Ein Jahrzehnt Krieg: Zehn Stimmen aus Jemen
Millionen Menschen überleben eine humanitäre Krise in Jemen. Diese Fotostory erzählt ihre Geschichte.
Millionen Menschen überleben eine humanitäre Krise in Jemen. Diese Fotostory erzählt ihre Geschichte.
Nach zehn Jahren Krieg durchleben Menschen in Jemen nicht nur eine humanitäre Krise – sie kämpfen täglich um ihr Überleben. Die Wirtschaft liegt am Boden, Millionen sind vertrieben und das Gesundheitssystem steht vor dem Kollaps. Über 19 Millionen Menschen ringen täglich darum, ihre grundlegenden Bedürfnisse zu sichern. Die humanitäre Hilfe bricht zusammen, während Familien den Zugang zu lebenswichtiger Unterstützung verlieren.
Die Mittelkürzungen für humanitäre Hilfe haben drastische Folgen: weniger Nahrungsmittelhilfe, schrumpfende Medikamentenvorräte und kaum noch Möglichkeiten für Familien, ein Einkommen zu sichern. Immer mehr Menschen riskieren ihr Leben auf gefährlichen Wegen durch Konfliktzonen, um an sauberes Wasser zu gelangen. Cholera, Mangelernährung und vermeidbare Krankheiten breiten sich weiter aus. Die Ernährungskrise spitzt sich zu. Ohne langfristige Hilfe eskaliert die Krise weiter und trifft vor allem Gebiete, die besonders stark unter den Folgen des Krieges leiden.
Lerne zehn Menschen aus Jemen kennen. Ihre Geschichten erzählen von Angst, Entschlossenheit und dem täglichen Überleben im Schatten eines zehnjährigen Krieges.
„Unser Leben hat sich völlig verändert, als wir vertrieben wurden“, erzählt Narmin. „Wir mussten unser sicheres Zuhause verlassen und leben jetzt in einer Notunterkunft, in der wir uns täglich unsicher fühlen. Seitdem fehlt mir jedes Gefühl von Stabilität – auch für meine Familie. Die Angst ist allgegenwärtig.“
Seit ihrer Vertreibung lebt Narmin in der Notunterkunft Al-Qutaysh, wo ihre Familie Unterstützung von IRC erhält. „Die Unterstützung hat einiges erleichtert. Ohne sie hätten wir kaum eine Chance. Vermutlich müssten wir betteln oder andere verzweifelte Wege gehen, um zu überleben.“
Nach zehn Jahren Konflikt wünscht sich Narmin, dass die Welt versteht, wie es ist, ohne das Nötigste und ohne Sicherheit zu leben. Ihre größte Hoffnung ist, dass der Krieg bald endet, damit ihre Familie in Frieden nach Hause zurückkehren kann.
„Vor dem Krieg hatte ich eine Arbeit, mit der ich meine Familie versorgen konnte. Doch der Konflikt hat uns alles genommen“, sagt Abdulnasser. „Ich erinnere mich noch genau an den Moment, als ich zum ersten Mal den Lärm des Krieges hörte – ein Geräusch, das ich nie vergessen werde. In diesem Moment spürte ich eine Angst, die ich vorher nicht kannte. Wir verloren unser Zuhause, unsere Lebensgrundlage und vor allem das Gefühl von Sicherheit.“
Dank der Unterstützung durch die Gesundheitsdienste von IRC bekam Abdulnassers Familie trotz der Krise Zugang zu medizinischer Hilfe.
„Das Leben in dieser Notunterkunft ist ein täglicher Kampf – ohne Privatsphäre, ohne Sicherheit“, sagt er. „Die Unterstützung hat vieles erleichtert, aber die Angst bleibt. Ich will einfach wieder sicher sein. Dieser Krieg hat uns alles geraubt. Für meine Kinder hoffe ich, dass er bald endet.“
„Ich hätte nie gedacht, dass unsere Vertreibung so lange dauern würde“, erinnert sich Haifa. „Wir ließen unser Zuhause, unser Vieh – alles, wofür wir gearbeitet hatten – zurück in der Hoffnung, bald zurückkehren zu können. Doch Jahre vergingen und wir verloren nicht nur unser Zuhause, sondern auch unsere Existenzgrundlage.“
In Al-Dhale’e nahm Haifa an dem Programm „Cash for Work” von IRC teil. Dieses Programm hilft vertriebenen Jemenit*innen, ein Einkommen zu erzielen und ihr Leben neu aufzubauen. „Ich schloss mich dem Projekt an, um mein Leben nicht nur finanziell, sondern auch emotional wieder aufzubauen“, sagt sie. „Neue Fähigkeiten zu lernen gab mir Hoffnung. Ich sah darin auch eine Chance, Arbeit für meinen Mann zu finden.“
Diese Unterstützung half Haifas Familie dabei, wieder unabhängig zu werden. Haifa betont, wie wichtig solche Chancen auch für andere sind. „Mein größter Wunsch ist es, meinen Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen“, sagt sie. „Wir brauchen Frieden, damit Familien wie meine würdevoll leben und neu anfangen können.“
„Vor dem Krieg führte ich ein stabiles Leben. Doch mit dem Krieg bekam ich schwere psychische Probleme. Ich konnte weder arbeiten noch für mich selbst sorgen“, erinnert sich der 39-jährige Mohammed. „Ohne regelmäßigen Zugang zu meinen Medikamenten verschlechterte sich mein Zustand weiter.“
Mohammed ist einer von Tausenden Jemenit*innen, die mit den psychischen Folgen des andauernden Krieges kämpfen. Dank der psychosozialen Unterstützung und der Versorgung mit wichtigen Medikamenten durch IRC fasst er neuen Mut. Schritt für Schritt baut er sein Leben wieder auf.
„Die mentale Unterstützung von IRC hat mein Leben verändert. Jetzt kann ich wieder arbeiten und meine Familie unterstützen“, sagt Mohammed. „Doch wenn die Finanzierung ausbleibt, werde ich und viele andere auch rückfällig. Angebote zur psychischen Gesundheit retten Leben. Sie müssen unbedingt weitergeführt werden.“
Dr. Maram arbeitet als Psychiaterin für IRC. Sie erinnert sich an den Anfang des Krieges in Jemen: „Schon der erste Luftangriff änderte alles. Ich saß im Bus. Menschen gerieten in Panik und rannten umher. In dieser Nacht hielt ich meine Mutter fest und weinte.“
„Im Laufe der Jahre habe ich gesehen, wie der Krieg die Spaltung zwischen Arm und Reich immer weiter vergrößerte. Einmal behandelte ich einen Mann, der auf der Straße lebte. Er suchte sein Essen im Müll. Durch Therapie und Medikamente fand er wieder zu seiner Familie zurück. Heute steht er wieder mitten im Leben. Doch diese lebenswichtigen Angebote sind nun durch die HIlfskürzungen bedroht. Jemen braucht dringend eine starke Gesundheitsversorgung, gut ausgebildetes Personal und dauerhaften Frieden.“
Amr gehört zu einer Generation junger Jemenit*innen, deren Zukunft durch den Krieg zerstört wurde. „Der Krieg hat mir meine akademischen Träume genommen“, sagt er. „Ich erinnere mich noch, als meine Familie mir sagte, dass der Konflikt begonnen hatte – ich hätte nie gedacht, dass er so lange dauern würde. Jedes Jahr hoffe ich auf ein besseres Jahr.“
2020 begann er im humanitären Bereich zu arbeiten und wichtige Gesundheitsdienste mit IRC bereitzustellen. „Es sind Momente wie diese, die mich erfüllen – wenn ein Vater mit kostenlosen Medikamenten für sein Kind die Klinik verlässt und man die Erleichterung in seine´n Augen sieht. Doch durch die Hilfskürzungen werden viele nicht die Behandlung erhalten, die sie brauchen. Nach zehn Jahren müssen wir von Nothilfe zu nachhaltigen Lösungen übergehen, besonders in der Bildung, um eine weitere verlorene Generation zu vermeiden.“
„Als der Krieg ausbrach, nahm ich drei vertriebene Familien in unserem kleinen Haus auf“, sagt die 49-jährige Apothekerin und Mutter Inas. „Essen und Gas zu bekommen war ein Albtraum. Mein Kind fragte mich: ‚Warum sterben Menschen?‘ und ich hatte keine Antwort.“
Inas hat jahrelang dafür gesorgt, dass Familien in Krisenzeiten Zugang zu lebenswichtigen Medikamenten erhalten. „Ich erinnere mich an eine Mutter, die stundenlang lief, nur um Medizin für ihr Kind zu bekommen“, sagt sie. „Wenn die Finanzierung gekürzt wird, werden die Gesundheitsdienste für Mütter und Kinder noch weiter sinken. Wir müssen jetzt handeln, um den Zusammenbruch des Gesundheitssystems in Jemen zu verhindern.”
„Zehn Jahre Krieg haben unseren Fortschritt zerstört”, sagt Abdulmalik. „Ich erinnere mich noch genau, als die Kämpfe in Aden ausbrachen und unser kleines Haus zu einem Schutzraum für vertriebene Verwandte wurde. Es wurde zu einer täglichen Herausforderung, Mehl oder Gas zu finden.“
Als Leiter für Wasser und Sanitärversorgung sowie Hygiene erlebt Abdulmalik aus erster Hand, wie Mangelernährung und Überschwemmungen die betroffenen Gemeinden belasten.
„Ich mache weiter, weil ich das Lächeln der Menschen sehe, wenn wir sauberes Wasser bringen“, sagt er. „Aber Kürzungen könnten dazu führen, dass wichtige Dienste wie die sanitäre Versorgung zusammenbrechen, was zu Krankheitsausbrüchen führen würde. Was Jemen braucht, ist eine funktionsfähige Infrastruktur, Bildung und Frieden, um sich zu erholen.“
„Als der Krieg ausbrach, verlor ich neun Freunde, die versuchten zu fliehen. Meine Familie wurde vertrieben, ich war allein, obdachlos und hatte nichts zu essen“, sagt der 34-jährige Mohammed.
„Jetzt, wo ich in der Nothilfe arbeite, sehe ich dieselben Herausforderungen bei anderen. Ein junger Mann, der nach dem Verlust seines Jobs schwer depressiv war, nahm an einem beruflichen Ausbildungsprogramm von IRC teil – und heute führt er ein erfolgreiches Geschäft. Diese Programme verändern Leben. Eine Kürzung der humanitären Hilfe wäre eine Katastrophe.“
„Das Schwierigste, was ich erlebt habe, sind Familien, die aus ihren Häusern fliehen, erschrocken von den Bomben, die auf ihren Straßen explodieren“, sagt Saad, der eines der mobilen Gesundheitsteams von IRC leitet.
„Trotz aller Herausforderungen arbeiten wir weiter und bringen medizinische Hilfe zu den Menschen, die sie am meisten brauchen. Die humanitäre Hilfe wird jedoch immer knapper. Ohne sie werden viele Menschen sterben.
Jeden Tag sehe ich den steigenden Bedarf an Programmen, die Leben retten – sei es im Bereich Gesundheit, Ernährung oder Friedensaufbau. Doch diese Programme werden nun gekürzt. Das ist eine Katastrophe. Die internationale Gemeinschaft muss diese lebenswichtigen Programme fortführen, um weiteres Leid zu verhindern.“
International Rescue Committee (IRC) ist seit 2012 in Jemen tätig. Angesichts des Konflikts und der Blockaden weitete das Team 2015 seine Programmarbeit aus, um Hunger und humanitärer Not zu begegnen. Seitdem leistet IRC Nothilfe, bietet Gesundheitsversorgung an, unterstützt Familien beim Wiederaufbau ihrer Lebensgrundlagen und bietet Schutz für Frauen und Kinder.
Allein im Jahr 2024 erreichten wir mehr als 1,7 Millionen Jemenit*innen mit lebensrettender Unterstützung und standen den Gemeinden zur Seite, während sie mit unvorstellbaren Herausforderungen konfrontiert waren.
Langfristige Stabilität erfordert politische Lösungen und wirtschaftliche Erholung. Im Moment ist humanitäre Hilfe die einzige Überlebenschance für Millionen. Für Familien wie die von Mohammed, Narmin, Abdulnasser und Haifa bedeutet humanitäre Hilfe beispielsweise Zugang zu Nahrung, Gesundheitsversorgung und ein Stück Würde.
Langfristiges Engagement der Geberländer und flexible Finanzierung sind entscheidend, um eine weitere Katastrophe zu verhindern. Ohne sofortiges Handeln werden Jahre des Fortschritts zunichtegemacht. Die Krise wird sich verschärfen und Millionen werden ohne wichtige Unterstützung bleiben.
Wir fordern alle Geber auf, sich zu engagieren und die Hilfe vollständig zu finanzieren, bevor es zu spät ist. - Caroline Sekyewa, IRC-Länderdirektorin für Jemen.
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