Die aktuelle globale Situation für von Krisen und Konflikten betroffene Menschen ist ein entsetzliches Zeugnis der globalen Recht- und Straflosigkeit sowie dem Verlust von Menschlichkeit. Da sind Geflüchtete die Hauptleidtragende. Das G7-Gipfeltreffen im Juni 2022 gewinnt angesichts der aktuellen Weltlage noch mehr an Bedeutung. Der Gipfel muss sich nicht nur mit jüngeren Krisen wie der Eskalation der Ukraine-Krise und der COVID-Pandemie befassen, sondern auch mit den grundlegenden Schwachstellen im multilateralen System.
Was ist der G7-Gipfel?
Die Gruppe der Sieben – kurz G7 – ist eine Organisation, die sich aus den sieben reichsten Nationen der Welt zusammensetzt: Kanada, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Großbritannien und den Vereinigten Staaten.
Seit den 1970er Jahren kommen die Staats- und Regierungschef*innen dieser Länder jedes Jahr zusammen, um die drängendsten globalen Fragen zu diskutieren. In diesem Jahr findet das 48. Treffen der G7 statt. Am Ende des Gipfels wird eine Kommuniqué (Zusammenfassung) vorgestellt, die angibt, was beim Treffen vereinbart wurden.
Wann und wo findet der G7-Gipfel statt?
Jedes Mitgliedsland übernimmt im Turnus die einjährige Präsidentschaft und ist Gastgeber des zweitägigen G7-Gipfels. In diesem Jahr ist Deutschland Gastgeber des G7-Gipfels und übernimmt den Vorsitz. Das wichtige Treffen findet vom 26. bis 28. Juni auf Schloss Elmau in Bayern, Deutschland, statt.
Was passiert beim G7-Gipfel 2022?
Bundeskanzler Olaf Scholz sagte beim Global Solutions Summit in Berlin im März 2022, dass der Krieg in der Ukraine „nicht dazu führen darf, dass wir als G7 unsere Verantwortung für globale Herausforderungen wie die Klimakrise oder die Pandemie vernachlässigen. Im Gegenteil: Viele der Ziele, die wir uns zu Jahresbeginn vorgenommen haben, werden angesichts der veränderten Weltlage sogar noch drängender.“
Die aktuelle Lage der Welt macht deutlich, dass die Partnerschaft und die Agenda der G7 wichtiger denn je sind. Das G7-Treffen 2022 ist ein entscheidender Moment für die Staats- und Regierungschef*innen der Welt, gemeinsam Schritte hin zu einer gerechteren Welt zu vereinbaren.
Olaf Scholz muss diesen Moment nutzen, um gemeinsam mit den G7-Partnern auf die akuten humanitären Bedarfe in der Ukraine zu reagieren, von der globalen Ernährungskrise betroffene Menschen unterstützen sowie konkret gegen die Straflosigkeit in der internationalen Sicherheitsstruktur vorgehen.
Der deutsche G7-Vorsitz bietet eine wichtige Gelegenheit, politischen Wandel voranzutreiben, um auf konkrete Verpflichtungen im G7-Kommuniqué und in der Absichtserklärung Einfluss zu nehmen. Auch dadurch können die Prioritäten und Ziele der neuen deutschen Regierung für ihre Führungsrolle auf der globalen Bühne in den kommenden dreieinhalb Jahren gestalten werden.
Wer wird beim G7-Gipfel dabei sein?
Es wird erwartet, das folgende G7-Teilnehmer*innen nach Deutschland kommen:
- Bundeskanzler Olaf Scholz, Deutschland
- Premierminister Justin Trudeau, Kanada
- Präsident Emmanuel Macron, Frankreich
- Ministerpräsident Mario Draghi, Italien
- Premierminister Yoshihide Suga, Japan
- Premierminister Boris Johnson, Vereinigtes Königreich
- Präsident Joe Biden, USA
- EU-Präsidentin Ursula von der Leyen
- Europäischer Ratspräsident Charles Michel
Was sind die Kernthemen des diesjährigen G7-Gipfels?
Im Mittelpunkt der deutschen G7-Präsidentschaft stehen fünf Ziele:
- Starke Allianzen für einen nachhaltigen Planeten: Die Verpflichtung zu ehrgeizigen Klimaschutzstandards.
- Weichenstellung für wirtschaftliche Stabilität und Transformation: Das Einhergehen von wirtschaftlicher Transformation mit wirtschaftlichem Wohlstand, Erholung und Wachstum.
- Starke Vorsorge für ein gesundes Leben: Impfstoffgleichheit für alle sowie die Investment in Forschung und Entwicklung für die Zukunft.
- Nachhaltige Investitionen in eine bessere Zukunft: Einsatz für die Verteidigung der liberalen Demokratie.
- Gemeinsamer Einsatz für ein starkes Miteinander: Die Förderung eines Höchstmaßes an globaler Solidarität als Instrument zur Friedenssicherung.
IRC fokussiert sich auf drei Hauptthemen:
Systemversagen
Die Ukraine-Krise ist ein aktuelles Beispiel für das Versagen des internationalen rechtlichen und diplomatischen Systems und eine neues Zeitalter der Straflosigkeit. Dies ist kein einmaliges Ereignis, sondern die neue Normalität – wie die Kriege und Konflikte in Syrien, Jemen oder der Sahelzone zeigen.
Ernährungsunsicherheit
Es gibt bereits zahlreiche Ernährungskrisen, wo die bereits bestehende dramatische Situationen durch den Krieg in der Ukraine verschärft werden. Die Ukraine-Krise wird zu einer Verknappung und Verteuerung von Lebensmitteln führen und damit die bestehenden Hunger- und Wirtschaftskrisen in Afghanistan, Ostafrika und der Sahelzone verschärfen. Wir müssen uns nicht nur mit der aktuellen Ernährungsunsicherheit befassen, sondern auch mit einem umfassenderen Ansatz für vorausschauendes Handeln.
Geschlechtergerechtigkeit und geschlechtsspezifische Gewalt
Geschlechtertransformative Ansätze müssen bei allen G7-Themen verfolgt werden. Gleichberechtigung und die Gleichstellung der Geschlechter und die Stärkung der Rolle der Frau müssen nicht nur für den Erfolg der Frauen, sondern auch für den Erfolg der ganzen Welt als wesentlich angesehen werden.
Was fordert IRC von der deutschen Regierung?
Im Jahr 2022 steht die Welt vor zahlreichen Herausforderungen, von Kriegen und anderen politischen Krisen bis hin zur Umweltzerstörung, von denen Frauen und Mädchen überproportional betroffen sind. Gleichzeitig ist das internationale rechtliche und politische System zunehmend ineffektiv, und die Finanzmittel für Krisen sind rückläufig.
Der Konflikt in der Ukraine hat die Prioritätensetzung der Regierungen in der Außenpolitik verändert, indem er diese Herausforderungen in den Mittelpunkt des Interesses der Staats- und Regierungschef*innen rückte. Gleichzeitig wurden die Aufmerksamkeit für andere Krisenkontexte verringert.
Die G7 trifft sich zum ersten Mal in diesem Format seit der jüngsten Eskalation der Konflikte in der Ukraine und in Afghanistan. Dadurch genießt der deutsche G7-Vorsitz 2022 eine noch nie dagewesene Aufmerksamkeit in der geo- und sicherheitspolitischen Sphäre. Der Bundesregierung kommt damit eine besondere Verantwortung zu, der Rolle als einflussreiche Geberin und der diplomatischen Führungsrolle gerecht zu werden.
Was fordert IRC von den Staats- und Regierungschef*innen der G7?
Zeitalter der Straflosigkeit
Das G7-Kommuniqué muss ein erneutes politisches Bekenntnis zum regelbasierten internationalen System und konkrete politische Schritte zur Stärkung der Rechenschaftspflicht enthalten. Der Krieg in der Ukraine stellt einen fundamentalen Verstoß gegen die Rechtsstaatlichkeit dar. Das gilt insbesondere für die Angriffe auf Zivilist*innen. Die G7 muss zeigen, dass sie nicht nur bereit ist, den Zielen einer regelbasierten internationalen Ordnung zu huldigen, sondern auch bereit ist, sie zu leben.
Ernährungsunsicherheit
Die G7 muss sich verpflichten:
- Maßnahmen zur Hungerprävention und -bekämpfung zu finanzieren,
- Auf Hungerkrisen mit geschlechtsspezifischen Ansätzen zu reagieren,
- Hindernissen für den Zugang von humanitären Helfer*innen an vorderster Front zu beiseitigen,
- zu antizipatorischen Ansätzen für wirksamere Interventionen zu verfolgen.
Geschlechtergerechtigkeit und Gleichstellung
Die G7-Mitglieder sollten sich zur Finanzierung von geschlechtsspezifischer Gewaltprävention und -reaktion verpflichten, die Bedeutung eines überlebenszentrierten Ansatzes anerkennen und sich für eine sinnvolle Beteiligung von Frauen und Mädchen einsetzen. Die Mitglieder der G7 sollten auf der Grundlage des Berichts des G7-Beirats für Geschlechtergleichstellung aus dem Jahr 2021 Verpflichtungen zum Thema konfliktbedingte geschlechtsspezifische Gewalt in das Kommuniqué aufnehmen.
David Miliband, IRC CEO und Präsident, kommentiert:
„Das humanitäre Völkerrecht enthält eindeutige, unverrückbare Verpflichtungen zum Schutz von zivilem Leben und Lebensgrundlagen. Die internationale Gemeinschaft kann und sollte viel mehr tun, um das Leben und die Lebensgrundlagen unschuldiger Zivilist*innen zu schützen.Der Ukraine-Konflikt ist nur das jüngste und sichtbarste Beispiel für Systemversagen. Er birgt die Gefahr, dass andere humanitäre Krisen wie in Afghanistan, der Sahelzone und am Horn von Afrika in den Hintergrund geraten. Bestehende Konflikte sowie Wirtschafts-, Nahrungsmittel- und Klimaschocks werden durch die COVID-19-Pandemie und den Ukraine-Konflikt noch verstärkt. Wir müssen die Rechenschaftspflicht im Rahmen des internationalen Rechtssystems einfordern. Und wir müssen aufhören, Soft-Power-Ansätze zu vernachlässigen. Diplomatie wirkt sich viel positiver auf die Entwicklung der humanitären Hilfe aus, die zur Linderung bereits bestehender Probleme benötigt wird."
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