Am 10. April 2024 wurde nach Jahren intensiver Verhandlungen der EU Migrations- und Asylpakt, trotz vieler Bedenken von Nicht-Regierungsorganisationen wie IRC, vom Europäischen Parlament beschlossen. Der Pakt beinhaltet umfassende Reformen des Gemeinsamen Europaischen Asylsystems (GEAS) und soll einen “frischen Start” im Migrationsmanagement der EU bedeuten – aber kann das gelingen? Erfahre in diesem Artikel, was die GEAS-Reform beinhaltet, warum sie so warum sie so weitreichende Folgen hat und welche Forderungen IRC an Deutschland für ihre Umsetzung hat.

Die endgültige Verabschiedung des Pakts hat die beunruhigende Aushöhlung des Migrations- und Asylsystem der EU verschärft – wahrscheinlich ohne dabei seine selbst gesteckten Ziele von mehr Solidarität unter den Mitgliedstaaten erreichen zu können: Es ist absehbar, dass der Pakt nicht zu einer faireren Verteilung von Schutzsuchenden innerhalb der EU führt und damit Staaten an den EU Außengrenzen „entlastet“. Andererseits befürchten zahlreiche Nichtregierungsorganisationen, dass die neuen Regelungen zu mehr Menschenrechtsverletzungen an Europas Grenzen führen werden.

Es ist zu erwarten, dass durch die GEAS-Reform: 

Was passiert nach der Verabschiedung des Pakts?

Die neuen Regelungen des Pakts sind offiziell seit Juni 2024 in Kraft. Sie werden aber zum Großteil erst 2026 nach einer zweijährigen Übergangszeit angewandt, in der die europäischen Gesetze in nationale Gesetzgebung umgewandelt werden.  

Die Umsetzungsphase des Paktes hat mit der Einführung des gemeinsamen Umsetzungsplans durch die Europäische Kommission begonnen. Dabei handelt es sich um einen Fahrplan für die Umsetzung des Pakts, die von der EU und ihren Mitgliedstaaten bis Juni 2026 unternommen werden müssen. Laut dieses Plans soll jeder Mitgliedstaat seinen nationalen Umsetzungsplan bis Dezember 2024 vorlegen. 

Sollte ein Mitgliedstaat in Zukunft die im Pakt festgelegten Regeln und Vorschriften nicht einhalten, könnte er mit rechtlichen Schritten und Vertragsverletzungsverfahren rechnen.

Warum ist ein funktionierendes europäisches Migrations- und Asylsystem so wichtig?

2023 wurden weltweit über 117 Millionen Menschen gewaltsam vertrieben. UNHCR warnt, dass bis Ende 2024 mehr als 130 Millionen Menschen vertrieben werden - eine verheerende Folge von bewaffneten Konflikten und politischen Unruhen, die durch den Klimawandel oft noch verschärft werden. Die überwiegende Zahl der Menschen bleibt in ihren Heimatregionen, und nur ein sehr kleiner Teil versucht, in Europa Schutz zu finden. Dennoch haben die europäischen Lander bisher keine funktionierenden, menschenwürdigen Lösungen für die Aufnahme von schutzsuchenden Menschen gefunden. Stattdessen weichen die Staaten von EU- und internationalem Recht ab und es finden tägliche Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen statt. 

Angesichts des stark ansteigenden Bedarfs an humanitärer Hilfe und Schutz ist es für die EU so wichtig wie nie zuvor eine sichere, geordnete und humane Asyl- und Migrationspolitik zu entwickeln.

Erfahre mehr im Bericht von IRC.

Was sieht der Pakt vor?

Der Pakt besteht aus zehn Gesetzen, die das bestehende Migrations- und Asylregime der EU, das Gemeinsamen Europäische Asylsystem (GEAS) reformieren:

Was sollte Deutschland bei der Umsetzung des EU-Pakts beachten? 

Im Zuge der Umsetzung des Paktes fordert IRC Deutschland von der Bundesregierung Garantien, dass die Grundrechte von Schutzsuchenden gewahrt bleiben und nicht weiter ausgehöhlt werden. 

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Es sollte ein wirklich gemeinsames, gut verwaltetes europäisches Asylsystem geschaffen werden, das die Menschen in den Mittelpunkt stellt, das Recht auf Asyl aufrechterhält und sicherstellt, dass Menschen nicht in Gefahr zurückgeschickt werden

Anstatt schutzsuchende Menschen um jeden Preis davon abzuhalten, nach Europa zu kommen, sollten sich Deutschland und die EU darauf konzentrieren, die Grundrechte und die Würde von allen Schutzsuchenden zu wahren. Dies erfordert von der Bundesregierung dringende Investitionen, damit Menschenrechtsstandards - einschließlich des Zugangs zu einem fairen und umfassenden Asylverfahren gewahrt werden.

Dazu gehört, dass Asylbewerber*innen: 

  • Zugang zu Informationen über ihre Rechte und Möglichkeiten haben 
  • kostenlosen Rechtsbeistand zur Verfügung gestellt bekommen  
  • das Rechtsmittel gegen negative Asylbescheide haben  
  • unter angemessene Aufnahmebedingungen leben  
  • Zugang zu einfacher und schneller Familienzusammenführung haben.
Inhaftierung sollte nur als letztes Mittel eingesetzt werden und wirksame Alternativen zur Inhaftierung sollten geschaffen werden

Das neue Screening- und Grenzverfahren systematisiert die Inhaftierung von Asylbewerber*innen, auch für Kinder in der EU weiter. Wenn es Alternativen gibt, verstößt es gegen internationales Recht Asylsuchende in Gewahrsam zu nehmen. Außerdem zeigt die Erfahrung von IRC aus Griechenland, dass die lange Inhaftierung in Gewahrsamseinrichtungen oder geschlossenen Lagern verheerende Auswirkungen auf die psychische Gesundheit der Menschen hat. Deutschland sollte sich national und europaweit für die Entwicklung von Alternativen - wie gemeindebasierte Unterbringungslösungen und offene Aufnahmezentren - einsetzen, anstatt auf Vollzug und Zwang zu setzen.

Absenkung von Asylstandards sollte nicht zum Normalzustand werden

Die Krisenverordnung erlaubt es Staaten, in Fällen von „Krisen, Instrumentalisierung und höherer Gewalt” die im Pakt festgelegten Standards abzusenken. Diese Begriffe sind jedoch nicht klar definiert und lassen einen großen Interpretationsspielraum zu. Auf dieser Grundlage könnten Abweichungen vom bestehenden Asylrecht eher die Regel als eine Ausnahme werden. Das hätte zur Folge, dass Standards für Asylprozesse abgesenkt und die Dauer für Asylverfahren sich verlängern könnten. Deutschland sollte es national vermeiden und sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass Standards für Asylprozesse nicht abgesenkt werden. Deutschland sollte den Krisenfall wirklich nur in außergewöhnlichen Fällen ausrufen und sich auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dass er nicht übermäßig in Anspruch genommen wird. 

Pushbacks sollten gestoppt und die Rechten von Schutzsuchenden an den Grenzen sollten gewahrt werden

Deutschland sollte auf nationaler und europäischer Ebene konsequent gegen Pushbacks eintreten. Pushback bezeichnet die rechtswidrige Zurückschiebung von Asylsuchenden meist unmittelbar nach dem Grenzübertritt, ohne dass sie vorher einen Asylantrag stellen konnten. Diese Praxis findet systematisch an den europäischen Außengrenzen unter der Billigung eines Großteiles der europäischen Mitgliedstaaten, unter anderem Deutschland, aber auch vermehrt an der deutsch-polnischen Grenze statt. Wenn Deutschland Menschenrechtsstandard wahren will, sollte es die Unterstützung für alle Maßnahmen oder Politiken beenden, die zu Pushbacks oder kollektiven Abschiebungen an deutschen, aber auch an europäischen Außengrenzen führen. Deutschland sollte unabhängige, zivilgesellschaftliche Mechanismen zur Überwachung der Menschenrechtslage an den Grenzen einrichten und alle Vorwürfe von Grundrechtsverletzungen, auch infolge von Pushbacks, ordnungsgemäß untersuchen und die Täter*innen zur Rechenschaft ziehen. Zivile Seenotrettung sollte wie geplant bis 2026 und darüber hinaus umfassend staatlich gefördert werden. Außerdem sollte sich Deutschland dafür einsetzen, aus Seenot Gerettete an einen sicheren Ort geschifft werden und nicht an Orte zurückgebracht werden, an denen ihr Leben in Gefahr ist. Hierbei sollte Deutschland auch Solidarität mit den Ländern an den Außengrenzen zeigen und aus Seenot Gerettete selbst aufnehmen. 

Sichere, komplementäre Zugangswege sollten ausgebaut werden

Deutschland sollte sichere Zugangswege ausbauen, damit Schutzsuchende nicht auf gefährliche Routen gezwungen werden, um Europa zu erreichen. Dabei sollten komplementäre Zugangswege wie Bildungs- und Arbeitsvisa zusätzlich zum territorialen Recht auf Asyl gefördert werden. Außerdem sollte die Bundesregierung, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, das Verfahren zum Familiennachzug vereinfachen und beschleunigen und humanitäre Aufnahmeprogramme wie das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan konsequent umsetzen, anstatt ihre Weiterfinanzierung zu hinterfragen.

Der Schutz von Geflüchteten sollte nicht ausgelagert werden

Deutschland sollte das Rechte von Schutzsuchenden schützen, Asyl in Deutschland zu suchen, anstatt über Migrationsabkommen zu diskutieren, die das Grenz- und Migrationsmanagement in Drittländer "auslagern". Wenn auf europäischer Ebene Abkommen mit Drittstaaten diskutiert werden, sollte Deutschland seine Unterstützung für diese Abkommen von der Wahrung von Menschenrechtsstandards und internationalem Recht abhängig machen.

Resettlement sollte ausgebaut werden

Deutschland sollte den Unionsrahmen für Resettlement (URF) unverzüglich und konsequent in die Praxis umsetzen und sich langfristig umfangreich an dem Programm beteiligen. Resettlement bezeichnet die organisierte, direkte Aufnahme von besonders schutzbedürftigen Menschen, die auch in dem Land, in das sie geflohen sind, nicht dauerhaft in Sicherheit leben können.

In seiner Umsetzung des Unionsrahmen für Resettlement sollte Deutschland:  

  • Seine Verpflichtungen konsequent einhalten und die Einhaltung von Verpflichtungen besser überwachen und transparent machen. Für 2024 und 2025 hat Deutschland sich für 13.100 Resettlement Plätze verpflichtet.  
  • sich zukünftig zu ehrgeizigeren Neuansiedlungszusagen verpflichtet, die der tatsächlichen Aufnahmefähigkeit Deutschlands und dem global steigenden Bedarf an Resettlement entsprechen 
  • Schutzsuchende und die Zivilgesellschaft in die Gestaltung von Resettlementprogrammen einbeziehen 
  • die Resettlementprozesse in Deutschland langfristig stärken
Menschenwürdige Aufnahmebedingungen sollten umfassend gewährleistet werden

Deutschlandweit sollten menschenwürdige Aufnahmebedingungen gewährleistet werden. Dabei sollte Deutschland:

  • Die Kommunen ausreichend unterstützen. Die Unterbringung von Schutzsuchenden in abgelegenen und häufig überfüllten Gemeinschaftsunterkünften sollte vermieden werden. Stattdessen sollen dezentrale Unterbringungslösungen ausgebaut werden, 
  • Geflüchtete beim diskriminierungsfreien Zugang zum Arbeitsmarkt unterstützen, u. a. durch die Aufhebung eines Arbeitsverbots, die Anerkennung ihrer Ausbildung und Abschlüsse sowie durch die Bereitstellung Weiterbildungsmaßnahmen und Schulungen, 
  • In Zusammenarbeit mit Betroffenen und von Gefluchteten-geführte Organisationen Integrationsmaßnahmen definieren, die auf die Stärken und Bedürfnisse von schutzsuchenden Menschen eingehen 
  • Den Zugang zu der umfassenden, diversitätssensiblen, antirassistischen Bildung für alle Kinder und Jugendliche von der frühkindlichen Bildung an sicherstellen 
Solidarität sollte nicht käuflich sein

Deutschland sollte seine verpflichtenden Solidaritätsbeiträge in erster Linie oder vollständig durch die Umsiedlung von Schutzsuchenden im Rahmen des Relocation Verfahrens erfüllen. Wenn doch finanzielle Beiträge in Betracht gezogen werden, sollte Deutschland strengstens sicherzustellen, dass die Gelder nicht für Maßnahmen verwendet werden, die zu Pushbacks, Inhaftierungen oder anderen Menschenrechtsverletzungen führen können. Das gilt insbesondere wenn die Beiträge zur Finanzierung von Maßnahmen in Drittländern außerhalb der EU verwendet werden.  

Überwachungsmechanismen zur Einhaltung von Grundrechten sollten eingesetzt werden

Deutschland sollte Mechanismen zur Überwachung der Grundrechte einrichten, damit die Rechte von Asylbewerber*innen nicht verletzt werden. Diese sollten, wie im Pakt vorgesehen, zumindest während des gesamten Screening- und Grenzasylverfahrens vorhanden sein. Deutschland sollte auch eine Ausweitung des Anwendungsbereichs in Betracht ziehen. Um unabhängig und effizient zu sein, sollten diese Mechanismen von Anfang an NGOs und zivilgesellschaftliche Akteure einbeziehen und klare Konsequenzen für Mitgliedstaaten haben, die diese Mechanismen nicht einrichten, nicht mit ihnen zusammenarbeiten oder ihre Ergebnisse ignorieren.

Einführung von Verfahren für sinnvolle Konsultationen mit NGOs auf nationaler Ebene sollten eingerichtet werden

Das Fachwissen dieser Gruppen sollte in die Planung der Umsetzung des Pakts in den nächsten zwei Jahren und in die Berichterstattung über seine Fortschritte einfließen. Die EU und ihre Mitgliedstaaten sollten während des gesamten Prozesses mit Flüchtlings- und Flüchtlingsrechtsorganisationen zusammenarbeiten, um sicherzustellen, dass die Perspektiven und Bedürfnisse von Schutzsuchenden im Mittelpunkt der Politik und der Entscheidungsprozesse stehen. Sie sollten mit lokalen Organisationen zusammenarbeiten, die die am stärksten gefährdeten Gruppen und Einzelpersonen vertreten und sich speziell auf sie konzentrieren, z. B. Organisationen, die von Frauen geleitet werden und mit ihnen arbeiten, um eine stärkere Integration zu fördern.

 

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