79,5 Millionen Menschen waren Ende 2019 auf der Flucht. Ihre wachsende Anzahl und immer komplexer werdenden Bedürfnisse erfordern ein innovatives Umdenken in der humanitären Hilfe. IRC stellt sich dieser Herausforderung und setzt nur evidenzbasierte Programme um: Erfolg und Wirkung begründen sich in wissenschaftlich validierten Ansätzen und müssen stets überprüfbar sein.

Wirkungsvollere und schnellere Hilfe

IRC hat sich verpflichtet, innerhalb von 72 Stunden nach Eintritt eines Katastrophenfalls, eine medizinische Versorgung vor Ort zu organisieren, Bargeldleistungen zu verteilen und sauberes Wasser bereitzustellen. Jede*r weiß: Bei Gefahr kann Schnelligkeit lebensrettend sein. Es gibt jedoch weitere Faktoren, von denen Wirkung und Erfolg der Programme abhängen: Quantität –wie viel Unterstützung kann geleistet werden? Und: Qualität –wie gut ist diese Hilfe?

Ein IRC-Mitarbeiter misst einen kleinen Jungen im Bergdorf Okiba, Jemen. Andere Kinder schauen zu.
Mitarbeitende mobiler IRC-Kliniken unterstützen auch Menschen in schwer zugänglichen Regionen wie hier im abgelegenen Bergdorf Okiba, Jemen.
Foto: Kellie Ryan / IRC

Hier setzt IRC Maßstäbe, erneuert Arbeitsweisen, optimiert die Einsatzbereitschaft und schließt neue Partnerschaften, um möglichst effektiv und gleichzeitig kosteneffizient arbeiten zu können. Denn dringende, bisher unbeantwortete Fragen, gibt es viele: Wie können Impfungen in Kriegsgebieten flächendeckend durchgeführt werden? Was muss getan werden, um den teuflischen Kreis der oft mit Krisen einhergehenden Zunahme häuslicher und sexualisierter Gewalt zu stoppen? Wer kann Menschen in Not schnell und kostengünstig Geld bereitstellen – und wie?

Große Schritte vorwärts

Um Fragen wie diese zu klären, engagiert sich IRC mit einem eigenen Forschungszentrum - dem Airbel Impact Lab. Hier werden in Zusammenarbeit mit Partner*innen aus der Wissenschaft neue Programme, Dienste, Systeme und Finanzierungskonzepte entwickelt – darunter das ‘Outcomes and Evidence Framework’. Die interaktive Plattform unterstützt Fachkräfte aus der humanitären Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit bei der Gestaltung effektiver Programme. Das freizugängliche Onlineportal liefert Informationen über die Erfolgsmessung, zeigt Wirkungsketten auf und erläutert, wie der Projektfortschritt anhand von Indikatoren messbar gemacht werden kann.

Ein neuer Ansatz bei der Behandlung von Unterernährung

Wie wichtige die Forschungsarbeit ist, zeigt auch ein IRC-Programm in Niger. In der Region Tillabéri haben Angriffe bewaffneter Gruppen und gewaltsame Konflikte um Zugang zu Wasser und Weideland zehntausende Menschen zur Flucht gezwungen. Viele von ihnen sind Kinder. Es fehlt an grundlegender medizinischer Versorgung – auch für die lokale Bevölkerung. Jede*r Zehnte in der Region ist akut unterernährt – für fast drei Prozent der Bevölkerung ist der Zustand sogar lebensbedrohlich.

Ein Kind wird von einem IRC-Mitarbeiter auf Mangelernährung geprüft.
Ein IRC-Mitarbeiter misst den Armumfang eines Kleinkinds im kenianischen Flüchtlingslager Kakuma. Eine frühzeitige Diagnose hilft, Unterernährung
wirksamer zu behandeln und mögliche Folgeerkrankungen zu verhindern.
Foto: MATIJA KOVAC / IRC

„Das derzeitige System zur Behandlung akuter Unterernährung ist komplex und kostspielig und erreicht die Mehrheit der Kinder nicht“, erklärt Jeanette Bailey, Leiterin für Ernährungsforschung und Innovation bei IRC und Forscherin an der London School of Hygiene & Tropical Medicine. „Bei vielen Kindern wird die Unterernährung erst diagnostiziert, nachdem sie sich zur schwersten und tödlichen Form entwickelt hat. Vereinfachte Ansätze könnten also eine frühere Erkennung und Behandlung fördern und letztlich Leben retten.“

IRCs neuer Ansatz bei der Behandlung von Unterernährung setzt deshalb zum einen auf eine einheitliche Therapie für die jungen Patient*innen. Studien haben bereits gezeigt, dass das vereinfachte Behandlungsprotokoll vergleichbare Erfolge erzielt wie das herkömmliche – bei geringeren Kosten.

Die IRC-Gesundheitsteams ergänzen ihre Therapie durch eine frühzeitige Diagnose auf Unterernährung und eine verbesserte medizinische Versorgung am Wohnort der Kinder. In Niger setzt IRC mit Unterstützung des Europäischen Amts für humanitäre Hilfe und Katastrophenschutz (ECHO) und der Else Kröner-Fresenius Stiftung gemeinsam ein solches Gesundheitsprojekt um. Mütter werden darin geschult, Unterernährung bei ihren Kindern selbst festzustellen, damit diese rechtzeitig behandelt werden können. Außerdem sorgen mobile Kliniken und der Ausbau der ambulanten medizinischen Versorgung dafür, dass auch in entlegenen Siedlungen die Kleinkinder lebensrettende Hilfe erhalten.

Eine IRC-Mitarbeiterin erklärt etwas. Mehrere Frauen hören ihr zu.
Eman arbeitet als medizinische Fachkraft in einem mobilen IRC-Gesundheitsteam in Libyen und engagiert sich besonders im Bereich der
gesundheitlichen Aufklärung. Ihr Ansporn: „Wenn Frauen mir erzählen, dass es ihnen besser geht.“
Foto: ARIANE OHANESIAN / IRC

Strategischer Ansatz in Deutschland

Auch in Deutschland entwickelt IRC innovative und evidenzbasierte Ansätze zur Unterstützung von Geflüchteten und Migrant*innen in prekären Situationen. Dabei greift die Organisation auf die weltweit gemachten Erfahrungen zurück und passt die Programme an den deutschen Kontext an und nimmt an politischen und gesellschaftlichen Gestaltungsprozessen teil. Dabei werden  Partnerschaften mit Akteuren in Deutschland geformt: Institutionen, Stiftungen, privatwirtschaftliche Unternehmen und andere Nichtregierungsorganisationen sowie lokale Initiativen – darunter das Business Refugee Action Network (BRAN).

Das Netzwerk schafft ein Forum, in dem Unternehmen innovative Integrationsprogramme, Produkte und Dienstleistungen für Geflüchtete vorstellen und diskutieren. Das ermöglicht einen grenz- und branchenübergreifenden  Austausch über Erfahrungen, Herausforderungen und Best Practices und mobilisiert Unternehmen, gemeinsam Einfluss auf wichtige politische Debatten zu nehmen.

Politische Mitwirkung

Humanitäre Krisen treten nicht nur häufiger auf, sie dauern auch länger an. Trotz erneut hoher Vertreibungszahlen – 79,5 Millionen aus der Heimat geflohene Menschen hat das UN Flüchtlingshilfswerk für 2019 registriert – bleibt die Quote der Rückkehrer*innen gering: Bis zu 5 Millionen Binnenvertriebene oder als Flüchtling anerkannte Personen konnten in den vergangenen 10 Jahren wieder nach Hause zurückkehren oder ein dauerhaftes neues Zuhause finden. „Geflüchtete in den Lagern am Leben erhalten, bis sie nach Hause gehen – das ist ein überholtes Modell“, erklärt IRC-Präsident David Miliband auf der IRC-Veranstaltung ‚Einstein Humanitarian Dialog‘ in Berlin. „Wir wollen, dass diese Menschen sich entfalten können. Wir können nicht auf dem alten Fahrrad, das die humanitäre Hilfe inzwischen ist, weiterfahren. Wir brauchen mehr Räder und einen Motor.“ Nicht nur humanitäre Organisationen, auch politische Akteure müssen neue Konzepte und Strategien entwickeln, um Menschen in Krisenregionen bessere Perspektiven zu geben.

Foto vom IRC Einstein Dialog 2019
Beim ‚Einstein Humanitarian Dialog‘ diskutiert IRC mit Vertreter*innen aus Politik, Wissenschaft und Nothilfe über die Rolle Deutschlands bei der Lösung von Krisen und Konflikten.
Foto: Tobias Koch / IRC

IRC setzt deshalb die aus Praxis und Forschung gewonnene Expertise ein, um Entscheidungsträger*innen auf lokaler und regionaler Ebene zu unterstützen. Besonders wichtig ist aber auch die Arbeit auf nationaler und internationaler Ebene: Bei den Vereinten Nationen in New York, der Europäischen Union in Brüssel und der Bundesregierung in Berlin nimmt IRC aktiv an politischen Debatten teil, um Herausforderungen für IRC-Klient*innen zu thematisieren und Lösungsansätze aufzuzeigen.

Dies geschieht im direkten Gespräch mit politisch Verantwortlichen, bei der Netzwerkarbeit sowie im öffentlichen Diskurs, zum Beispiel auf Podiumsveranstaltungen. So stellte Ralph Achenbach, Geschäftsführer von IRC Deutschland, beispielsweise bei einer von der Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit (GIZ) organisierten Diskussionsrunde die Ergebnisse einer neuen IRC-Studie zur wirtschaftlichen Stärkung von Frauen im Krisenkontext vor und sprach bei einer Veranstaltung der Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen e. V. und Global Perspectives Initiative zum Thema‚ Deutschlands globale Verantwortung –Zwischenbilanz der Mitgliedschaft im UN-Sicherheitsrat‘ zu geschlechtsspezifischer Gewalt gegen Frauen und Mädchen in Konflikten.