
Die Einheit der Familie und das Kindeswohl sind menschenrechtliche Prinzipien. Doch genau dieses Recht wird 2025 in Deutschland erneut infrage gestellt.
Statt Familien zu schützen, plant die Bundesregierung neue Einschränkungen – besonders für Menschen mit subsidiärem Schutz, etwa aus Syrien im Bürgerkrieg. Dabei ist der Nachzug von Ehepartner*innen, Kindern und Eltern oft die einzige Möglichkeit, gemeinsam in Sicherheit zu leben. Nähe, Stabilität, Zusammenhalt entstehen nur, wenn Familien vereint sind. Der Familiennachzug ist gesetzlich verankert und für viele lebensnotwendig, gerade für Angehörige aus Kriegs- und Krisengebieten.
Was bedeutet das konkret – rechtlich, menschlich, gesellschaftlich? Erfahre hier, was auf dem Spiel steht.
Was ist Familiennachzug und wer hat Anspruch darauf?
Stell dir vor: Du hast Krieg, Gewalt und Verfolgung überlebt, in Deutschland Schutz gefunden, aber deine Kinder, dein*e Partner*in oder deine Eltern mussten in deiner Heimat zurückbleiben.
Der Familiennachzug soll genau das verhindern: Er ermöglicht es Ehepartner*innen, minderjährigen Kindern und bei unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten auch den Eltern nachzukommen und das Leben wieder gemeinsam zu gestalten.
So wird nicht nur das Recht auf Familie gewahrt. Auch die Integration wird erleichtert, denn familiärer Rückhalt ist entscheidend, um in einem neuen Land anzukommen und wieder Halt zu finden.
Asylberechtigte, anerkannte Flüchtlinge sowie Resettlement-Flüchtlinge haben nach §§ 29 ff. Aufenthaltsgesetz ein gesetzlich verankertes Recht auf Familiennachzug. Im Gegensatz zu anderen Drittstaatsangehörigen müssen sie keinen Nachweis über Einkommen oder Wohnraum erbringen, sofern der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Anerkennung gestellt wird.
Was gilt für Menschen mit subsidiärem Schutz?
Für Menschen mit subsidiärem Schutzstatus, etwa aus Sudan, Somalia oder Afghanistan, drohen im Herkunftsland Gefahren wie Krieg, Folter oder sogar die Todesstrafe. Auch wenn sie nicht als Flüchtlinge im Sinne der Genfer Konvention anerkannt sind, erhalten sie in Deutschland Schutz.
Visa-Zahlen im Überblick
- 2024: rund 120.000 Visa für Familienzusammenführung insgesamt
→ 28.300 an Menschen aus Syrien (20.000), Iran (4.400), Afghanistan (2.600), Irak (1.300) - 2023: rund 130.800 Visa für Familienzusammenführung insgesamt
→ 20.300 an Syrer*innen, 4.300 an Iraner*innen, 2.600 an Afghan*innen, 1.400 an Iraker*innen
Diese Zahlen zeigen: Der Familiennachzug ist für viele die einzige legale Möglichkeit, ihre Liebsten in Sicherheit zu bringen. Besonders Frauen und minderjährige Kinder sind dabei oft auf familiären Schutz angewiesen. Trotzdem wird genau dieser Weg politisch begrenzt und das oft auf Kosten der betroffenen Familien.
Besondere Hürden für Menschen aus Afghanistan
Seit dem Machtwechsel durch die Taliban im Jahr 2021 hat sich die Lage für afghanische Familien dramatisch verschärft. Die deutsche Botschaft in Kabul ist weiterhin geschlossen, Anträge auf Familiennachzug müssen über Drittstaaten wie Pakistan (Islamabad) oder Iran (Teheran) gestellt werden.
Die Folge: monatelange bis jahrelange Wartezeiten für ein Visa, selbst wenn alle Voraussetzungen erfüllt sind. Besonders für Frauen, Kinder und gefährdete Angehörige bedeutet das eine zusätzliche Belastung und in vielen Fällen Lebensgefahr.
Das Bundesaufnahmeprogramm (BAP) wurde 2022 ins Leben gerufen, um besonders gefährdeten Afghan*innen Schutz zu ermöglichen. Obwohl das Programm derzeit nicht fortgeführt wird, zeigt es, wie dringend ergänzende und verlässliche Zugangswege gebraucht werden – gerade jetzt.

Was plant die Bundesregierung 2025?
In der nächsten Legislaturperiode werden keine weiteren Aufnahmezusagen über das Programm erteilt. Die Bundesregierung plant den Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte weiter aussetzen. Dies stellt einen großen Rückschritt dar, da die vorherige Regierung ihre Versprechen zur Erleichterung des Familiennachzugs im Koalitionsvertrag von 2021 nicht umgesetzt hat.
Im Koalitionsvertrag wird der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte befristet für zwei Jahre ausgesetzt, wobei Härtefälle unberücksichtigt bleiben. Danach soll geprüft werden, ob eine weitere Aussetzung der bisherigen Kontingentregelung weiterhin notwendig ist.
Die Diskussion und Maßnahmen erinnern an die Politik von 2016, als der Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte bereits ausgesetzt wurde, was zu erheblichen Belastungen für betroffene Familien führte. Eine erneute Einschränkung könnte ähnliche negative Auswirkungen haben und die Integration der Schutzsuchenden erschweren.
Es ist daher entscheidend, die Bedeutung des Familiennachzugs für den Integrationsprozess und das Wohlergehen der Betroffenen anzuerkennen und entsprechende politische Maßnahmen zu überdenken.
Was muss jetzt passieren?
Die Wiedervereinigung von Familien ist eines der dringendsten Anliegen vieler Menschen mit Fluchterfahrung. Lange Trennungen belasten das psychische Wohlbefinden und erschweren es, in Deutschland anzukommen und ein neues Leben aufzubauen.
Statt weitere Hürden zu schaffen, sollte die Bundesregierung die Verfahren vereinfachen und beschleunigen. Zwei zentrale Punkte dafür sind:
- die Digitalisierung der Antragstellung
- sowie die Verkürzung der Wartezeiten an deutschen Auslandsvertretungen.
Ein funktionierender Familiennachzug ist nicht nur humanitär geboten, denn er stärkt auch den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Einschränkungen dagegen treffen nicht nur die Betroffenen, sondern gefährden die Integration insgesamt.
Familiennachzug ist kein Privileg, sondern ein menschliches Grundbedürfnis und sollte allen Schutzbedürftigen offen stehen, damit niemand gezwungen ist, dauerhaft von seinen Angehörigen getrennt zu leben.
Darüber hinaus sollte der Kreis der nachzuholenden Angehörigen erweitert werden. Auch sollten die Bundesländer die Möglichkeit erhalten, Landesaufnahmeprogramme auszuweiten oder neu aufzusetzen, um so mehr Familienangehörige inklusive Nichtkernfamilienmitglieder in Sicherheit zu bringen.
Erfahre hier mehr zu den Forderungen von IRC an die neue Bundesregierung.