundheitseinrichtungen und 11 mobile Kliniken im Nordosten Syriens. Im Jahr 2020 erreichten wir über 227.000 Menschen in Flüchtlingslagern, Städten und ländlichen Gemeinden.
Als Reaktion auf die Pandemie hat IRC seine Gesundheitsdienste ohne Unterbrechung fortgesetzt sowie COVID-19-Präventions- und Kontrollmaßnahmen einbezogen. Wir schärfen das Bewusstsein für die Pandemie durch Aufklärungsarbeit in den Gemeinden.
Zusätzlich zur Gesundheitsversorgung bietet IRC ein umfassendes Paket an Schutzdiensten an, darunter Fallmanagement und psychosoziale Unterstützung für Überlebende von Gewalt und Missbrauch, sichere Orte für Frauen und Kinder sowie Programme zur Stärkung von Frauen. Zudem bieten wir Rechtsberatung für Binnenvertriebene und Flüchtlinge, Bargeldhilfen für gefährdete Menschen sowie Jobtrainings zur Sicherung des Lebensunterhalts an.
Dieser Beitrag wird durch das Foreign, Commonwealth and Development Office (FCDO) des Vereinigten Königreichs finanziert. IRC führt ein vom FCDO finanziertes „Cash-for-Work“-Projekt im Nordwesten Syriens durch, bei dem Syrer*innen Arbeitsmöglichkeiten erhalten sowie Bargeldzuschüsse zur Deckung des Grundbedarfs.