Offiziellen Berichten zufolge ist die Zahl der Menschen, die über die Balkanroute nach Europa kommen, um fast 80 Prozent gesunken. Jedoch deuten die von International Rescue Committee (IRC) und der Diaconia Valdese in Triest gesammelten Daten auf einen weitaus geringeren Rückgang hin. Anstatt die Zahlen ankommender Menschen zu reduzieren, könnten die restriktivere Migrationspolitik und die Grenzkontrollen die Menschen auf gefährlichere Routen drängen. Die Menschen reisen schneller mit weniger Zwischenaufenthalten, halten sich versteckt, nutzen riskantere nächtliche Routen und zahlen höhere Beträge an Schmuggler*innen, um Europa zu erreichen. Dadurch werden sie in Standardanalysen nicht erfasst.

Trotz eines leichten Rückgangs der im Jahr 2024 ankommenden Menschen bleibt die humanitäre Lage in Triest unverändert. IRC-Teams trafen im vergangenen Jahr auf fast 14.000 Menschen – darunter unbegleitete Kinder, Familien und alleinstehende Frauen – die ausschließlich von Nichtregierungsorganisationen und Freiwilligen unterstützt wurden.  

Das Aufnahmesystem ist überfordert und Neuankommende müssen bis zu 30 Tage auf die Einreise warten. Viele müssen in verlassenen Gebäuden in der Nähe des Bahnhofs und des alten Hafens schlafen und sind dabei Kälte, Hunger und Gewalt ausgesetzt. Die öffentlichen Toiletten wurden entfernt und es gibt keine Notunterkünfte, so dass die Menschen nicht einmal das Nötigste zur Verfügung haben.  

Alessandro Papes, IRC-Gebietsleiter in Triest, kommentiert:  

„Trotz der häufigen Darstellung, dass Italien die Menschen erfolgreich daran hindert, nach Europa einzureisen, zeigen die Einblicke von IRC und unsere täglichen Erfahrungen mit denjenigen, die die Balkanroute überqueren, eine ganz andere Realität. Diese ist geprägt von zunehmenden Risiken und den verzweifelten Maßnahmen der Menschen, die auf der Suche nach Sicherheit und einer besseren Zukunft sind.

Sobald sie Triest erreichen, bleiben jede Nacht Dutzende von Menschen ohne Unterkunft zurück und sind eisigen Temperaturen ausgesetzt. Wir treffen täglich auf unbegleitete Kinder, viele von ihnen sind krank, erschöpft und in ernsthafter Gefahr. Einige haben Verletzungen von dem langen und gefährlichen Weg. Andere sind so unterernährt, dass sie kaum stehen können. Doch anstatt Schutz zu erhalten, müssen sie auf der Straße schlafen, ohne Zugang zu grundlegenden Ressourcen.  

Die Menschen sind gezwungen, sich diesen Gefahren auszusetzen, weil es  unzureichenden Zugang zu Asyl und sicheren Zufluchtsorten gibt. Italien muss das Recht auf Asyl in dem Hoheitsgebiet aufrechterhalten und sichere Routen schaffen, damit Menschen nicht gezwungen sind, ihr Leben auf der Suche nach Schutz zu riskieren. Nach ihrer Ankunft in Italien sollten die Menschen nicht wochenlang in Unsicherheit überleben und sich auf lokale Wohltätigkeitsorganisationen verlassen müssen, um Nahrung, Unterkunft und Sicherheit zu erhalten. Ohne dringende Maßnahmen der Behörden und eine nachhaltige Finanzierung wird das Leid nur noch zunehmen und Tausende werden in verzweifelter Lage zurücklassen. Dies wird zu größeren sozialen Spannungen und einem wachsenden Gefühl der Unsicherheit führen.”  

Den IRC-Bericht über die eskalierende humanitäre Notlage in Triest finden Sie hier.