Corina Pfitzner, Geschäftsführerin von International Rescue Committee (IRC) Deutschland, kommentiert: 

„Der globale Konsens zum Recht auf Asyl ist eine der wichtigsten Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg. Dieses Recht, verankert im Grundgesetz, im EU-Recht und im Völkerrecht, erinnert uns an die besondere Verantwortung der Bundesregierung, es zu schützen und zu verteidigen. Jetzt zur Bundestagswahl Stimmen zu Lasten der Menschen zu sammeln, die heute Schutz vor Verfolgung, Konflikt und Vertreibung suchen, verkennt auf gefährliche Art und Weise die Lehren der deutschen Vergangenheit. 

Dass Menschen aufgrund von Gewalt, Krisen und Konflikten Schutz suchen, ist eine unverrückbare Tatsache. Ein Trugschluss ist aber, dass Flucht- und Migrationspolitik nicht menschenwürdig reguliert werden können. Es fehlt lediglich am politischen Willen, alternative, menschenrechtsbasierte Politikansätze umzusetzen. Durch solidarische europäische Zusammenarbeit und besser ausgestattete Aufnahme- und Integrationssysteme kann das Recht auf Asyl planbarer und menschenwürdiger realisiert werden. Zusätzlich können humanitäre Aufnahmeprogramme, die schutzbedürftigen Menschen eine geordnete und vor allem sichere Einreise ermöglichen, viele der aktuellen Bedenken auflösen und Menschen lebensgefährliche Fluchtrouten ersparen. 

Was wir nie vergessen dürfen: Niemand entscheidet freiwillig, aus der Heimat zu fliehen. Niemand entscheidet freiwillig, das eigene Leben oder das Leben der Familie zu riskieren. Politische Entscheidungsträger*innen hingegen können und müssen sich dafür entscheiden, Menschenleben zu schützen. Dafür müssen sich Entscheidungsträger*innen konstruktiv mit Flucht und Migration auseinandersetzen und den politischen Willen dafür einsetzen, das System für alle Beteiligten zu verbessern. Es gibt keine demokratische Mehrheit für eine Politik, die das Asylrecht aushöhlt und Abschottung forciert. Die Kehrtwende hin zu menschenrechtsbasierter Migrationspolitik ist nicht nur möglich, sondern unverzichtbar. Auf dem Spiel steht viel mehr als der Stimmengewinn vor der Wahl. Auf dem Spiel steht mit dem Asylrecht ein historischer Grundwert, für dessen Verwirklichung Deutschland die Verantwortung mitträgt.”

Im Forderungspapier: Engagement für Menschen in Krisenregionen, auf der Flucht und in Deutschland zeigt IRC Deutschland Ansätze auf, wie bestehende Systeme für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung verbessert werden können: von humanitärer Aufnahme über Arbeitsmarktöffnung bis hin zum Familiennachzug. 

IRC teilt vier Beispiele wie Flucht- und Migrationspolitik planbar und menschenwürdig gestaltet werden kann: 

  1. Das Recht auf Asyl schützen:  Um schutzbedürftigen Menschen in Krisenzeiten einen fairen Zugang zu Asylverfahren sowie eine sichere und würdevolle Einreise in Deutschland zu ermöglichen, sollte Deutschland die Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) menschenrechtskonform und schutzbedarfsorientiert umsetzen. 
  2. Humanitäre Aufnahmeprogramme ausbauen: Humanitäre Aufnahmeprogramme werden in der Regel als kurzfristige Reaktion auf dringende Notlagen erarbeitet und ermöglichen eine schnelle Einreise von bestimmten Personengruppen. Bestehende Aufnahme- und Resettlement-Programme auszubauen ist die transparenteste und sicherste Alternative für Menschen, Schutz zu suchen und Zuflucht zu finden, gerade auch für Frauen und Kinder. 
  3. Familiennachzug vereinfachen:  Die Wiedervereinigung von Familien ist eines der drängendsten Anliegen von Menschen mit Fluchterfahrung. Lange Trennungen wirken sich unweigerlich auf das Wohlbefinden der Einzelnen aus – eine wiedervereinte Familie erleichtert das Ankommen und Einleben in Deutschland. Die Digitalisierung der Antragstellung sowie die Verkürzung der Wartezeiten in den Auslandsvertretungen sind zwei Stellschrauben, um die Verfahren der Familienzusammenführung zu verbessern. 
  4. Arbeitsmarkt für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung öffnen: Rechtliche und praktische Barrieren verhindern, dass Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung Jobs finden, ausführen und behalten können, die ihnen eine eigenständige Zukunft in Deutschland sichern. Diese Barrieren gilt es abzubauen. Ein Beispiel: Unternehmen sollten rechtliche Garantien für die Bleibeperspektive von Geflüchteten erhalten, die über die Ausbildungszeit hinausgehen. Ausbildung und Beschäftigung sollten zu einem unbefristeten Aufenthalt führen und so Investitionssicherheit für Arbeitgebende bieten. Dies schafft eine dreifache Win-Win-Win-Situation: Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Flucht- und Migrationserfahrung, händeringend gesuchte Arbeitskräfte für Unternehmen sowie eine Ankurbelung der deutschen Wirtschaft.  

Das IRC-Forderungspapier: Engagement für Menschen in Krisenregionen, auf der Flucht und in Deutschland finden Sie hier: www.rescue.org/de/report/forderungen-bundesregierung 

Über IRC

International Rescue Committee (IRC) ist eine internationale Hilfsorganisation, die 1933 auf Anregung von Albert Einstein gegründet wurde. Während des Zweiten Weltkriegs hat IRC Geflüchteten Schutz und Unterstützung geboten, auch in Deutschland. 

Heute unterstützt IRC in mehr als 45 Ländern Menschen, die vor Krisen, Krieg, Verfolgung oder Naturkatastrophen fliehen. Allein in Deutschland sind rund 200 Mitarbeitende engagiert. IRC führt in allen Bundesländern Programme für schutzsuchende Menschen in den Bereichen Bildung, Schutz und Rechtsberatung, Beruf und Orientierung sowie Teilhabe durch.