So bewahren diese Frauen im Ukraine-Krieg Hoffnung
Zwei Jahre sind seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine vergangen. Lerne Alla, Natasha und Alina kennen – drei Frauen, die versuchen, trotz allem ein erfülltes Leben zu führen.
Zwei Jahre sind seit der Eskalation des Krieges in der Ukraine vergangen. Lerne Alla, Natasha und Alina kennen – drei Frauen, die versuchen, trotz allem ein erfülltes Leben zu führen.
Am 24. Februar 2022 hielt die Welt den Atem an. Russland startete eine Invasion in der Ukraine. Die Lebensumstände sind nach wie vor schwierig für die Menschen.
Der Krieg hat verheerende Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit, ihre finanzielle Situation und ihren Zugang zu Bildung. Viele von ihnen wurden gewaltsam von ihren Angehörigen getrennt.
Lerne Alla, Natasha und Alina kennen: Sie alle haben Unbeschreibliches erlebt und dennoch machen sie mit Mut und Hoffnung weiter.
Als sich der Konflikt in der Ukraine verschärfte, lebte die 84-jährige Alla in einem Pflegeheim. Mehrere Raketen trafen das Gebäude, wobei eine direkt in ein Badezimmer einschlug. Zum Glück befand sich in diesem Moment niemand im Raum.
„Es war schrecklich für mich, das Feuer, die Raketen...“, erinnert sie sich. „Ich stand im Flur und sah durch das Fenster, wie die Raketen flogen und wie alles anfing zu brennen.“
Alla musste bereits zwei Kriege miterleben: den Zweiten Weltkrieg und den aktuellen Konflikt in der Ukraine. Sie erinnert sich an den Beginn und das Ende des letzten Krieges - vorallem an die Befreiung der Stadt Mykolaiv. Sie weiß noch, wie es war, als die Soldaten aus dem Krieg zurückkehrten.
Doch all das ändert nicht, welche Auswirkungen der Krieg in der Ukraine heute auf sie hat.
„Ich kann die Nachrichten nicht anschauen, ohne Tränen in den Augen zu bekommen“, sagt Alla. „Wie viele Kinder sind gestorben, wie viele wurden verletzt und wie viele müssen ohne ihre Eltern sein? Das macht mir sehr viel Angst.“
Je länger der Krieg anhält, desto verheerender sind die psychischen Auswirkungen für die Menschen aus der Ukraine.
Seit dem Tod ihres Sohnes vor 21 Jahren hat Alla keine nahen Verwandten mehr, die sich um sie kümmern können. Deshalb entschied sie sich vor acht Jahren in ein Pflegeheim zu ziehen. Dort fand sie Trost in der Gesellschaft der Mitarbeitenden, die ihre positive Lebenseinstellung schätzen.
„Wir haben tolle Leute hier: Die Heimleitung, unsere Köch*innen und Krankenpfleger*innen. Ich bin froh, dass ich hier bin“, sagt Alla und lächelt.
Da Alla schon länger im Heim wohnt und sich gut auskennt, hilft sie häufig bei der Betreuung anderer Bewohner*innen. Alla liebt Tiere und verbringt sehr gerne Zeit mit ihrem Hund Nika. Manchmal sieht sie fern, liest ein Buch oder besucht Konzerte, die im Heim stattfinden. Ihre aufmerksame und achtsame Lebenseinstellung treibt sie sogar in diesen Zeiten des Krieges an.
„Wir müssen weiterleben, andere unterstützen und dürfen nicht aufgeben. Vor Kurzem kam zum Beispiel eine neue Frau hier an. Sie erzählte mir: ‚Ich habe ein so schlechtes Gedächtnis‘. Und ich antwortete ihr: ‚Keine Sorge, ich auch!‘ Aber wenn ich stark nachdenke, erinnere ich mich an viele Dinge und Worte.“
Natasha und ihr 13-jähriger Sohn Mykola erinnern sich noch genau an die Rakete, die im nahe gelegenen Flughafen in der Region Charkiw einschlug. Das ohrenbetäubende Geräusch riss sie um fünf Uhr morgens aus dem Schlaf.
Natasha hatte Schwierigkeiten zu verstehen, was gerade passiert war. Sie schrieb sofort Nachrichten an ihre Geschwister im Gruppenchat der Familie. Als ihre Schwester am selben Tag ihre Kinder aus Charkiw abholte, sahen sie den Flughafen in Flammen stehen. Ihnen wurde klar, welche Bedrohung dieser Krieg bedeutete. Natasha handelte sofort und stattete den Keller ihres Hauses als Schutzort aus.
Die Familie musste noch viele schreckliche Szenen erleben, als ihr Dorf vor ihren Augen zum Kriegsschauplatz wurde. Als Natasha ihren 18 Monate alten Sohn Denys badete, passierte etwas, das sie nie mehr vergessen wird: Sie setzte sich gerade auf das Sofa, um Denys schlafen zu legen, da hörte sie Maschinengewehre und ein schrilles Pfeifen direkt über dem Haus.
„Wir haben nach seinem Schnuller gesucht. Es ist, als ob Gott dafür gesorgt hätte, dass wir ihn verlieren. Mykolya ging in den Keller hinunter [um danach zu suchen]. Und dann – der Knall! Die Tür, die Fenster, alles wurde zerstört.“
In diesem Moment wussten alle in Natashas Familie, was sie zu tun hatten, sogar der 3-jährige Denys.
„Er sagte: ‚Denys in den Keller‘. Sogar ein 18 Monate altes Kind hatte schon verstanden, dass wir in den Keller flüchten mussten. Dabei hatte er gerade erst angefangen, zu sprechen...“, erinnert sich Natasha noch immer schockiert.
Der Krieg hat verheerende Auswirkungen auf Natashas Familie. Als sich der Konflikt verschärfte, wurden die Schule und das Jugendzentrum des Dorfes bombardiert und vollständig zerstört. Die Kinder des Dorfes blieben ohne sicheren Ort zurück, an dem sie sich treffen und zusammen spielen konnten. Schulen sind ein Hauptziel der Angriffe in der Ukraine. Seit dem 24. Februar wurden mehr als 4.000 Bildungseinrichtungen beschädigt oder zerstört. Unzählige Kinder können nicht mehr zur Schule gehen.
Im April 2023 startete IRC Maßnahmen vor Ort und war damit die einzige globale humanitäre Organisation, die die Kinder im Dorf unterstützte. Natasha ist dankbar für die Ablenkung, die ihre Söhne durch IRC erhalten. Sie können der Realität des Krieges für einen Moment entfliehen und mit Gleichaltrigen spielen, während erfahrene Betreuer*innen vor Ort auf sie Acht geben.
In dem Versuch, ein gewisses Maß an Normalität wiederzuerlangen, geht die Familie auch ihrer täglichen Arbeit auf dem Bauernhof nach. Natasha melkt die Kühe und Kolya kümmert sich um die Tiere, wenn er nicht gerade im Online-Unterricht ist. Seit sie humanitäre Hilfe erhalten, haben sich Natasha und andere Bewohner*innen des Dorfes zusammengetan, um sich gegenseitig dabei zu helfen, ihre Grundversorgung sicherzustellen.
Natashas ältester Sohn Mykolya strengt sich in der Schule an. Er hofft, dass er später einmal mit Autos oder Traktoren arbeiten kann. Er träumt auch davon, dass der Krieg so schnell wie möglich endet „damit es keine Explosionen und keinen Luftalarm mehr gibt. Damit es Frieden in unserem Land gibt.“
Zu Beginn des Krieges beschloss Alina, in der Ukraine zu bleiben, um anderen zu helfen. Gemeinsam mit einer Freundin unterstützte sie verletzte Personen bei der medizinischen Versorgung. Dabei konnte sie nicht glauben, dass der Krieg Realität geworden war.
Doch als sich die Situation verschärfte, entschied sie sich im Dezember 2022 dazu, nach Deutschland zu gehen, wo auch ihre Mutter lebte. Dort erfuhr sie von einem Workshop für ukrainische Geflüchtete bei IRC, an dem auch der Schauspieler Lucas Englaender teilnahm. Er ist bekannt für seine Rolle in der Netflix-Serie Transatlantic, die auf der Entstehungsgeschichte von IRC basiert.
Der Schauspieler teilte mit den Teilnehmer*innen des Workshops seine persönliche Geschichte, die Alina Mut macht.
„Mir hat alles am Workshop gefallen. Aber besonders beeindruckt hat mich Lucas’ Geschichte. Sie ähnelt meiner eigenen sehr stark, wodurch ich mich mit ihm identifizieren konnte.“
Das IRC-Projekt „Anknüpfen“ bietet Jobtraining und Integrations-Workshops für Geflüchtete aus der Ukraine an. Die Teilnahme am Projekt half Alina Kraft zu schöpfen.
„Es war wirklich ermutigend zu sehen, dass ich mit meinen Gefühlen und Herausforderungen nicht allein bin. Ich habe gemerkt, wie gut der Austausch mit anderen tut, die Ähnliches erlebt haben.
Musik spielte schon immer eine wichtige Rolle im Leben von Alina. Wenn sie vom Alltag überfordert ist, kann sie sich so zurückziehen.
„Wenn es mir schwerfällt, die richtigen Worte zu finden, kann ich mich durch die Musik ausdrücken. Manchmal ist es für mich einfach nur Entspannung, manchmal Meditation oder auch ein Weg, um in meine Gefühle und Gedanken einzutauchen.“
Heute arbeitet Alina als Empfangsdame und verfolgt gleichzeitig ihre Träume: Sie möchte ihre musikalischen Talente an einer deutschen Hochschule vertiefen um später als Lehrerin tätig zu werden.
Beim IRC-Projekt hat Alina wertvolle Tipps zum Einstieg in den deutschen Arbeitsmarkt erhalten, wodurch sie ihre Hoffnung nicht verloren hat.
„Anstatt traurig, unmotiviert zu sein und mich zu verlieren, bin ich froh, dass ich trotz des Krieges immer noch lebe. In Deutschland bin ich in Sicherheit und kann mich auf meine Ziele konzentrieren. Ich habe meine Lebensfreude wiedergefunden”, erzählt sie. „Ich habe wieder angefangen, das Essen und die Natur zu genießen und dabei meine Depression überwunden. Das erste Mal seit 10 Jahren spiele ich wieder Klavier. Ich habe verstanden, dass persönliche Entwicklung und geistiges Wachstum immer noch wichtig sind und es eine Zukunft gibt.“
Trotz der Herausforderungen des anhaltenden Krieges schaut sie nach vorne und ermutigt andere.
„Ich habe gelernt, mich meinen eigenen Herausforderungen zu stellen. Das Leben besteht aus großen und kleinen Entscheidungen, mit denen man seine Zukunft selbst in die Hand nehmen kann. Daran zu glauben hat mir geholfen nicht einfach aufzugeben und gibt mir Hoffnung für eine bessere Zukunft.“
Um auf die Bedürfnisse der vertriebenen Menschen bestmöglich eingehen zu können, weitet IRC die Maßnahmen in der Ukraine und in Polen weiter aus. Dazu gehört:
Wir unterstützen Geflüchtete aus der Ukraine in Polen, Rumänien, Ungarn, der Slowakei, Tschechien und Bulgarien sowie in Deutschland, Italien, Griechenland, Großbritannien und den USA.
Erfahre mehr über den Krieg in der Ukraine und die Arbeit von IRC vor Ort.
In Deutschland unterstützen wir Menschen aus der Ukraine durch Workshops und psychologische Beratung. Unsere Arbeit zielt darauf ab, die Integration zu fördern, eine Gemeinschaft aufzubauen und einen Raum für persönliches Wachstum zu schaffen.
Das Projekt „Anknüpfen“ richtet sich an alle Menschen, die ihr Heimatland infolge des russischen Angriffs verlassen mussten - unabhängig von ihrer Nationalität oder Qualifikation. Das Projekt besteht aus zwei Komponenten, die sich gegenseitig ergänzen, um eine umfassende und nachhaltige Betreuung der Teilnehmer*innen zu gewährleisten.
Erfahre in diesem Video mehr zu Lucas Englaenders Besuch beim Projekt.
Durch die anfängliche Reaktion auf den Krieg in der Ukraine konnten noch schlimmere Auswirkungen verhindert werden. Die Mittel für die humanitäre Hilfe in der Ukraine waren im Jahr 2022 zu 87 Prozent finanziert. Im Jahr 2023 deckten diese jedoch nur noch 61,8 Prozent des tatsächlichen Bedarfs.
Fast zwei Jahre nach der russischen Invasion und zehn Jahre nach Beginn des Konflikts ist es wichtig, die vom Krieg in der Ukraine betroffenen Menschen weiterhin zu unterstützen. Es müssen sowohl die Menschen innerhalb der Ukraine als auch diejenigen Hilfe erhalten, die in Nachbarstaaten geflohen sind.