Diala Brisly ist Künstlerin, Aktivistin und Geflüchtete. Sie musste 2013 aus Syrien fliehen und lebt jetzt in Frankreich. Sie nutzt ihre Kunst, um ihr eigenes Trauma zu verarbeiten und die Menschenrechte anderer zu verteidigen. Dieses Engagement führte dazu, dass sie Kunstwerke zur Unterstützung eines Hungerstreiks von Frauen in Syrien schuf und Kunst-Workshops in Flüchtlingslagern veranstaltete. Heute leitet sie Kunsttherapie-Workshops für Kinder, die Krieg erlebten.

Diala erstellte für IRC eine Illustration mit der Botschaft "Refugees are Courageous" (Geflüchtete sind mutig). Die Grafik bildet den Auftakt zu IRCs Kampagne zum Weltflüchtlingstag 2021, mit der die Beiträge von Künstler*innen mit Fluchthintergrund geehrt und gefeiert werden. Im Folgenden erklärt Diala, wie die Illustration zustande kam und was Mut für sie bedeutet:

Für mich bedeutet Mut, Ängste zu haben, all diese Sorgen zu haben, dieses Trauma zu haben, und trotzdem die Energie zu finden, weiterzumachen.

Ich freue mich sehr, dass ich dieses Jahr Teil der IRC-Kampagne zum Weltflüchtlingstag bin. Der Slogan lautet „Geflüchtete sind mutig“. Ich mag die Botschaft wirklich, weil sie Stärke zeigt –  unabhängig von all dem, was  wir durchmachen müssen.

Stark zu sein bedeutet nicht, nicht verletzlich zu sein. Es bedeutet, verletzlich zu sein, aber sich davon nicht abhalten zu lassen, weiterzumachen. Das ist Mut.

In meiner Illustration für IRC zeige ich Männer und Frauen unterschiedlichen Alters und unterschiedlicher Kulturen. Zudem gibt es eine Figur, die als LGBTQ dargestellt wird sowie ein Kind. Es ist mir wichtig, Solidarität unter Geflüchteten zu zeigen. Ich glaube an die Solidarität unter allen Menschen. Wenn wir diesen Kampf gemeinsam kämpfen und den Schmerz des anderen verstehen, können wir uns gegenseitig helfen, weil wir ähnliche Erfahrungen teilen.

Eine Illustration zum Weltflüchtlingstag 2021 mit mehreren Menschen unterschiedlicher Herkunft, die in die Weite schauen.
Dialas Illustration bildet den Auftakt zu IRCs Kampagne zum Weltflüchtlingstag 2021, mit der die Beiträge von Künstler*innen mit Fluchthintergrund geehrt und gefeiert werden.
Foto: Diala Brisly

Eine der Figuren auf der Illustration trägt eine Schwimmweste. Für mich ist eine Schwimmweste symbolisch. Die Medien berichten über Geflüchtete, wenn sie auf dem Meer sind. Aber es ist  wichtig zu verstehen, dass die Krise nicht im Mittelmeer begonnen hat, sondern schon vorher.

Vom Comic zum Engagement

Ich bin in Kuwait aufgewachsen und mit meiner Familie nach Syrien gezogen als ich 10 Jahre alt war. Ich fing an, Animationen für den syrischen Sender „Spacetoon“ zu machen. Danach war ich freiberuflich tätig und machte Comics, Illustrationsbücher und Kinderzeitschriften.

Als der Aufstand in Syrien begann, haben wir uns zuerst gefreut, weil wir hofften, dass sich etwas verändern würde. Wir lebten diesen romantischen Traum - bis wir merkten, dass wir wirklich eingeschränkt waren, und auf Proteste mit Gewalt reagiert wurde. Im Jahr 2012 fertigte ich meine erste Illustration dazu an. Ich hab das nicht gemacht, weil ich dachte, dass sie besonders gut werden würde, sondern weil mich die Situation erdrückte. Es war mein Weg, aufzuatmen und auszudrücken, was passierte. Journalist*innen begannen, meine Zeichnungen zu teilen, um ihre Berichte zu ergänzen. Das ermutigte mich dazu, mehr politische Kunst zu machen.

Diala sitzt an ihrem Schreibtisch und malt.
„Im Jahr 2012 fertigte ich meine erste Illustration dazu an. Ich hab das nicht gemacht, weil ich dachte, dass sie besonders gut werden würde, sondern weil mich die Situation erdrückte. Es war mein Weg, aufzuatmen und auszudrücken, was passierte.“
Foto: K Toftera/IRC

Während des Kriegs in Syrien half ich, heimlich mit meinem Auto medizinischen Hilfsgüter zu verteilen. Es gab immer mehr Kontrollpunkte in Damaskus – und es wurde damit sehr gefährlich. Viele meiner Kolleg*innen, die in Krankenhäusern arbeiteten und Proteste organisierten, verschwanden oder wurden verhaftet. Einige von ihnen mussten fliehen, weil sie auf einer schwarzen Liste standen.

Ich hatte wirklich großes Glück, dass ich nicht verhaftet wurde. Bei jeder Lieferung sagte ich mir, dass es mein letztes Mal sein würde. Irgendwann wurde ich dann angezeigt, aber aus irgendeinem Grund holten sie mich nicht ab. Da wurde  mir klar, dass ich nicht mehr in Syrien bleiben konnte. Wir hatten nicht das Gefühl, dass wir Fortschritte machten, und viele von uns waren damals enttäuscht. Viele Leute sind dort geblieben. Ich finde es sehr mutig, weiterzumachen.

Als ich nach Istanbul aufbrach, ging ich – wie viele andere Syrer*innen auch – davon aus, nur ein paar Monate zu bleiben und dann zurückzugehen. Aus ein paar Monaten wurde ein Jahr. Uns wurde klar, dass der Krieg nicht enden würde.

In Istanbul war es wirklich schwer, die Sprache zu lernen und einen Job zu finden. Ich war völlig isoliert. Ich war süchtig nach neuen Nachrichten und las alles, was in Syrien passierte. Ich habe darüber gezeichnet. Während dieser Zeit verlor ich meinen Bruder durch den Krieg. Das war ein Schock, obwohl ich es erwartet hatte. Egal wie gut man vorbereitet ist, es hilft nicht. Das hat mein Leben verändert.

Vom Engagement zur Verbindung

Ich reiste nach Libanon, um Freund*innen zu besuchen und Lager zu besichtigen, in denen Geflüchteten leben. In einem der Lager traf ich ein Mädchen, das auch eine Aktivistin in Syrien war. Sie plante, eine öffentliche Bibliothek in einem der Lager zu eröffnen. Ich wollte ihr mit meinem Kontakten zu Verlagshäusern in Libanon helfen und  bot auch an, ein Wandbild in der Bibliothek zu gestalten. Dann entschied ich mich, nach Libanon zu ziehen. Hier konnte ich mitmachen und mehr tun, als nur isoliert zu Hause zu sitzen.

Diala malt ein Bild auf einem großen Papier an einer Wand.
„Bei meinem ersten Wandbild konnte ich sehen, wie es auf Kinder wirkte. Sie liebten es wirklich. Und sie waren sehr neugierig. Die Reaktion dieses kleinen Publikums ermutigte mich, weitere Wandbilder zu malen.“
Foto: K Toftera/IRC

Bei meinem ersten Wandbild konnte ich sehen, wie es auf Kinder wirkte. Sie liebten es wirklich. Und sie waren sehr neugierig. Die Reaktion dieses kleinen Publikums ermutigte mich, weitere Wandbilder zu malen.

Ich begann, Kunsttherapie-Workshops zu veranstalten. Viele der Kinder sahen, wie ihre engen Freund*innen oder ihre Geschwister vor ihren Augen auf furchtbare Weise starben. Da wurde mir klar, dass wir die Kunst nutzen können, um all den Terror in uns auszulöschen.

Als ich in Europa ankam, habe ich nicht mit Schwierigkeiten gerechnet. Ich dachte, dass es vielleicht ein paar schwierige Abläufe oder Prozesse geben könnte, aber wenn man aufgeschlossen genug ist, würde es schon klappen. Tatsächlich gibt es aber riesige kulturelle Unterschiede und auch Sprachbarrieren. Viele Dinge hier schätze ich, aber ich vermisse auch vieles aus meiner eigenen Kultur.

Auf meiner Reise mit der Kunst lerne ich mehr und mehr, dass alles inspirierend ist. Tragödien sind inspirierend, glückliche Momente sind inspirierend, aber man braucht keine außergewöhnlichen Situationen, um inspiriert zu werden. Wer die Augen öffnet, findet sie überall.

Diala sitzt an ihrem Schreibtisch und malt.
„Auf meiner Reise mit der Kunst lerne ich mehr und mehr, dass alles inspirierend ist. Tragödien sind inspirierend, glückliche Momente sind inspirierend, aber man braucht keine außergewöhnlichen Situationen, um inspiriert zu werden. Wer die Augen öffnet, findet sie überall."
Foto: K Toftera/IRC

Man muss kein*e Künstler*in sein, um Kunst zu nutzen und sich mit anderen oder mit sich selbst zu verbinden. Man muss nur ein paar Farben auf Papier  bringen - das reicht schon, und ganz ohne den Frust nach Perfektion zu streben.

Dass meine Kunstwerke um die Welt gehen, überrascht mich. Ich hoffe, dass sie einen Einfluss auf die Menschen haben. Vielleicht verändern sie das Klischee von Geflüchteten.

Diala Brisly ist Teil von „Artists in Exile", einer Agentur, die Künstler*innen mit Fluchthintergrund in Europe unterstützt und hervorhebt.