Nach einem Jahr Ukrainekrieg ist ein Ende der Auseinandersetzungen nicht in Sicht. Millionen von Zivilist*innen können nicht nach Hause zurückkehren. Innerhalb der letzten zwölf Monate haben ungefähr 14 Millionen Menschen ihr Zuhause verlassen müssen, um sich und ihre Liebsten in Sicherheit zu bringen. Meist sind sie überstürzt vor Kämpfen geflohen und konnten nur das Nötigste mitnehmen. Den Familien, die geblieben sind, fehlt es nun im Winter am Notwendigsten, wie Essen und Trinken, medizinischer Versorgung, Strom und Wärme.
Dies ist keine isolierte Krise - die Auswirkungen des Krieges sind auf der ganzen Welt zu spüren. Die Blockade der ukrainischen Getreideexporte hat den Hunger in einigen der am stärksten gefährdeten Regionen der Welt verschlimmert. Auch wenn internationale Bemühungen dazu beigetragen haben, diese Lieferungen wieder aufzunehmen, ist die Lage nach wie vor prekär. In Ostafrika zum Beispiel hat die Kombination aus anhaltender Dürre, der Blockade und den wirtschaftlichen Folgen des Krieges dazu geführt, dass Massen von Hunger betroffen sind. Ohne dringende internationale Hilfe steht das Leben von Millionen von Menschen auf dem Spiel.
Dieser Artikel informiert über die Auswirkungen des Krieges in der Ukraine auf die Menschen innerhalb der Landesgrenzen und auf die Menschen in aller Welt.
Wie sieht das Leben in der Ukraine aus?
Der anhaltende Konflikt in der Ukraine bedroht das Leben der Zivilbevölkerung und nimmt Millionen Menschen den Zugang zu Nahrung, Wasser und anderen lebenswichtigen Gütern. Unschuldige Zivilist*innen wurden auf grausame Weise in den Konflikt hineingezogen. Seit dem 24. Februar 2022 sind fast 19.000 Menschen ums Leben gekommen. Mehr als 7.200 Menschen wurden getötet, wobei die tatsächliche Zahl wahrscheinlich viel höher ist. Mehr als 5,4 Millionen Menschen wurden innerhalb des Landes vertrieben.
Die Schäden an der zivilen Infrastruktur, einschließlich Krankenhäusern und Schulen, sind katastrophal. In den letzten Wintermonaten haben Familien Schutz in beschädigten Gebäuden gesucht, die für plötzliche Temperaturstürze oder starken Schneefall nicht geeignet sind.
Ab Oktober 2022 wurden durch Luftangriffe noch mehr Menschen im ganzen Land der Kälte ausgesetzt, ohne Zugang zu Gas, Strom oder zentralen Heizsystemen. An nur einem Tag Mitte November waren über 7 Millionen Menschen aufgrund der Kämpfe ohne Strom
Angriffe auf die Infrastruktur
Durch die Raketenangriffe wurden zwischen 30 und 50 % des ukrainischen Stromnetzes beschädigt. Der Gesamtschaden an der Energieinfrastruktur in der Ukraine wird auf mindestens 113,5 Milliarden US-Dollar geschätzt. Vor allem die Zerstörung von Wasserleitungen hat dazu geführt, dass bis zu 16 Millionen Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser oder sanitären Einrichtungen haben und einem größeren Risiko von Krankheiten ausgesetzt sind, die durch Wasser übertragen werden.
Der anhaltende Krieg in der Ukraine treibt das Land weiter in eine humanitäre Katastrophe, da den Krankenhäusern die medizinische Versorgung fehlt und Familien keinen Zugang zu Lebensmitteln und anderen lebenswichtigen Ressourcen haben.
Wie sieht das Leben der Menschen aus, die der Krieg in der Ukraine vertrieben hat?
Der Krieg in der Ukraine hat die am schnellsten anwachsende Fluchtbewegung in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg ausgelöst. Die Mehrheit der Vertriebenen sind Frauen und Kinder, die in Krisenzeiten am häufigsten von Ausbeutung und Missbrauch bedroht sind.
Wie viele Geflüchtete aus der Ukraine gibt es?
Im November 2022 waren in ganz Europa über 8 Millionen Geflüchtete aus der Ukraine registriert.
Wo haben die meisten Geflüchteten aus der Ukraine Schutz gefunden?
Geflüchtete aus der Ukraine finden vor allem in den Nachbarländern Schutz. Polen gewährt über 1,5 Millionen Menschen Schutz. Andere Nachbarländer wie Ungarn, Rumänien, die Slowakei und Moldawien haben jeweils Zehntausende Geflüchtete aus der Ukraine aufgenommen. Die Tschechische Republik ist derzeit das Land, das pro Kopf der Bevölkerung die meisten Geflüchteten in Europa aufnimmt und fast einer halben Million Menschen Schutz gewährt hat.
Wie sieht das Leben geflüchteter Frauen und Kinder aus?
Krisen verschärfen bestehende Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, auch geschlechtsspezifische Gewalt nimmt zu. Frauen auf der Flucht haben oft Schwierigkeiten, Zugang zu wichtiger Gesundheitsfürsorge wie prä- und postnatale Betreuung zu erhalten. Diese Dienste sind in Krisen oft nur sehr eingeschränkt verfügbar.
Kinder, die aus der Ukraine fliehen müssen, werden aus ihrem sicheren Umfeld gerissen, ihre Ausbildung wird unterbrochen und in einigen Fällen werden sie sogar von ihren Familien getrennt.
Welche Auswirkungen hat der Krieg in der Ukraine auf den Rest der Welt?
Der Krieg in der Ukraine hat dramatische Auswirkungen für die Menschen im Land und Vertriebene, aber auch für globale Märkte und die weltweite Nahrungsmittelversorgung. Weil die Ukraine in den ersten fünf Kriegsmonaten kein Getreide exportieren konnte, hat sich der globale Hunger massiv verschärft – mit katastrophalen Folgen für die ganze Welt.
Warum ist Getreide aus der Ukraine so wichtig?
Die Ukraine ist seit jeher ein großer Exporteur von Getreide. Im vergangenen Jahr ernährte das Getreide aus der Ukraine 400 Millionen Menschen auf der ganzen Welt. In den ersten fünf Monaten war die Ukraine jedoch nicht in der Lage, ihr Getreide über wichtige Schiffsrouten durch das Schwarze Meer zu exportieren.
Länder, die auf dieses Getreide angewiesen sind, haben folglich darunter gelitten. Mehrere Länder im Nahen Osten sowie auf dem afrikanischen Kontinent waren bereits aufgrund von Konflikten und Klimawandel von Hunger betroffen. Der Krieg in der Ukraine hat die Nahrungsmittelknappheit und den Hunger noch verschärft.
Welche Länder sind vom Krieg in der Ukraine betroffen?
Die globalen Auswirkungen des Krieges haben katastrophale Folgen für andere Länder, die bereits mit Konflikten und Krisen kämpfen.
Ostafrika steht vor einer drohenden Hungersnot. Aufgrund des Krieges in der Ukraine ist die Region von einer schweren Dürre und einer Unterbrechung der Nahrungsmittelversorgung betroffen. In der gesamten Region haben 21,7 Millionen Menschen keinen Zugang zu ausreichender Nahrung, und 1,5 Millionen Kinder sind von lebensbedrohlicher Unterernährung bedroht.
Somalia hat mit der schlimmsten Dürre seit 40 Jahren zu kämpfen und befindet sich derzeit inmitten der sechsten ausgefallenen Regenzeit. Zusammen mit den Auswirkungen des jahrzehntelangen Konflikts hat dies dazu geführt, dass das Land in hohem Maße von Getreideimporten aus der Ukraine und Russland abhängig ist. Bis Mitte 2023 werden mehr als 8 Millionen Menschen - fast die Hälfte der Bevölkerung - von krisenhafter Ernährungsunsicherheit betroffen sein, da das Land von einer akuten Hungersnot bedroht ist.
Im Nahen Osten sind seit Ausbruch des Krieges Preise für Weizen und Treibstoff enorm gestiegen. Syrische Geflüchtete sind mit am stärksten betroffen, da viele nicht über das nötige Einkommen verfügen, um die drastisch gestiegenen Lebenshaltungskosten zu decken. Vor kurzem wurde das Land auch von einem starken Erdbeben der Stärke 7,8 erschüttert.
In Mittelamerika liegen die Preise für Grundnahrungsmittel weit über dem Fünfjahresdurchschnitt. Infolge politischer Instabilität, Unsicherheit und dem Klimawandel sind 13 Millionen Menschen in der Region von zunehmendem Hunger bedroht.
Was versteht man unter dem Getreide-Deal in der Ukraine?
Im Juli ermöglichte das von den Vereinten Nationen ausgehandelte Getreideabkommen der Ukraine die Wiederaufnahme ihrer Exporte - ein entscheidender Schritt zur Bewältigung der wachsenden weltweiten Hungerkrise. Das Getreideabkommen wird jedoch im März auslaufen. Bei einer Wiedereinführung der vollständigen Blockade könnten 80 Prozent der Getreideeinfuhren aus der Region auf den afrikanischen Kontinent gestoppt werden.
„Die internationale Gemeinschaft muss sicherstellen, dass regelmäßige und vorhersehbare Lebensmittellieferungen die von Hunger bedrohten Menschen erreichen und dass die ukrainischen Landwirte in der Lage sind, ihre Ernte sicher anzubauen und zu den Häfen zu transportieren", sagte Marysia Zapasnik, die IRC-Länderdirektorin der Ukraine.
Was muss jetzt geschehen?
Die Beendigung der Gewalt gegen die Zivilbevölkerung ist einer der wichtigsten Schritte, um den Ukrainern zu helfen, ihr Leben wieder aufzubauen. Die führenden Politiker*innen der Welt müssen dafür sorgen, dass das humanitäre Völkerrecht eingehalten wird und dass humanitäre Akteur*innen geschützt werden und Zugang erhalten, um den Betroffenen zu helfen.
Die Weltgemeinschaft muss weiterhin sowohl geflüchtete Menschen aus der Ukraine, als auch Millionen Geflüchtete und Vertriebene weltweit unterstützen. Während die Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, zu Recht weltweit Unterstützung bekommen, dürfen Menschen, die in anderen Regionen der Welt vor Konflikten und Krisen fliehen nicht vergessen werden – sei es in Afghanistan, Äthiopien, der Demokratischen Republik Kongo, Jemen oder Syrien.
Im Kampf gegen den Hunger in Ostafrika und anderen Regionen muss die internationale Gebergemeinschaft dringend Mittel für Helfende vor Ort bereitstellen, damit sie die Betroffenen mit Nahrungsmitteln, Bargeld aber auch sauberem Trinkwasser und medizinischer Versorgung erreichen können.
Wie hilft IRC?
IRC erweitert seine Hilfsmaßnahmen in der Ukraine, in Polen und in Moldawien, um den sich verändernden Bedürfnissen der vertriebenen Familien nachzukommen. Dies umfasst:
- Bargeldhilfe für verschiedene Zwecke, um sicherzustellen, dass die Familien ihre Grundbedürfnisse decken können;
- Verteilung von lebenswichtiger Winterausrüstungen wie Decken, Schlafsäcken und Heizgeräten, um die Menschen warm zu halten;
- Schaffung grundlegender Schutzdienste, einschließlich sicherer Safe Healing and Learning Spaces für Kinder, Angebote zum Schutz vor geschlechtsspezifischer Gewalt und Frauenzentren sowie Rechtsberatung für Menschen, deren Häuser durch Luftangriffe beschädigt wurden;
- Bereitstellung von Informationen über Rechte und rechtliche Unterstützung.
Wir unterstützen ukrainische Geflüchtete in Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Bulgarien sowie in Deutschland, Italien, Griechenland und dem Vereinigten Königreich. Außerdem unterstützen wir neu angesiedelte Familien in den USA.
Erfahren Sie mehr über die Nothilfe von IRC in der Ukraine und in Polen.
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*Name aus Datenschutzgründen geändert.