Wie der Klimawandel humanitäre Krisen verschärft
Die dreifache Bedrohung durch Konflikte, COVID-19 und den Klimawandel verschärft Krisensituationen weltweit.
Die dreifache Bedrohung durch Konflikte, COVID-19 und den Klimawandel verschärft Krisensituationen weltweit.
Der Klimawandel wird weitreichende und nachhaltige Schäden auf der ganzen Welt ausrichten - selbst wenn es uns gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen.
Dies ist kein Problem, das künftige Generationen lösen müssen. Wir leben bereits mit den katastrophalen Folgen: Häufigere, intensivere Naturkatastrophen und extreme Wetterbedingungen zerstören Lebensgrundlagen, verschärfen gewaltsame Konflikte und zwingen Menschen zur Flucht aus ihrer Heimat. Die Auswirkungen von COVID-19 haben diese Bedrohungen für das Leben von Millionen Menschen auf der ganzen Welt verschlimmert.
Die Notwendigkeit für mutiges und dringendes Handeln könnte nicht deutlicher sein.
Wissenschaftler*innen schätzen, dass sich die Erde seit dem Ende des 19. Jahrhunderts bereits um 1,18 Grad Celsius erwärmt hat. Mit Ausnahme von 1998 wurden 19 der wärmsten aufgezeichneten Jahre nach 2000 gemessen.
Es gibt überwältigende Beweise dafür, dass diese Erwärmung durch menschliche Aktivitäten verursacht wird. Insbesondere hat die Verbrennungfossiler Brennstoffe wie Kohle, Gas und Öl zu einem Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre geführt. Der Weltklimarat (IPCC), der sich aus Tausenden Forscher*innen zusammensetzt, prognostiziert einen Temperaturanstieg von 1,8 bis 5,6 Grad Celsius im nächsten Jahrhundert.
Klima bezeichnet den durchschnittlichen Ablauf von Witterung, also von Temperatur und Niederschlag über Jahrzehnte hinweg. Im Unterschied dazu bezieht sich das Wetter auf tägliche Werte von Temperatur und Niederschlag oder meteorologische Ereignisse wie Stürme, die von einer Reihe von Faktoren beeinflusst werden. Es lässt sich nur schwer belegen, dass ein bestimmtes Wetterereignis, wie z. B. ein Hurrikan, direkt durch den Klimawandel verursacht wird. Wissenschaftler*innen haben jedoch herausgefunden, dass die globale Erwärmung extreme Wetterereignisse häufiger und intensiver macht.
Als extremes Wetter werden Hitzewellen, Dürren und Wirbelstürme oder andere „Megastürme“ bezeichnet, die Gemeinden innerhalb von einem Augenblick auf den nächsten verändern. Extremes Wetter trägt auch zu weniger vorhersehbaren Regen- oder Trockenzeiten bei, der Umwandlung von fruchtbarem Land in Wüste (auch Desertifikation genannt) und dem Anstieg des Meeresspiegels.
„Wenn wir über Treibhausgasemissionen und globale Erwärmung sprechen, klingt das sehr esoterisch“, sagt Tara Clerkin, Senior-Koordinatorin für Landwirtschaft, Klima und Partnerschaften bei International Rescue Committee (IRC). „Aber ich denke, in den letzten Jahren haben wir alle begonnen, die Auswirkungen steigender Temperaturen und erhöhter Emissionen in unserem eigenen Leben zu spüren. Das gilt umso mehr für die Orte, an denen IRC arbeitet.“
So schwierig es ist, einen einzelnen Sturm dem Klimawandel zuzuschreiben, kann eine Krise aus einer Kombination von Faktoren resultieren. Ein Beispiel: Konflikte nehmen zu, wenn eine Dürre zu Nahrungsmittelknappheit führt.Der daraus resultierende Hunger wird durch die wirtschaftlichen Auswirkungen einer Pandemie wie COVID-19 noch verschlimmert.
Extreme Wetterereignisse in Kombination mit bereits bestehenden Konflikten oder anderen Naturkatastrophen,erschweren die Lebensbedingungen derjenigen, die mit den Auswirkungen der Krise zu kämpfen haben.
Tara Clerkin verweist auf den Krieg in Syrien, der 2011 nach jahrelanger Dürre begann. „War der Klimawandel der einzige Grund für die Gewalt? Nein. War er ein mitwirkender Faktor? Ja.“
Äthiopien ist ein weiteres Beispiel. Das Land ist stark von der Landwirtschaft abhängig und wird von Dürren und Überschwemmungen geplagt, die durch den Klimawandel noch häufiger auftreten werden.
Im Jahr 2020 erlebten Teile Ostafrikas, darunter Kenia, Somalia und Äthiopien, neben der COVID-19-Pandemie auch den größten Heuschreckenausbruch der jüngeren Geschichte. Auch dieses Phänomen ist zumindest teilweise auf den Klimawandel zurückzuführen. Allein in Äthiopien haben mehr als 1 Million Menschen ihre Ernte durch die Heuschrecken verloren. 11 Millionen Menschen müssen mit Ernährungsunsicherheit rechnen. Ende des Jahres brach in der Region Tigray ein Konflikt aus, der die Bevölkerung weiter in die Krise stürzte.
„Wir sehen, dass mehrere Krisen, die eine Generation früher nur einmal getroffen hätten, heute im selben Jahr und am selben Ort auftreten“, sagt Clerkin.
Der Klimawandel birgt auch gesundheitliche Gefahren. Steigende Temperaturen und veränderte Niederschlagsmuster werden die Ausbreitung von durch Vektoren übertragenen Krankheiten wie Denguefieber und Malaria verschlimmern. Fehlender Zugang zu sauberem Wasser wird zu einer höheren Anzahl von Durchfallerkrankungen führen, einer der Haupttodesursachen für Kinder unter 5 Jahren. Im Zusammenspiel mit der Zerstörung empfindlicher Ökosysteme hat der Klimawandel einen tiefgreifenden Einfluss auf das Auftreten von Viren wie COVID-19, die von Tieren übertragen werden.
Die Existenz der Bauern „wird vom Regen bestimmt“, bemerkt Tara Clerkin.In vielen Regionen fallen Niederschläge immer unregelmäßiger. Das zwingt Landwirte und Hirten dazu, auf der Suche nach besserem Land oder anderer Arbeit umzuziehen.
Wenn Bauern und andere Mitglieder der Gemeinschaft umziehen, sammeln sie sich oft in kleineren Gebieten, in denen dann die Ressourcen knapp werden. Dies erhöht die Wahrscheinlichkeit von Konflikten und Gewalt, was zur erneuten Flucht führt.
Clerkin nennt Tschad als Beispiel für diesen Kreislauf. Das Land wirdals das durch den Klimawandel am stärksten gefährdete angesehen. 87 Prozent der überwiegend ländlichen Bevölkerung leben unterhalb der Armutsgrenze. Außerdem gehört Tschad zu dem am schlimmsten von Hunger betroffenen Ländern weltweit und beherbergt hunderttausende Geflüchtete aus den Nachbarstaaten.
Darüber hinauserlebt die Bevölkerung,wie auch im angrenzenden Niger und Kamerun, zunehmende Gewalt durch extremistische Gruppen, die zur Unsicherheit in der Region beitragen.
„Immer mehr Menschen konkurrieren um immer weniger fruchtbares Land“, sagt Tara Clerkin. „Das führt dann wieder zu mehr Konflikten.“
Der Klimawandel vertreibt auch Menschen in Mittelamerika aus ihrem Zuhause. Als die tropischen Wirbelstürme Eta und Iota im November 2020 innerhalb weniger Wochen über den Norden der Region hinwegfegten, verschlimmerten sie die Lebenslagen in El Salvador, Guatemala, Honduras und anderen Ländern, die bereits von Bandengewalt und extremer Armut geplagt waren.
„Die Hurrikanskamen am Ende eines Jahres voller Krisen“, sagt Meghan Lopez, Vizepräsidentin der IRC-Programme in Mittel- und Südamerika, in einem Interview mit CNN. „Als dann noch die Pandemie hinzukam und die Hilfsmittel für die betroffenen Länder gekürzt wurden, blieb die Flucht aus dieser ausweglosen Situation für viele Menschen die einzige Option."
Ein Index der Universitätvon Notre Dame hat die zehn Länder ermittelt, die am stärksten von der Klimaerwärmung betroffen sind. Sieben von ihnen stehen auch auf derIRC-Watchlist 2021, eine Rangliste der Länder, die im Jahr 2021 am schlimmsten von humanitären Krisen betroffen sein werden. Alle zehn Staaten befinden sich in einem bewaffneten Konflikt.
Afghanistan ist eines dieser Länder. In der zentralasiatischen Nation, dieseit vier Jahrzehnten mit Gewalt und wirtschaftlichen Turbulenzen zu kämpfen hat, wurden über eine Million Menschen aufgrund von Naturkatastrophen aus ihren Häusern vertrieben.
Klimawandel verstärkt zudem die Ungleihheit der Geschlechter.Wie in jeder Krise leiden Frauen und Mädchen überproportional.
„Frauen sind in der Regel für den Haushalt zuständig. Dazu gehören Gartenarbeit, Handarbeit und Landwirtschaft sowie das Beschaffen von Wasser und Feuerholz und die Ernährung ihrer Familien“, sagt Tara Clerkin. „All diese Aufgaben sind schwieriger, wenn der Klimawandel die lokale Umwelt beeinträchtigt.“
Auch geschlechtsspezifische Gewalt nimmt während einer Krise zu. Zum Beispiel berichteten lokale Organisationen in Honduras nach zwei Wirbelstürmen und der COVID-19-Pandemie von einem 60- bis 70-prozentigen Anstieg der gemeldeten Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt. Hilfesuchende Frauen fanden sich in überfüllten Notunterkünften wieder, in denen die fehlende Privatsphäre auch zu sexualisierter Gewalt beitrug.
„Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es neben Verständnis und der Bereitschaft zu handeln auch Lösungen gibt“, sagt Clerkin. „Wir beginnen zu verstehen, welche Maßnahmen Emissionen und Vulnerabilität reduzieren.“
Humanitäre Organisationen müssen den Mangel an globaler politischer Führung während der Pandemie anprangern, um sicherzustellen, dass sich Fehler nicht wiederholen.
Tara Clerkin empfiehlt Programme, die „Klimaresilienz“ aufbauen. Sie bereiten Gemeinden darauf vor, sich den Auswirkungen des Klimawandels zu stellen und gleichzeitig Schritte zu unternehmen, um die Treibhausgasemissionen zu verringern, Umweltzerstörung zu verhindern und die Artenvielfalt wiederherzustellen. Dazu gehört, dass sich Gemeinden auf zukünftige Klimanotfälle vorbereiten, wofür sie finanzielle Unterstützung und Entscheidungsbefugnis erhalten. Lokale Führungspersönlichkeiten (insbesondere indigener Gruppen), Kleinbäuer*innen und Viehhirt*innen haben bereits das notwendige Wissen und die nötige Erfahrung, um der Klimakrise zu begegnen.
„Wir sind an einem Punkt angelangt, an dem es neben Verständnis und der Bereitschaft zu handeln auch Lösungen gibt.“ - Tara Clerkin, Senior-Koordinatorin für Landwirtschaft, Klima und Partnerschaften bei IRC.
„Es muss mehr Respekt für die generationenübergreifende Expertise dieser Entscheidungsträger*innen bei der Bewirtschaftung und Pflege ihres eigenen Landes geben“, sagt Clerkin.
Zukünftige Antworten auf den Klimawandel müssen einen feministischen Ansatz beinhalten und die einzigartige und unverhältnismäßige Art anerkennen, in der Frauen betroffen sind. Als Bäuerinnen, Pflegerinnen oder Aktivistinnen sind Frauen (und von Frauen geführte Organisationen) von zentraler Bedeutung für die Ernährungssicherheit und einen wirksamen Klimaschutz.
Keine dieser Bemühungen kann ohne Innovation geschehen. Es bedarf neuer Technologien , um die drängendsten Klimaprobleme der Welt anzugehen. Dabei muss auf lokalem und indigenem Wissen über Klimaresilienz und das Management natürlicher Ressourcen aufgebaut werden.
IRC hilft Gemeinden, auf den Klimawandel zu reagieren. Wir bieten Schulungen zum nachhaltigen Erwirtschaften des Lebensunterhalts an, beteiligen uns an der Entwicklung von Frühwarnsystemen und der Erfassung von geowissenschaftlichen Risikodaten und unterstützen den Gewässerschutz, um nur einige unserer wichtigsten Programme zu nennen. Als feministische Organisation ist IRC bestrebt, die Bedürfnisse von Frauen und Mädchen in den Mittelpunkt unserer Programme zu stellen.
IRC ist zudem Partner für politische Mitwirkung. Wir sind Unterzeichner des InterAction NGO Climate Compact ein Versprechen, die globale Agenda zur drastischen Reduzierung der Treibhausgasemissionen voranzutreiben und die Auswirkungen des Klimawandels auf besonders gefährdete Menschen mit wenigen Ressourcen zu lindern.
Dieses Engagement spiegelt sich auch in der langfristigen Strategie von IRC wider. Unser Klimaaktionsplan hat eine ehrgeizige Agenda, mit der wir unseren eigenen organisatorischen CO2-Fußabdruck reduzieren. Wir werden unsere Programme so anpassen, dass wir die Wirkung und Qualität unserer Unterstützung nicht beeinträchtigen.