Der Konflikt in Syrien geht in sein vierzehntes Jahr und hinterlässt eine ganze Generation, die das Land nur im Kriegszustand kennt. Eltern, die den Ausbruch des Konflikts 2011 miterlebt haben, stehen nun vor der Herausforderung, das Überleben ihrer Kinder zu sichern. 

Die hohe Inflation, die Abwertung des syrischen Pfunds und der drastische Anstieg der Lebensmittelpreise haben die wirtschaftliche Lage in Syrien im letzten Jahr verschlechtert. Dadurch können viele Familien sich nicht mehr genug Lebensmittel leisten und die Unterernährungsrate bei Kindern unter fünf Jahren ist rapide angestiegen. Zusätzlich haben viele Familien keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser. All das hat dazu geführt, dass 16,7 Millionen Menschen (75 Prozent davon Frauen und Kinder) auf humanitäre Hilfe angewiesen sind.

IRC-Kliniken unterstützen Binnenvertriebene in Syrien

Syrien ist nach wie vor das Land mit den meisten Binnenvertriebenen weltweit: 6,8 Millionen Menschen wurden aus ihrer Heimat vertrieben. Binnenvertriebene, die in Notunterkünften leben, haben oft keinen Zugang zu medizinischer Versorgung. Da es in vielen Notunterkünften keinen gesicherten Zugang zu sauberem Wasser gibt, steigt das Risiko für Krankheiten wie Cholera.  IRC leistet seit 2012 humanitäre Hilfe in Syrien. Seit 2018 arbeitet IRC mit dem Auswärtigen Amt zusammen, um besonders schutzbedürftige Familien umfassend zu unterstützen. 

IRC bietet diesen Familien wichtige medizinische Dienstleistungen an, darunter: 

So erkennt das IRC-Gesundheitsteam Mangelernährung

Das IRC-Gesundheitsteam misst mit einem „MUAC-Band“ den mittleren Oberarmumfang von Kindern. So können sie schnell feststellen, ob ein Kind von Mangelernährung bedroht ist und ob sich sein Zustand während der Behandlung verbessert.

Ein kleines Mädchen in einem gelben T-Shirt erhält eine Impfung in den Arm, während eine Person sie sanft festhält.
Alena* ist aktuell nicht von Mangelernährung betroffen.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Als Alena über Bauchschmerzen klagte, brachte ihre Mutter Dima* sie in die IRC-Klinik. Dima macht sich Sorgen um die Gesundheit ihrer Kinder, insbesondere wegen der schlechten Wasserqualität und da sie ihnen nur selten frisches Obst und Gemüse besorgen kann.

Ein Arzt in Schutzkleidung hält ein kleines Kind in gelber Kleidung in einer medizinischen Einrichtung, während er es vermutlich untersucht.
Zum Glück konnte Dr. Mujahed, der die Familie gut kennt, Dima beruhigen: Alenas Bauchschmerzen waren harmlos und gut behandelbar.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Dima konnte in der IRC Apotheke Medikamente für Alena kaufen. Sie ist dankbar für das Angebot des IRC-Gesundheitsteams: „Sie geben uns nicht das Gefühl, dass wir Geflüchtete sind. Sie kümmern sich um unsere Kinder, kontrollieren Fieber, Gewicht und führen umfangreiche Tests durch, bevor sie uns Medikamente verschreiben”, sagt sie.

Eine syrische Mutter und ihre Tochter verlassen ein Gebäude.
Alena und ihre Mutter Dima vor der IRC-Klinik in der Notunterkunft.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Warum bleibt Mangelernährung oft unerkannt?

Durch den 14-jährigen Krieg in Syrien ist auch die wirtschaftliche Lage sehr angespannt. 90 Prozent der Menschen leben unter der Armutsgrenze und 60 Prozent sind von Ernährungsarmut betroffen. Hinzu kommt, dass die stetig steigenden Preise es vielen Familien unmöglich machen, Lebensmittel, Medikamente oder Arztbesuche zu finanzieren. Selbst Familien mit gesichertem Einkommen können sich Arztbesuche kaum leisten. Sie gehen oft nur in Notfällen zum Arzt und müssen auf Routineuntersuchungen verzichten. So wird Mangelernährung häufig zu spät erkannt.

Eine Frau mit grauem Kopftuch sitzt neben einem Kind in roter Kleidung, beide blicken ernst in die Kamera.

Bei der zwei-jährigen Jana* konnte Mangelernährung durch einen Hausbesuch des IRC-Gesundheitsteams festgestellt werden. Janas Vater arbeitet als Lehrer, während ihre Mutter Rahsa* sich um sie und ihre sechs Geschwister kümmert. Jana ist die Jüngste und versteckt sich hinter ihrer Mutter, wenn sie Fremde sieht. „Sie ist ein ruhiges und liebes Mädchen. Sie hat unser Leben noch schöner gemacht“, schwärmt Rasha von ihrer Tochter.

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Ein Kind in roter Kleidung schaut nach vorne, während es von einer Person gehalten wird.

Vor einiger Zeit begann Jana stark abzunehmen und schlief ungewöhnlich viel. Obwohl die Familie genug zu essen hatte und  Jana wie gewohnt aß und trank, verlor sie weiterhin Gewicht. Bei einem Besuch des IRC-Gesundheitsteams wurde bei Jana Mangelernährung diagnostiziert. Der Grund: Das Mädchen hatte eine Wurminfektion.

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Eine Frau mit Kopftuch hält ein Kind, während sie einer Frau im Niqab an einem Schreibtisch gegenübersitzt.

In der IRC-Klinik in der Nähe des Heimatdorfs der Familie wurde Janas Wurminfektion behandelt und die Familie erhielt wöchentlich mehrere Einheiten einer Erdnusspaste, die speziell zur Behandlung von Mangelernährung bei Kindern zwischen sechs Monaten und fünf Jahren entwickelt wurde. Dank der Behandlung erreichte Jana schnell ihr Normalgewicht.

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Eine Frau in einem schwarzen Niqab und medizinischem Kittel untersucht ein Dokument oder Bild in einem Büro.

Krankenschwester Mariam* erklärt wie die Erdnusspaste verabreicht werden kann. „Durch die Behandlung hat sich Janas Gesundheit verbessert und sie ist wieder viel aktiver geworden“, sagt Janas Mutter.

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Eine syrische Mutter hält ihr Kind im Arm.

„Die Klinik bietet wichtige Dienstleistungen in unserer Gemeinde. Seit die Klinik eröffnet wurde, konnten wir uns hohe Kosten für Privatärzt*innen sparen. Manchmal haben wir Symptome, die uns auf den ersten Blick harmlos erscheinen. Die Gesundheitsteams können bei ihren Hausbesuchen erkennen, bei welchen gesundheitlichen Problemen wir besser zum Arzt gehen sollten“, erklärt Rahsa.

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Mütter und Kinder am stärksten gefährdet

Das IRC-Gesundheitsteam in Syrien weiß aus Erfahrung, dass Mangelernährung bereits im Mutterleib entstehen kann, wenn die Mutter nicht ausreichend mit Nährstoffen versorgt wird. Deshalb ist die Aufklärungs- und Präventionsarbeit mit werdenden und stillenden Müttern einer der wichtigsten Arbeitsbereiche des Gesundheitsteams. Fast jede IRC-Klinik hat ein eigenes Aufklärungsprogramm für Eltern zum Thema Säuglings- und Kleinkindernährung.

Eine Frau in einem blauen Kopftuch hält ein kleines Kind in einer Notunterkunft für Geflüchtete, umgeben von Zelten und Decken, die als Sichtschutz aufgehängt sind.
Die 25-jährige Amal* lebt mit ihren fünf Kindern in einer Notunterkunft für Geflüchtete im Nordosten Syriens.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Bei Amals* drittjüngstem Sohn Naji* wurde vor einem Jahr Mangelernährung diagnostiziert. Sie erinnert sich noch mit Schrecken an diese Zeit „seine Nägel und Haare hörten auf zu wachsen und er hatte Entwicklungsverzögerungen“. Naji wurde von einer Partnerorganisation von IRC mit der Erdnusspaste behandelt.

Eine Gruppe syrischer Kinder spielt lachend zusammen in einer Notunterkunft.
Naji muss seine schönen langen Haare zu einem Zöpfchen binden, damit sie ihn nicht stören, wenn er ausgelassen mit seinen Geschwistern spielt.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Vor einigen Monaten ist Amal Mutter von Zwillingen geworden. Während der Schwangerschaft und Stillzeit wurde sie vom IRC-Gesundheitsteam intensiv betreut. 

Eine lächelnde Frau in einem grauen Kopftuch hält ein Baby auf ihrem Schoß
Amal mit ihrem jüngsten Sohn Hamoudi* bei einer Untersuchung in der IRC-Klinik.
Foto: Iuna Vieira/IRC

„Die Hebamme war sehr nett zu mir. Sie behandelt mich nicht nur wie eine Patientin, sondern wie eine Freundin. Sie hat mir gezeigt, wie ich die Zwillinge am besten stille, wie ich die Stillzeiten am besten einteile und was ich essen und trinken muss, damit ich selbst genug Flüssigkeit zu mir nehme“, sagt sie.

Eine syrische Frau sitzt in einer Notunterkunft während einer medizinischen Beratung mit einer Gesundheitshelferin, die sie unterstützt.
IRC-Hebamme Mariam* berät Amal während der Stillzeit und zeigt ihr, worauf sie achten muss, damit sie und ihre beiden Babys ausreichend mit allen wichtigen Nährstoffen versorgt sind.
Foto: Iuna Vieira/IRC

Kinderarbeiten als letzter Ausweg

Durch den Konflikt wurden viele Kinder in Syrien von ihren Eltern getrennt oder sind verwaist. So auch die Brüder Shadi *(10) und Nour* (8). Ihr Vater ist eines Tages zur Arbeit gegangen und nie wieder zurückgekehrt, die Familie ist überzeugt, dass er getötet wurde. Die Mutter der beiden Jungen heiratete wieder und ließ die Kinder bei den Großeltern.

Großvater Faisal* und Großmutter Khadija* mit ihren adoptierten Enkelkindern Nour und Shadi.
Großvater Faisal* und Großmutter Khadija* mit Enkelsöhnen Nour* (8) und Shadi *(10).
Foto: Iuna Vieira/IRC

Großvater Faisal* und Großmutter Khadija* haben selbst 14 Kinder großgezogen und hatten vor dem Krieg ein gutes Leben. Jetzt leben sie mit ihren beiden Enkeln in einem informellen Flüchtlingslager neben einem kilometerlangen Müllfeld. Ihre Kinder sind über das ganze Land verstreut oder im Ausland. Die vier leben vom Lohn eines einzigen Sohnes, der noch in der Nähe wohnt.

Großmutter Khadija
Khadija hat 14 Kinder großgezogen. Nun sorgt sie sich um ihre beiden Enkelsöhne, denn die Familie hat kaum Geld für Lebensmittel.
Foto: Iuna Vieira/IRC

„Die Lebensbedingungen hier sind unvorstellbar schlecht. Ich bin seit fünf Jahren für meine Enkelkinder verantwortlich. Wenn sie im Lager andere Kinder mit einer Banane sehen, fangen sie an zu weinen, weil wir uns das nicht leisten können“, sagt Großmutter Khadija. 

An manchen Tagen konnte sich die Familie nicht einmal ein Stück Brot leisten. Als es Nour, dem jüngeren der beiden Brüder, immer schlechter ging, erlaubte Khadija ihrem zehnjährigen Enkel Nour, mit ihr auf dem Müllfeld zu arbeiten, um ein wenig Geld für Essen zu verdienen.

Die Brüder Nour (8) und Shadi (10).

Die Brüder Nour (8) und Shadi (10). Als bei Nour Mangelernährung festgestellt wurde ging Shadi mit seiner Großmutter auf der Mülldeponie arbeiten um Geld für Lebensmittel zu verdienen

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Eine riesiges Müllfeld auf dem eine Frau Müll sammelt.

Auf dem riesigen Müllfeld arbeiten vorwiegend Frauen und Kinder. Die Männer versuchen in den umliegenden Städten in der Landwirtschaft oder im Baugewerbe Geld zu verdienen.

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Ein Kind hält eine Spielkarte die es im Müll gefunden hat.

Ein Kind das auf dem Müllfeld arbeitet, zeigt stolz ein paar Spielkarten die es gefunden hat.

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Nour und Shadi bauen Schlösser mit Bauklötzen.

Dank der Intervention von IRC kann Shadi wieder mit seinem Bruder spielen statt auf dem Müllfeld zu arbeiten.

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Shadi auf dem weg zur schule mit schulranzen.

Mit der Unterstützung von IRC geht Shadi nun wieder zur Schule.

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IRC-Mitarbeiter Nabil* erfuhr von der Situation der Familie und besucht sie seitdem regelmäßig. Er erklärte den Großeltern, dass die Kinder die größte Chance auf ein besseres Leben haben, wenn sie jetzt zur Schule gehen. IRC finanzierte der Familie Spielzeug, Schulsachen und Winterjacken. Die Großeltern beschlossen, Nour und Shadi wieder zur Schule zu schicken. Nabil brachte ihnen Lesen und Schreiben bei und holte mit ihnen nach, was sie in der Schule versäumt hatten. Dank der Hilfe von Nachbarn und Verwandten hat sich Nours Gesundheitszustand stabilisiert, aber die Familie ist immer noch akut durch Mangelernährung bedroht und auf die Hilfe von Organisationen wie IRC angewiesen. Vor kurzem hat IRC ein kleines medizinisches Notfallzelt im Camp eröffnet, um Patient*innen wie dem kleinen Nour noch besser helfen zu können.

Eltern und Verwandte von Kindern, die durch den Krieg in Syrien von Mangelernährung betroffen sind, tun alles, um ihren Kindern zu helfen. Durch Aufklärungs- und Präventionsmaßnahmen setzt sich IRC dafür ein, dass Mangelernährung gar nicht erst entsteht. Die Diagnose von Mangelernährung ist ein wichtiger erster Schritt, um eine Behandlung zu ermöglichen. Deshalb untersuchen IRC-Gesundheitsteams die Kinder regelmäßig bei Hausbesuchen und in der Klinik. Sie leiten bei Betroffenen sofort eine Behandlung ein. Diese Leistungen sind Teil des Projekts „kritische multisektorale humanitäre Hilfe für konfliktbetroffene Haushalte in Nordsyrien“, das IRC seit 2018 gemeinsam mit dem Auswärtigen Amt umsetzt. 

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Auswärtiges Amt

Das Projekt wird vom Auswärtigen Amt (GFFO) finanziert.

*Namen aus Datenschutzgründen geändert