Berlin, 15. April 2025 — International Rescue Committee (IRC) Deutschland begrüßt das im Koalitionsvertrag 2025 verankerte Bekenntnis der Bundesregierung, ein „einwanderungsfreundliches Land" (Zeile 2961) zu bleiben und das Grundrecht auf Asyl „unangetastet” (Zeile 2960) zu lassen. Die derzeit geplanten Maßnahmen stehen jedoch im Widerspruch zu diesem Anspruch. Zurückweisungen an den deutschen Grenzen und eine schutzbedarfsblinde Umsetzung der GEAS-Reform gefährden faire Asylverfahren und untergraben rechtsstaatliche Prinzipien. Um ihrem eigenen Anspruch gerecht zu werden und das Recht auf Asyl zu gewähren, braucht es rechtsstaatlich fundierte und solidarische Lösungen, gemeinsam mit EU-Partnern.
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin IRC Deutschland, kommentiert:
„Die von der Bundesregierung geplante Verschärfung der Asylpolitik wird weder rechtskräftig die Anzahl an Schutzsuchenden in Deutschland reduzieren, noch wird sie dem Anspruch gerecht, globale humanitäre Verantwortung zu tragen. Was sich aber verschärft, ist die Situation der Schutzsuchenden – auf dem Weg nach Deutschland und hier vor Ort. Das ist kein notwendiger Kurswechsel, sondern ein klarer Rückschritt. Die neue Asylpolitik der Bundesregierung setzt schutzsuchende Menschen noch weitere Gefahren aus.
Nur ein Bruchteil von Menschen auf der Flucht kommt in Europa an – überwiegend in Italien, Griechenland oder Spanien. Laut europäischem Fair-Share-Prinzip und Relocation-Ansätzen haben sich die EU-Staaten verpflichtet, die an den Außengrenzen ankommenden Menschen innerhalb Europas aufzuteilen. Für Deutschland läge der Fair-Share-Anteil bei 6.500 Menschen – ein symbolischer, kein substantieller Beitrag, insbesondere angesichts der über 120 Millionen Vertriebenen weltweit. Wir dürfen nie vergessen: Wir sprechen hier immer noch von Menschen.
Der neue Migrationskurs der Bundesregierung wird dem Anspruch eines modernen Einwanderungslandes nicht im Ansatz gerecht und beruht auf Symbolpolitik statt Fakten. Migration ist keine Bedrohung, sondern Teil der deutschen Geschichte und eine Chance für die Zukunft. Wer ein modernes Einwanderungsland sein will, muss Verantwortung übernehmen und Menschen aufnehmen, nicht Verantwortung – oder Menschen – abweisen. Gerade in einer Zeit, in der globale Machtverhältnisse neu verhandelt werden, muss Deutschland eine Vorbildrolle einnehmen und menschenwürdige Lösungen finden.“
Das Bekenntnis zum Recht auf Asyl im Koalitionsvertrag bedeutet konkret:
- Keine Zurückweisungen an den Grenzen. Asylanträge müssen in Einklang mit europäischem Recht in Deutschland geprüft werden.
- GEAS-Reform menschenrechtskonform umsetzen: Der Koalitionsvertrag betont, „Wir werden GEAS noch in diesem Jahr ins nationale Recht umsetzen und es auf europäischer Ebene weiterentwickeln.“ (Zeile 3005) Wie genau die GEAS-Reform umgesetzt werden soll, bleibt jedoch offen. Zur Achtung der Menschenrechte braucht es schutzbedarfsorientierte Verfahren, klare rechtliche Garantien und Alternativen zur Haft. Dem steht ein Streichen des Verbindungskriteriums entgegen, denn das bedeutet, dass Schutzsuchende in ein Drittland gebracht werden können, zu dem sie keinen Bezug haben.
- Zu einer solidarischen Umsetzung der GEAS-Reform gehört auch ein funktionsfähiger EU-Solidaritätsmechanismus: Relocation-Verfahren und der europäische Funding Pool müssen ausgebaut werden, um Erstaufnahmeländer wie Griechenland, Italien und Spanien effektiv zu entlasten. Entsprechend des Fair-Share-Prinzips müsste Deutschland demnach 6500 Menschen pro Jahr, verteilt aus den EU-Erstaufnahmeländern, aufnehmen.
- Zugang zu Rechtsberatung für schutzsuchende Menschen: Schutzsuchende benötigen ab dem ersten Tag Zugang zu unabhängiger, qualifizierter und kostenloser Rechtsberatung – insbesondere in Asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren. Die Bundesregierung sollte dafür bundesweit flächendeckende, staatlich finanzierte Strukturen in Zusammenarbeit mit zivilgesellschaftlichen Organisationen aufbauen.
- Aufnahme- und Resettlementprogramme ausbauen statt einstellen: Der Koalitionsvertrag unterstreicht: “Wir stehen zu unserer humanitären Verantwortung.“ (Zeile 2960) und kündigt gleichzeitig an, Bundesaufnahmeprogramme einzustellen. Es sind genau diese Programme, die neben Asyl besonders schutzbedürftigen Menschen über legale Zugangswege planbar Zuflucht bieten. Dies gilt sowohl für das UNHCR-Resettlement- als auch das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP). Für aktuell ca. 2.600 schutzberechtigte Afghan*innen hat die Regierung eine verbindliche Zusage zur Aufnahme gemacht. Diese Zusage nicht einzuhalten, bricht Wort und Vertrauen und ist das falsche Signal für den Start einer neuen Regierung.
- Der Familiennachzug muss gesichert werden: Die geplante Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigte gefährdet den Schutz der Familie und das Kindeswohl und steht im Widerspruch zu völkerrechtlichen Verpflichtungen. Das würde dazu führen, dass besonders Frauen und Kinder in Krisen- und Konfliktgebieten zurückgelassen werden.
Laut Koalitionsvertrag will Deutschland ein „einwanderungsfreundliches Land” bleiben. Dies erfordert strukturelle Verbesserungen, u.a.:
- Die Förderung von Mitbestimmung und Partizipation für Schutzsuchende und Migrant*innen: Im Koalitionsvertrag wird den Menschen mit Einwanderungsgeschichte eine Rolle als Brückenbauer zugewiesen (Ziele 3053). Dafür muss die Bundesregierung die politische Teilhabe von Menschen mit Flucht- und Migrationshintergrund fördern.
- Erleichterter Zugang zu frühkindlicher und schulischer Bildung: Die Bundesregierung muss den Zugang zu qualitativ hochwertiger und diskriminierungsfreier Bildung für geflüchtete Kinder ab ihrer Ankunft in Deutschland sicherstellen. Dies beinhaltet den Abbau von Zugangsbarrieren zu Betreuungsplätzen, die Sensibilisierung pädagogischer Fachkräfte für Diversität und die Bereitstellung von Betreuungsplätzen außerhalb von Unterbringungseinrichtungen.
- Erleichterter Zugang zum Arbeitsmarkt: Die Bundesregierung sollte sicherstellen, dass binnen drei Monaten Arbeitserlaubnisse für Schutzsuchende ausgestellt, die Anerkennung von beruflichen Kompetenzen beschleunigt und Angebote für Sprachkurse ausgebaut werden. Zur Beschäftigung und Ausbildung dieser Zielgruppen müssen Arbeitgebende unterstützt werden.
IRCs Forderungen an die neue Bundesregierung finden sich in diesem Forderungspapier, aufgesplittet in die drei Bereiche, in denen IRC wirkt und schutzsuchende Menschen unterstützt: 1) globale humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, 2) Asyl, Aufnahmeprogramme und Zufluchtswege sowie 3) Unterstützung und Teilhabe von Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland.