Ein sorgloses Familientreffen, ein fröhlicher Hochzeitstag, der Schulabschluss des Sohnes – diese Momente voller Glück liegen heute für Millionen Ukrainer*innen in weiter Ferne. Nach drei Jahren Krieg ist ihr Leben fast nicht mehr wiederzuerkennen. Familien sind auseinandergerissen, ganze Häuser und Städte liegen in Schutt und Asche, unzählige Menschen sind ums Leben gekommen.

Tag für Tag kämpfen die Menschen in der Ukraine ums Überleben: Unter ständigem Beschuss, während sie die körperlichen und seelischen Wunden des Krieges tragen. Doch sie geben nicht auf und halten an ihren wertvollsten Erinnerungen fest. Kleine, aber bedeutungsvolle Erinnerungsstücke an das, was war, geben ihnen die Stärke, die sie antreibt.

Hier sind die Geschichten von sechs Ukrainer*innen, drei Jahre nach Kriegsbeginn.

Marharyta

Marhartya hält ein Foto ihrer Familie
Marhartya hält ein Foto ihrer Familie, aufgenommen 2021 in Bachmut. Der Krieg hat die Stadt vollständig zerstört.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Marharyta, früher Lehrerin in Popasna im Osten der Ukraine, erlebte den Krieg zum ersten Mal 2014. Nur wenige Kilometer von ihrem Zuhause entfernt brachen Kämpfe aus.

2022 musste sie mit ihrer Familie in eine andere Stadt fliehen. Dieses Jahr war besonders schwer, denn sie verlor ihre Großmutter und ihren geliebten Hund. Bis heute bringen sie diese Verluste oft zum Weinen.

Marharytas Mutter und Schwester leben heute in einem anderen Teil des Landes. 2021 standen sie noch Seite an Seite in Bachmut – einer Stadt, die der Krieg völlig zerstört hat. Doch Marharyta bleibt ihrer Arbeit mit Kindern treu und engagiert sich nun bei IRC.

Die Erlebnisse von 2022 haben ihr gezeigt, wie wichtig ihre Familie ist. „Wir sagen jetzt viel öfter ‚Ich liebe dich‘ zueinander“, erzählt sie.

Kinder aus dem Dorf Novyi Burluk nehmen an Aktivitäten teil, die Marharyta leitet.
Kinder aus dem Dorf Novyi Burluk nehmen an Aktivitäten teil, die Marharyta leitet.
Foto: Oleksandr Rupeta/IRC

Dr.Oleh

Oleh Marchenko arbeitete sein ganzes Leben als Arzt und wollte Mariupol, seine Heimatstadt am Meer, nie verlassen.

Doch 2022 zwang die zunehmende Gewalt ihn und seine Familie zur Flucht. Sie fanden ein neues Zuhause in Charkiw, einer Stadt, die ebenfalls unter ständigem Beschuss steht.

Dr. Oleh hält ein Foto vom Schulabschluss seines Sohnes in Mariupol – ein Moment, der für immer bleibt, obwohl sich alles verändert hat.
Dr. Oleh hält ein Foto vom Schulabschluss seines Sohnes in Mariupol – ein Moment, der für immer bleibt, obwohl sich alles verändert hat.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Oleh kann nicht mehr nach Mariupol zurück, wo seine Familie über Generationen lebte. Sein Vater ist verstorben und sein Sohn, ebenfalls Arzt, ließ sich in Uman in der Zentralukraine nieder.

Trotz allem bleibt Oleh seiner Aufgabe treu. Er leitet die mobile medizinische Einheit von IRC in Charkiw und versorgt Menschen, die dringend Hilfe brauchen.

Hryhorii

Hryhorii Hladysh hält ein Foto von seiner Hochzeit.
Hryhorii Hladysh hält ein Foto von seiner Hochzeit.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Vor dem Krieg lebten Hryhorii und seine Frau in einer Wohnung im Norden von Charkiw. Er verbrachte sein ganzes Leben in dieser Stadt.

2022 beschädigten Bomben sein Viertel schwer und rückte es in den Fokus der Medien. Hryhorii’s Tochter floh mit ihrer Mutter in die Niederlande. Er blieb zurück, um ihr Zuhause vor Plünderer*innen zu schützen.

Seitdem trafen weitere Angriffe sein Haus. Nur noch wenige Bewohner*innen leben in dem Gebäude, obwohl die Stadt den Abriss plant.

Seit zwei Jahren hat Hryhorii seine Frau nicht mehr gesehen und vermisst sie sehr. Oft denkt er an ihre Hochzeit zurück und schöpft Kraft aus den Erinnerungen und dem Leben, das sie gemeinsam aufgebaut haben.

Hryhorii steht in der Wohnung eines Nachbarn. Russischer Beschuss hat sie vollständig zerstört.
Hryhorii steht in der Wohnung eines Nachbarn. Russischer Beschuss hat sie vollständig zerstört.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Kateryna

Kurz nach Beginn der Invasion zog Kateryna aus dem Stadtteil Pivnichna Saltivka in ein zentraleres Viertel von Charkiw. Ihr Zuhause wurde durch Beschuss beschädigt. Ihre 16-jährige Enkelin floh mit ihrer Mutter nach Finnland. Doch Kateryna blieb.

Kateryna Tomchenko hält einen Teddybären. Er gehört ihrer 18-jährigen Enkelin, die in Finnland Schutz gesucht hat.
Kateryna Tomchenko hält einen Teddybären. Er gehört ihrer 18-jährigen Enkelin, die in Finnland Schutz gesucht hat.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Die Reparaturen an ihrer Wohnung dauern an. Mit finanzieller Hilfe von IRC konnte sie neue Heizkörper einbauen. Sobald das Heizsystem funktioniert, wird ihre Wohnung wieder warm sein.

Seit fast drei Jahren hat Kateryna ihre Enkelin nicht mehr gesehen und vermisst sie sehr. Der große Teddybär ihrer Enkelin erinnert sie jeden Tag an ihre enge Verbindung.

Andrii

Andrii hält ein Foto von sich auf einer Yacht. Es entstand während seiner Reisen vor dem Krieg.
Andrii hält ein Foto von sich auf einer Yacht. Es entstand während seiner Reisen vor dem Krieg.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Mit 22 Jahren verließ Andrii die Ukraine und arbeitete 20 Jahre lang in Südafrika an Programmen zum Schutz von Kindern. Er reiste leidenschaftlich gern und liebte besonders das Segeln.

Als der Krieg ausbrach, traf er eine wichtige Entscheidung: Er kehrte in die Ukraine zurück. Er wusste, dass er als männlicher Staatsbürger das Land nicht mehr verlassen konnte, bis der Krieg endet. Trotzdem wollte er nach Charkiw zurück, um zu helfen.

Im Dezember 2022 schloss er sich IRC an und setzte sein Wissen im Bereich Kinderschutz ein, um besonders gefährdete Menschen zu unterstützen. Nach 20 Jahren als Weltenbummler lebt er nun in einem Land mit geschlossenen Grenzen – doch er bereut seine Entscheidung nicht.

Anastasiia

Anastasiia zeigt ein Foto von einem glücklichen Tag, den sie mit ihrem Freund am Kakhovka-Stausee verbracht hat.
Marhartya hält ein Foto ihrer Familie, aufgenommen 2021 in Bachmut. Der Krieg hat die Stadt vollständig zerstört.
Foto: Maryna Vereshchaka/IRC

Anastasiia studierte in Donezk, als der Krieg 2014 ihre Heimat erreichte. Sie floh nach Charkiw. Dort begann sie nach einigen Jahren im humanitären Bereich zu arbeiten, um Menschen aus ihrer Region zu unterstützen.

Später setzte sie ihr Studium in Polen fort. Als die großflächige Invasion begann, blieb ihre Familie in der Ostukraine. Wenn sie ihre Familie heute besuchen will, muss sie eine anstrengende 30-stündige Reise auf sich nehmen und drei Züge von Polen aus nehmen.

Anastasiia denkt oft an einen glücklichen Tag am Kachowka-Stausee zurück, bevor der Damm zerstört und die Region 2023 von schweren Überschwemmungen getroffen wurde. „Dieses Foto erinnert mich an eine Zeit, in der alles einfacher war und man sich frei bewegen konnte“, sagt sie. „Auf dem Boot, mit meinem Partner an meiner Seite, fühlte ich mich lebendig und frei.“

Wie unterstützt IRC die Menschen in der Ukraine?

IRC leistet direkt vor Ort wichtige Hilfe für Menschen in den umkämpften Gebieten und für Vertriebene in ganz Europa.

In der Ukraine liegt der Fokus der Unterstützung auf den am stärksten vom Krieg betroffenen Regionen, besonders im Osten und Südosten des Landes.

Seit Beginn der Eskalation bis Januar 2025 haben mobile IRC-Gesundheitsteams über 100.000 medizinische Beratungen für mehr als 15.000 Menschen durchgeführt. IRC hat mehr als 100 Gesundheitseinrichtungen mit Medikamenten und wichtigen Hilfsgütern ausgestattet. 

Gemeinsam mit lokalen Partnern konnten fast 130.000 Menschen finanziell unterstützt und über 30.000 Menschen mit lebensnotwendigen Gütern versorgt werden. Zudem haben 60.000 Frauen und Mädchen Zugang zu wichtigen Hilfsangeboten erhalten. Für 30.000 Kinder hat IRC Aktivitäten organisiert, um ihnen ein Stück Kindheit zurückzugeben und sie bei der Verarbeitung der Kriegserlebnisse zu unterstützen.