Als alleinstehende Frau in Jemen nicht im Elternhaus zu leben, bricht mit traditionellen Geschlechterrollen. Gleiches gilt acht mobile Gesundheitsteams in einer der entlegensten Gegenden der Welt zu leiten und Frauen während einer globalen Pandemie dabei zu helfen, ihre Kinder sicher auf die Welt zu bringen. Das alles leistet die 27-jährige Dr. Bushra Al-Aghbari.
„Andere Ärzt*innen sagten mir: ‚Du kommst frisch aus dem Studium, du kannst das nicht bewältigen‘“, sagt Bushra. „Aber all diese Aussagen haben mich noch mehr motiviert.“ Sie entschied sich dazu, aus ihrem Heimatort in ein ländliches Gebiet in Jemen zu ziehen, wo die Grundversorgung spärlich ist. „Ich habe das Ziel, den Frauen in diesen Regionen zu helfen.“
Bushra ist seit 2019 Beauftragte für Reproduktive Gesundheit bei International Rescue Committee. Sie leitet EU-finanzierte mobile medizinische Einheiten, die in die Berge hinausfahren und Camps, Siedlungen und Dörfer besuchen. Ihr Team bietet Schwangeren und Babys lebenswichtige Unterstützung in Regionen, die sonst von der Gesundheitsversorgung abgeschnitten sind.
„Unsere Traditionen und Bräuche hindern Frauen daran, männliche Ärzte aufzusuchen“, erklärt Bushra.Frauen in ländlichen Gemeinden sind mit vielen Schwierigkeiten konfrontiert sind. „Selbst wenn sie krank sind, bleiben sie daher Zuhause und leiden stillschweigend. Frauen neigen dazu, aufgrund der instabilen Situation depressiv zu werden und befürchten eine Verschlimmerung des Konflikts.“
Nach sechs Jahren Konflikt steht Jemen vor gleich mehreren humanitären Katastrophen. Preiserhöhungen, ein Mangel an Treibstoff und Nahrungsmitteln, fehlender Zugang zu Gesundheitsdiensten und anhaltende Kämpfe haben die Bevölkerung geschwächt. Das Risiko einer weit verbreiteten Hungersnot ist so hoch wie nie zuvor.
Der COVID-19-Ausbruch in Jemen hat die Unsicherheit verstärkt. Krankenhäuser begannen, Menschen wegzuschicken, in der Hoffnung, die Ausbreitung des Virus zu reduzieren. „Viele Frauen wussten nicht, wo sie ihre Babys zur Welt bringen und wie sie sich schützen können“, erklärt Bushra. Per WhatsApp gründete sie zusammen mit ihren Hebammenkolleginnen und Ärzt*innen eine Gruppe, um mit Patientinnen in Kontakt zu bleiben.
Durch diese Gruppe konnte sie sich nach ihnen erkundigen, individuelle Beratungen organisieren und Frauen über die Kapazitäten von Krankenhäusern auf dem Laufenden halten. So erhielten Bushras Patientinnen auch in einer besonders schwierigen Zeit die notwendige medizinische Hilfe.
Trotz des gefährlichen Krisenkontextes, in dem sie arbeitet, lässt sich Bushra nicht davon abbringen, ihren Mitmenschen zu helfen. „Ich betrachte jeden Tag als eine neue Chance für das Leben“, sagt sie. Ihre Karriere als humanitäre Helferin startete 2018. Damals begann Bushra in einem benachbarten Krankenhaus zu arbeiten. Sie half Menschen, die durch den Konflikt verletzt wurden und sammelte wertvolle Erfahrungen von ihren Kollege*innen, Krankenpfleger*innen und Hebammen. Nachdem sie das Medizinstudium abgeschlossen hatte, zog sie in ein Dorf in Al-Dhale'e, Westjemen.
„Es war ein bedeutender Wendepunkt in meinem Leben“, erinnert sie sich. „Hier ist es ganz anders als in der Stadt. Es gibt keinen guten Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen wie Internet oder Strom. Meine Familie protestierte zunächst. Aber ich wusste, dass die Frauen dort Hilfe brauchten. Sie leiden, und niemand weiß von ihnen. Sie leben weit weg von Krankenhäusern und brauchten jemanden, der sich um sie kümmert. Also zog ich für ein Jahr dorthin. Diese Erfahrung hat mich verändert.“
Bushras Familie unterstützt ihre Arbeit und ermutigt sie regemäßig dazu, positiv zu bleiben, wenn sie sich einsam fühlt. „Mein Vater ruft mich immer an und sagt mir, dass ich stark und mutig bin“, sagt die junge Ärztin. „Meine Mutter schickt mir auch die Kekse und Schokolade, die ich vermisse, weil ich sie hier in Al-Dhale'e nicht finden kann.“
Selbst mit so vielen Schwierigkeiten konfrontiert, findet Bushra Freude an ihrer Arbeit als humanitäre Helferin. „Wenn ich nach einem langen Arbeitstag nach Hause komme und meinen Kopf auf mein Kissen lege, erinnere ich mich an die Wertschätzung in den Augen der Menschen, denen ich geholfen habe“, sagt sie. „Das sind die Momente, auf die ich so stolz bin.“
In einer Gesellschaft, in der Frauen mehr Hindernissen begegnen als Männer, ist Bushras Beharrlichkeit beeindruckend. „Frau zu sein bedeutet nicht nur, stark zu sein und für mich einzutreten, sondern für alle anderen einzutreten, die mich brauchen“, sagt sie mit einem festen Blick.
Nachdem sie sich den gesellschaftlichen Normen widersetzt hat, die sie zurückhalten sollten, berät Bushra Mädchen, die in ihre Fußstapfen treten wollen. „Mein Rat für junge Frauen ist, sich selbst zu vertrauen. Frauen die Hindernisse überwinden, kennen keine Grenzen. Ein Mädchen mit einem Traum ist unaufhaltbar. Sei stark und lass dich nicht unterkriegen!“
Gemeinsam mit der Generaldirektion Civil Protection and Humanitarian Aid Operations der EU leisten wir lebensrettende Unterstützung für Menschen auf der ganzen Welt, die von Konflikten und Katastrophen betroffen sind.