Menschen mit Behinderungen verlieren nach Flucht und Vertreibung oft nicht nur ihr Zuhause, sondern auch ihr soziales und medizinisches Unterstützungssystem. Dadurch sind sie besonders auf humanitäre Hilfe angewiesen. Das gilt auch für Remedan Jibro aus Äthiopien und seine Familie.

Erfahre in diesem Artikel, wie IRC und das Auswärtige Amt sie nach ihrer Flucht unterstützen.

Ein Mann blickt traurig in die Ferne.
Remedan Jibro, 35, im Binnengeflüchtetenlager „Kyra", in Deder, Äthiopien.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Remedan Jibro ist ein 35-jähriger Familienvater. Er erinnert sich noch daran, wie er als kleines Kind laufen konnte und die Kühe seiner Familie hütete. Dann erkrankte er an Kinderlähmung und musste fortan Krücken verwenden. Trotz seiner Behinderung führte Remedan immer ein unabhängiges Leben. Er arbeitete als Händler, mietete ein Haus, heiratete seine Frau Sartu und bekam mit ihr Tochter Asma (10) und die Söhne Gurmesa (8) und Kindesa (3).

Das Leben nach der Flucht

Vor sechs Jahren brach ein schrecklicher Konflikt aus, der Remedan und seine Familie zwang, ihr Zuhause zu verlassen. Auf ihrer Flucht wurden sie ausgeraubt und verloren ihr gesamtes Hab und Gut.  In einem Lager für Binnenvertriebene stellte ihnen die äthiopische Regierung eine kleine Wellblechunterkunft zur Verfügung. Seitdem lebt die fünfköpfige Familie auf acht Quadratmetern, ohne Zugang zu einer Küche, fließendem Wasser, Strom oder Gas. Anfangs erhielten sie noch staatliche Lebensmittelrationen, doch im Laufe Zeit wurden diese immer weniger.

Eine fünfköpfige Familie in einer Unterkunft für Geflüchtete.
Remedans Familie in ihrer Unterkunft (von links nach rechts): Gumesa Remedan (8), Sartu Siraj (32), Asma Remedan (10), Remedan Jibro (35) und Kindesa Remedan (3).
Foto: Iuna Vieira/IRC

 

Sartu sorgt für den Lebensunterhalt der Familie

Zunächst versuchte Remedan, an seine früheren Tätigkeiten in seiner Heimatstadt Jijiga anzuknüpfen. Doch aufgrund seiner Behinderung war es ihm unmöglich, Arbeit zu finden. Ohne Startkapital konnte er kein eigenes Geschäft eröffnen. In ihrer alten Heimat genoss die Familie einen guten Ruf und hatte ein starkes Netzwerk. Aber im kleinen Dorf neben dem Lager wurden die Binnenvertriebenen skeptisch betrachtet. Das hohe Bevölkerungswachstum führte zu steigenden Preisen für Lebensmittel und Wasser. Insbesondere Sartu litt unter den Vorurteilen der Aufnahmegemeinschaft.

Ein Mann und eine Frau vor einer Wellblechhütte.
Remedan ist sehr stolz auf seine Frau Sartu Saraj (32), weil sie so hart arbeitet und lesen und schreiben kann. „Gott hat mich mit einer gebildeten Frau beschenkt“, sagt er.

Foto: Iuna Vieira/IRC

Da Remedan keine Arbeit finden konnte, ernährt Sartu die Familie. Jeden Tag steht sie früh auf, geht zum einige Kilometer entfernten Markt und versucht, alles zu kaufen und zu verkaufen, was sie in die Hände bekommt. An den meisten Tagen kehrt sie erst um 21:00 Uhr zurück. Dennoch reicht ihr Tagesverdienst meist nur für ein paar Kartoffeln und einen Kohl, den sie und Asma am Abend in der Gemeinschaftsküche vor ihrer Unterkunft zubereiten.

„Ein Mensch kann ohne Essen nicht klar denken. Ich arbeite für meine Kinder. Ich tue alles, damit meine Kinder nicht hungern“, sagt Sartu.

Eine Frau auf einem Markt.
Nur wenn Sartu am Markt genug verdient, kann sie der Familie am Abend etwas zu essen mitbringen.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Eine Frau auf einem Markt.
Sartu kauft einen Kohl fürs Abendessen.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Ein junges Mädchen wird von hinten umarmt und hält einen Kohl.
Sartu und Asma bereiten gemeinsam den Kohl und das restliche Gemüse vor. Wenn Sartu den ganzen Tag auf dem Markt ist, fällt die Rolle der Mutter und Hausfrau oft auf die zehnjährige Asma. Sartu hat deshalb ein schlechtes Gewissen. Sie würde Asma und Gurmesa viel lieber zur Schule schicken, aber der Familie fehlt das Geld.

Foto: Iuna Vieira/IRC

„Ich sitze nur rum und denke an die Vergangenheit“

Remedan ist oft traurig. Er fühlt sich nutzlos, weil er keine Arbeit hat. Im Binnenvertriebenenlager leben nur wenige andere Männer, da viele gezwungen waren, ihre Familien zu verlassen, um anderswo Geld zu verdienen. So bleibt Remedan meist bei den Frauen und Kindern im Lager zurück.

„Ich denke den ganzen Tag darüber nach, warum ich keine Arbeit finde. Dann kommen die Erinnerungen an früher wieder hoch. Von früh bis spät sitze ich nur herum und denke an die Vergangenheit“, sagt Remedan müde.

In solcher Abhängigkeit von anderen zu leben, ist nicht gut. Wie kann mich jemand lieben, wenn ich so von anderen abhängig bin? Dieser Gedanke tut mir sehr weh.

Ein Mann sitzt auf einem Baum und blickt traurig in die Ferne.
Remedan blickt oft minutenlang ins Leere. Er sagt, er denkt noch viel an die Vergangenheit und fühlt sich oft nutzlos, weil er seine Familie nicht mehr versorgen kann.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Remedan lächelt, wenn er seinen dreijährigen Sohn Kindesa sieht. Kindesa, den alle „Kindu“ nennen, folgt seinem Vater auf Schritt und Tritt. Die beiden haben eine besondere Bindung.

„Wenn wir ihn scherzhaft fragen, wen er lieber hat, Mama oder Papa, ruft er sofort 'Papa'!’“, erzählt Sartu und lacht. Remedan und Kindu sind eine Einheit und verbringen jeden Tag zusammen.

Ein Mann hält ein kleines Kind in einem grünen Wald.
Remedan Jibro (35) und sein Sohn Kindesa (3) in den Wäldern neben dem Binnengeflüchteten Lager in Deder, Äthiopien. Die beiden sind unzertrennlich, Kindesa folgt seinem Vater wie ein Schatten.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Ein kleiner Junge bekommt einen Geldschein von einer Frau und geht gemeinsam mit einem Mann mit Krücken Brot kaufen.
Sartu gibt Kindesa das restliche Geld für den Tag. Dann machen sich Remedan und Kindesa auf den Weg, um Brot zu kaufen. Aufgrund seiner Krücken kann Remedan nur langsam gehen, während Kindesa voller Energie ist und wie ein Wirbelwind mehrere Runden im Kreis läuft, während er auf seinen Vater wartet.
Foto: Iuna Vieira/IRC

 

Wie unterstützt IRC Remedan und seine Familie?

Vor drei Jahren kam das IRC nach Deder und untersuchte, was Familien wie die von Remedan am dringendsten benötigen. Daraus entstand ein multisektorales Programm mit drei Komponenten: Gesundheitsversorgung, Bargeldhilfe und Schutz für Frauen und Kinder. Remedans Familie erhält Unterstützung in all diesen Bereichen.

Medizinische Versorgung

Abdurahman Gidi (35) arbeitet als Experte für Gesundheit und Ernährung bei IRC. Er kennt Remedan inzwischen sehr gut. Regelmäßig begleitet er ihn, dicht gefolgt von dem kleinen Kindesa, zur nahe gelegenen Gesundheitsklinik. Wenn Remedan, Sartu oder eines der Kinder krank werden, werden sie hier von IRC Mitarbeitenden kostenlos versorgt.

Bevor IRC hier tätig wurde, gab es nicht genug Medikamente, insbesondere für Kinder, und die Binnenvertriebenen konnten sich keine Gesundheitsversicherungen leisten oder hatten keinen Zugang zur medizinischen Versorgung. IRC hat sich diesen Herausforderungen gestellt und dafür gesorgt, dass die Binnenvertriebenen Zugang zu kostenloser medizinischer Versorgung und Medikamenten haben. Es gibt einen riesigen Unterschied zwischen den Problemen der Vergangenheit und der aktuellen Situation. - Abdurahman Gidi, IRC Gesundheitsexperte

 

Ein Mann betritt hinter einem kleinen Kind eine Wellblechhütte.
Gesundheitsexperte Abdurahman Gidi (35) besucht Remedans Familie und wird direkt von Kindesa begrüßt.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Ein Mann küsst seinen Sohn, während er von einem IRC-Gesundheitsbeauftragten besucht wird
IRC Gesundheitsexperte Abdurahman und Remedan albern mit Kindesa und seinem besten Freund herum.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Ein kleiner Junge gibt seinem Freund ein Küsschen.
Kindesa gibt seinem besten Freund Remedan Nuredin noch ein Abschiedsküsschen, bevor er mit seinem Vater in die Gesundheitsklinik geht.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Ein Mann spricht mit einem Arzt.
Die Gesundheitsklinik ist direkt neben dem Lager der Binnenvertriebenen und ist 24 Stunden täglich geöffnet. Remedan und seine Familie bekommen hier kostenlose medizinische Versorgung und Medizin.
Foto: Iuna Vieira/IRC
Eine Frau zeigt einem Mann ein pinkes Kleidungsstück.
Zusätzlich zu medizinischer Versorgung bekommt die Familie von IRC sogenannte „Dignity Kits” mit den notwendigsten Hygiene produkten und Kleidung. Sartu zeigt Remedan stolz ihr neuestes Kleid aus dem Dignity Kit.
Foto: Iuna Vieira/IRC

 

Schutzprogramme für Kinder

Kinder wie Asma, Gurmesa und Kindesa, die nicht zur Schule gehen können, nehmen regelmäßig an den Schutzprogrammen von IRC teil. Diese Programme finden im „Kinder- und Jugendschutzzentrum“ statt, das IRC neben den Unterkünften der Binnenvertriebenen eingerichtet hat. Insbesondere Asma blüht hier auf. Im Alltag ist sie es, die Wasser für die gesamte Familie tragen und ihre kleinen Geschwister versorgen muss, wenn Sartu arbeitet und Remedan aufgrund seiner körperlichen Behinderung nicht dazu in der Lage ist. Auf dem Spielplatz des Kinderzentrums kann sie endlich herumtoben und einfach nur Kind sein. Die IRC-Kinderschutzbeauftragte Iftu kennt die Familie und Asmas Geschichte gut und betreut sie hier so gut sie kann. Für Frauen gibt es direkt neben dem „Kinder- und Jugendschutzzentrum” ein „Safe Space”, wo sie an Workshops über Frauenrechte teilnehmen und psychologische Unterstützung erhalten können.

Ein Mädchen und ein Junge auf einer grünen Rutsche.
Asma und Gurmesa besuchen keine Schule, nehmen jedoch regelmäßig an den Angeboten im „Kinder- und Jugendschutzzentrum” von IRC teil. Hier kann auch Asma wieder Kind sein und mit ihren Brüdern spielen, anstatt auf sie aufzupassen.
Foto: Iuna Vieira/IRC

 

Ein Mädchen und ein Junge schaukeln.
Die IRC-Kinderschutzbeauftragte Iftu kennt die Familie und Asmas Geschichte gut und betreut sie hier so gut sie kann.
Foto: Iuna Vieira/IRC

 

Bargeldhilfe

Die dritte Komponente der Hilfe, die Remedans Familie von IRC erhält, ist finanzielle Hilfe in Form von drei Runden Bargeldzahlungen. Das meiste Geld verwenden sie, um lebenswichtige Nahrungsmittel zu kaufen. Remedan hofft, irgendwann genug Geld sparen zu können, um wieder ein eigenes Geschäft zu gründen und die Kinder zur Schule zu schicken. Derzeit reicht das Geld noch nicht aus, um diese Träume zu erfüllen. Aber die Hilfe von IRC zeigt der Familie, dass sie nicht allein sind und nicht vergessen werden.

„Für Menschen, die nichts zu essen haben, sind diese drei Runden Bargeldhilfen ein großer Fortschritt. Am Tag, an dem die erste Bargeldhilfe ausgezahlt wurde, strahlten die Menschen. Ich war so erleichtert und glücklich für sie”, erzählt Abdurahman, als er Remedan zur Bank begleitet, damit er die dritte Runde Bargeldhilfe erhält.

Ein Mann in einer Bank zählt Geld.
Remedan bekommt auf der Bank die dritte Runde Bargeldhilfe ausgezahlt. Zur Feier des Tages war er beim Friseur.
Foto: Iuna Vieira/IRC

 

Eine Frau hält einen Sack voll Getreide
Sartu lässt Getreide mahlen, das sie mit der Bargeldhilfe von IRC kaufen konnte.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Remedan und seine Familie haben noch einen langen Weg vor sich, bevor sie sich wieder stabil und sicher fühlen können und mit den Erinnerungen an ihr früheres Leben und die Flucht Frieden schließen. Insbesondere für Remedan bedeutet die Vertreibung nicht nur den Verlust seines Zuhauses, sondern auch seiner Unabhängigkeit und seiner Fähigkeit, für die Familie zu sorgen. Der Konflikt hat zahlreiche Familien auseinandergerissen, aber Remedan, Sartu und die drei Kinder halten zusammen. Dank der Finanzierung des Auswärtigen Amts kann IRC die Familie dabei unterstützen, ihren Grundbedarf zu decken und die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufrechtzuerhalten.

Eine Familie sitzt in einem grünen Wald.
Remedan und seine Familie haben durch ihre Flucht viel verloren. Als Familie sind sie dadurch aber nur noch enger zusammengewachsen.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Die Arbeit von IRC in Deder und anderen Regionen Äthiopiens ist Teil des regionalen Afrika-Projekts, das IRC in neun afrikanischen Ländern – Äthiopien, Burkina Faso, Burundi, Tschad, Demokratische Republik Kongo, Kenia, Südsudan, Sudan und Tansania – durchführt. Ein Schwerpunkt liegt auf der Versorgung von Menschen mit Behinderungen, die besonders von Konflikten und Vertreibungen betroffen sind. Insgesamt erreicht das regionale Afrika-Projekt, das vom Auswärtiges Amt (German Federal Foreign Office) finanziert wird, fast 390.000 Menschen