Wie können wir sicherstellen, dass Friedensförderung in humanitären Maßnahmen und in der Entwicklungszusammenarbeit integriert wird, während gleichzeitig lokale Vorstellungen von Frieden und Konflikt respektiert und keine Konflikte verschärft werden? Diese Frage steht im Mittelpunkt der derzeitigen 3-Jahresstudie des Bonn International Centre for Conflict Studies (BICC), die in Zusammenarbeit mit der Welthungerhilfe, Malteser International und IRC Deutschland von 2021 bis 2024 durchgeführt und vom Bundesministerium für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) finanziert wird.
Die Studie richtet ihr Augenmerk auf die Umsetzung des Humanitarian-Development-Peace-Nexus (HDP-Nexus) in den Ländern Mali, Südsudan und Irak. Diese Länder wurden aufgrund ihrer besonders komplexen Konfliktsituationen ausgewählt, um die Grenzen und möglichen Stärken des HDP-Nexus-Ansatzes zu untersuchen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Frage, inwieweit der HDP-Ansatz eine stärkere Teilhabe lokaler Akteur*innen ermöglicht.
Was ist der HDP-Nexus?
Das Wort „Nexus“ stammt aus dem Lateinischen und bedeutet „Verbindung“ oder „Verknüpfung“. Im Kontext des Humanitarian-Development-Peace Nexus (HDP-Nexus oder Triple Nexus) bezieht es sich auf die enge Verknüpfung von drei Bereichen: humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung. Diese Verbindung zielt darauf ab, effektiver auf die Bedürfnisse der betroffenen Gemeinschaften einzugehen, indem diese verschiedenen Aspekte koordiniert werden, um nachhaltige Lösungen für Konflikte und humanitäre Notlagen zu schaffen.
Der HDP-Nexus ist auf dem Global Humanitarian Summit 2016 entstanden und ist eine erweiterte Version des Nexus zwischen humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Die Integration der Friedenskomponente auf politischer Ebene und in der Umsetzung des HDP-Nexus hebt die Bedeutung einer zentralen Koordination zwischen den drei Komponenten in langanhaltenden Krisen hervor und geht über den traditionellen LRRD-Ansatz (Linking Relief, Rehabilitation and Development) hinaus.
Zusammenarbeit von NGOs und Forschung
Das Forschungsprojekt wurde vom BICC in enger Zusammenarbeit mit der deutschen Welthungerhilfe, Malteser International und IRC entwickelt, die ebenfalls im Mittelpunkt dieses Forschungsprojekts stehen. Im Rahmen der Untersuchung arbeitet das BICC vor allem mit Fachkräften lokaler NGOs und lokaler Umsetzungspartner sowie der lokalen Bevölkerung zusammen. Die Kooperationen dienen sowohl der organisatorischen Unterstützung als auch dem Wissenstransfer. Gleichzeitig sind Interviews in drei verschiedenen lokalen Gemeinschaften pro Land ein zentraler Bestandteil des Projekts. Diese Interviews sollen analysieren, wie die Umsetzung des HDP-Ansatzes auf lokaler Ebene wahrgenommen wird und inwiefern lokale Konzepte von Konflikt, Konfliktlösung, Versöhnung und Frieden in die Projektarbeit einfließen.
Ein entscheidendes Ergebnis dieser Studie ist die Identifikation der Potenziale und Gefahren bei der Integration von Friedensförderungsmaßnahmen in die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. Als direkte Konsequenz dieser Untersuchung werden klare Empfehlungen erarbeitet, um NGOs dabei zu unterstützen, lokale Gegebenheiten effektiver und konfliktsensibel in ihre HDP-Prozesse einzubeziehen.
Zudem wird eine interaktive HDP-App entwickelt, mit der NGO-Partner die Chancen und Risiken von vergangenen und aktuellen Nexus-Projekten anhand lokaler Konzepte für Konflikt und Frieden bewerten können. Diese App hat auch das Ziel, die Informationslücken zwischen den Mitarbeitenden in den Bereichen humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung zu schließen und ein besseres Verständnis dafür zu schaffen, wie gemeinsame Ergebnisse erreicht werden können.
Auf diese Weise leistet das Forschungsprojekt einen bedeutenden Beitrag zur konzeptionellen Debatte über einen Bottom-up-Ansatz im Rahmen des HDP-Ansatzes und zu den praktischen Möglichkeiten seiner Umsetzung für Durchführungsorganisationen. Der Bottom-up-Ansatz beinhaltet die Einbeziehung der Gemeinschaften vor Ort bei der Gestaltung und Umsetzung von Projekten, um sicherzustellen, dass diese ihren Bedürfnissen entsprechen und nachhaltig sind.
IRC an der Schnittstelle von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit
IRC arbeitet an der Schnittstelle von humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit. In einer Zeit, die von komplexen humanitären Krisen geprägt ist, steht die humanitäre Hilfe vor der Herausforderung, schnelle Lösungen zu finden, während sie gleichzeitig mit einer zunehmenden Dauer von Krisen und einer Finanzierungslücke konfrontiert ist. Die Entwicklungszusammenarbeit hingegen ist auf langfristige Partnerschaften und nachhaltige Ergebnisse ausgerichtet und weniger für akute Krisensituationen geeignet.
In diesem Kontext gewinnt der HDP-Nexus-Ansatz an Bedeutung. IRC verfolgt ihn, um die systemischen Ursachen von Konflikten, Gewalt und Vertreibungen durch Ansätze aus den Bereichen Entwicklungszusammenarbeit, humanitäre Hilfe und Friedensförderung in der Projektarbeit zu bearbeiten. Dies ist besonders wichtig in einer Zeit, in der komplexe Notsituationen anhalten und die Anforderungen an humanitäre Organisationen und Entwicklungszusammenarbeit steigen. Der HDP-Nexus-Ansatz bietet einen Rahmen, um diesen Herausforderungen gerecht zu werden und positive Veränderungen in Krisenkontexten zu bewirken.
Der Ansatz von IRC umfasst:
- die Bereitstellung von lebensrettender humanitärer Hilfe in akuten Krisensituationen,
- die Zusammenarbeit mit Gemeinschaften und anderen Akteuren, um die Kapazität der Betroffenen zu stärken, und
- die Förderung von Frieden, indem zugrunde liegende Konfliktursachen angegangen werden.
Zusätzlich zu diesen Maßnahmen nutzt IRC integrierte sektorübergreifende Programmansätze, um auf verschiedene Ursachen von Konflikten einzugehen. Dies beinhaltet auch die Verwendung von Kontextanalysetools, um Programme an lokale Gegebenheiten anzupassen, und adaptive Steuerung, um auf sich ändernde Krisenkontexte zu reagieren.
Der HDP-Nexus in der Praxis
Somalia: Stärkung der friedlichen Koexistenz und der Resilienz gegenüber klimabedingten Schocks von Gemeinden
Dieses Projekt in Somalia wird in Zusammenarbeit mit unseren lokalen Partnern Gargaar Relief Development Organization, Save Somali Women and Children und der Zamzam Foundation umgesetzt und vom BMZ und Auswärtigen Amt (AA) im Rahmen des Nexus-Chapeau-Ansatzes finanziert. Der Nexus-Chapeau-Ansatz wurde gemeinsam vom BMZ und dem AA entwickelt, um die Umsetzung des HDP-Nexus zu stärken. Es ist das erste Projekt, das IRC im Rahmen des Chapeau-Ansatzes durchführt.
Die Lage in Somalia ist durch wiederkehrende Herausforderungen wie Dürren, Überschwemmungen, Konflikte und steigende Ernährungsunsicherheit geprägt. Ziel dieses Projekts ist es, die Menschen in dieser Region dazu zu befähigen, ihre Widerstandsfähigkeit zu stärken und ihre Lebensgrundlagen wiederherzustellen. Dies wird durch folgende Maßnahmen erreicht:
- Inklusiver Zugang: Gemeindemitglieder erhalten Zugang zu Entscheidungsprozessen und Ressourcen, um den sozialen Zusammenhalt und den Frieden zu fördern.
- Friedensinitiativen: Gemeinden führen Friedensinitiativen durch, bei denen mindestens 50 Prozent Frauen beteiligt sind.
- Ernährungssicherheit und wirtschaftliche Resilienz: Gemeindemitglieder, insbesondere Frauen, erhalten Zugang zu Nahrung und wirtschaftlichen Möglichkeiten.
- Klimaresistente Infrastruktur und Ressourcenmanagement: Es wird klimaresistente Infrastruktur geschaffen und das Management natürlicher Ressourcen wird in neun Gemeinden gestärkt.
Friedenskomitees in Irak: Stärkung des sozialen Zusammenhalts nach dem Krieg
Die von ISIS-Gruppierungen befreiten Gebiete Mosul, Telkaif und Ramadi in Irak sind das Zuhause von Menschen arabischer, kurdischer, jesidischer und turkmenischer Herkunft. Sie gehören verschiedenen Glaubensrichtungen an, sprechen unterschiedliche Sprachen und haben oft unterschiedliche politische Einstellungen. Nachdem der Krieg vorbei war und sie in ihre Dörfer und Städte zurückgekehrt waren, hatten vor allem junge Menschen Schwierigkeiten, Vertrauen zu ihren Nachbar*innen aus anderen Gemeinschaften aufzubauen. Diese Phase war von Misstrauen und kommunalen Konflikten geprägt.
Deshalb startete IRC im Jahr 2021 in Zusammenarbeit mit dem BMZ ein Friedensprojekt. Bewohner*innen teilnehmender Gemeinden können sich als Mitglieder für Friedenskomitees qualifizieren. Sie werden darin ausgebildet, Konflikte zu analysieren, Mediationen durchzuführen und Gemeindedialoge zu moderieren. Gemeinsam entwickeln sie Aktionspläne, um die Isolation der verschiedenen Gruppen zu überwinden.
Im letzten Jahr fand beispielsweise ein Bazar in der Stadt Baschiqa statt, auf dem lokale Produkte ausgestellt wurden, und es gab einen Workshop für Kinder, bei dem sie spielerisch die Traditionen verschiedener Glaubensgemeinschaften in der Region kennenlernen konnten.
Lies mehr über das Projekt und die Erfolge der Friedenskomitees in Irak.
Dorfsparvereine in Mali: Übergangshilfe für Frauen und Familien
Seit einem Jahrzehnt herrscht in Mali politische Instabilität, und die Auswirkungen der Klimakrise sind hier stärker spürbar denn je. Der Zusammenhalt innerhalb der Gemeinden hat vor allem angesichts der andauernden Krisen einen besonderen Stellenwert erlangt. Die Arbeit von IRC im Landkreis Tenenkou basiert darauf, den Zusammenhalt zwischen den Dorfbewohner*innen zu stärken.
In Kooperation mit dem BMZ unterstützt IRC Familien in Zentralmali und ermöglicht ihnen durch Sparvereine, nachhaltige Einkommen aufzubauen. Das Konzept ist simpel: Gruppen von 25 Frauen schließen sich zu Dorfsparvereinen zusammen, erhalten ein kleines Startkapital und erlernen von Expert*innen, wie sie durch gezielte Investitionen langfristige Einkommensquellen generieren können.
Erfahre mehr über dieses Projekt und wie es die Lebensbedingungen der Menschen in Tenenkou, Zentralmali, nachhaltig verbessert.