Wie der Klimawandel den Konflikt in Afghanistan zuspitzt
Die führenden Politiker*innen der Welt müssen handeln, um die von der Klimakrise am stärksten betroffenen Länder zu unterstützen.
Die führenden Politiker*innen der Welt müssen handeln, um die von der Klimakrise am stärksten betroffenen Länder zu unterstützen.
Die rekordverdächtigen Hitzewellen, die zunehmenden Dürren und die extremen Stürme in diesem Jahr verdeutlichen die schrecklichen Folgen der Erwärmung unseres Planeten. Überall auf der Welt verlieren Menschen ihre Lebensgrundlage - sogar ihr Leben - durch extreme Wetterbedingungen.
Menschen in Ländern mit niedrigem Einkommen tragen die Hauptlast der Klimakrise - obwohl sie am wenigsten für die steigenden CO2-Emissionen verantwortlich sind.
Afghanistan ist ein typisches Beispiel dafür. Dort hat der Klimawandel in Verbindung mit dem Regierungswechsel, anhaltenden Konflikten, Instabilität und COVID-19 verheerende Auswirkungen.
Hier sind die wichtigsten Informationen:
„Wenn man sich eine Karte der Welt mit den Auswirkungen des Klimawandels anschaut und diese mit einer Karte aktiver Konflikte vergleicht, sieht das fast wie dieselbe Karte aus", sagt Tara Clerkin, die leitende Koordinatorin für Landwirtschaft, Klima und Partnerschaften bei IRC.
Fast zwei Drittel der 20 Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, sind auch von bewaffneten Konflikten betroffen. Es ist schwer zu sagen, ob der Klimawandel einen bestimmten Konflikt verursacht, aber er kann die Situation für die Menschen, die von großer Unsicherheit betroffen sind, verschlimmern.
Fast zwei Drittel der 20 Länder, die am stärksten vom Klimawandel betroffen sind, sind auch von bewaffneten Konflikten betroffen.
Derzeit sind schätzungsweise 41 Millionen Menschen weltweit von einer Hungersnot bedroht, eine Zahl, die noch steigen wird. Höhere Temperaturen, Waldbrände, unregelmäßige Regenfälle, Überschwemmungen und Dürren - allgemein Bodendegradation und Wüstenbildung - bringen die Ernährungsunsicherheit auf ein noch nie dagewesenes Niveau.
Mit steigenden Temperaturen sind Menschen häufig dazu gezwungen umzuziehen. Nach Angaben der Weltbank könnte der Klimawandel ohne sofortige Maßnahmen bis zum Jahr 2050 weltweit über 200 Millionen Menschen zur Vertreibung innerhalb ihres Landes zwingen.
Die Auswirkungen des Klimawandels verschärfen auch Ungleichheiten. Wenn es um Nahrungsmittel geht, hängt der Lebensunterhalt von Frauen in Staaten mit niedrigem Einkommen überwiegend von der Landwirtschaft ab, die aber zunehmend durch extreme Wetterbedingungen bedroht ist.
Im Spätsommer konzentrierten sich die Schlagzeilen auf die Tausenden, die aus Afghanistan zu fliehen versuchten, und auf die Millionen, die weitere humanitäre Hilfe benötigen. Neben dem Konflikt und dem Regierungswechsel spitzt sich durch die Klimakrise seit Jahren eine weitere Katastrophe vor Ort zu. Die Landwirte haben sich von der Dürre im Jahr 2018 noch immer nicht erholt, und für 2022 wird eine noch schlimmere Situation vorhergesagt.
„Die meisten Menschen sind von der Landwirtschaft abhängig - vom Ackerbau oder der Viehzucht", sagt Noor*, stellvertretende Koordinatorin der IRC-Landwirtschaftsprogramme in Afghanistan. Etwa 80 Prozent der Afghan*innen arbeiten in irgendeiner Form in der Landwirtschaft; viele haben fast alles verloren. „Selbst Trinkwasser kann schwer zu finden sein", sagt Noor.
Afghanistans heiße, trockene Sommer stellen eine andauernde Herausforderung dar, aber der kommende Winter wird voraussichtlich noch schwieriger werden. Missernten und Viehverluste aufgrund von Dürre und Futtermittelknappheit haben den Bäuerinnen und Bauern keine andere Wahl gelassen, als ihren verbleibenden Besitz zu verkaufen. Der sinkende Grundwasserspiegel wird die menschliche Bevölkerung nicht mehr versorgen können. Das raue Wetter wird den Transport zwischen den Städten unmöglich machen, zumal extreme Witterungsbedingungen und Konflikte Familien dazu zwingen, aus ihren Häusern oder Notunterkünften zu fliehen. Bereits jetzt sind drei Millionen Afghan*innen Binnenvertriebene, über 665.000 allein in diesem Jahr.
Nach Angaben des Welternährungsprogramms der Vereinten Nationen (WFP) und der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) steht Afghanistan am Rande einer Hungerkrise. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung - etwa 22,8 Millionen Menschen - werden in diesem Winter von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein.
„Die Situation in Afghanistan wird durch den jahrzehntelangen Effekt von Klimawandel und Konflikt noch verschärft", sagt Brian Ssebunya, leitender technischer Berater von IRC für wirtschaftliche Erholung und Entwicklung in Asien und Ostafrika. „Möglicherweise gab es eine Dürre oder eine Überschwemmung, die die Menschen zur Umsiedlung zwang, bevor der Konflikt sie einholte. Oder der Konflikt war bereits im Gange, als eine Klimakatastrophe zuschlug. In jedem Fall führt jede Krise zu einer weiteren Gefährdung - Menschenleben und Besitztümer gehen verloren und die Menschen werden ärmer.
Die wohlhabenderen Länder müssen ihre Klimaziele erreichen, um die globale Erwärmung unter 1,5° C zu halten. Sie müssen aber auch handeln, um Hunger und Not in den einkommensschwachen Ländern zu verhindern, die am stärksten von der Klimakrise betroffen sind. In fragilen Staaten ist der Klimawandel ein Problem von heute und nicht von morgen, da sie schon bei der bisherigen globalen Erwärmung mit Notständen konfrontiert sind.
In fragilen Staaten ist der Klimawandel ein Problem von heute und nicht von morgen, da sie schon bei der bisherigen globalen Erwärmung mit Notständen konfrontiert sind.
Deshalb fordert IRC die Staats- und Regierungschef*innen der Welt auf, jetzt in Programme zu investieren, die Hunger verhindern und die Menschen in die Lage versetzen, sich schnell an die globale Erwärmung anzupassen. Diese Investitionen müssen humanitäre und entwicklungspolitische Ansätze miteinander verbinden. Außerdem müssen sie Krisen vorher verhindern und Gemeinschaften direkt unterstützen, bevor eine Katastrophe eintritt.
„Der springende Punkt ist die Kombination von neuen Informationen, neuen Ansätzen und Technologien mit lokalem, einheimischem Wissen", sagt Clerkin. So können Landwirt*innen beispielsweise auf sich ändernde Wetterbedingungen reagieren, wenn sie über zuverlässige Informationen und angemessene Ressourcen verfügen, um darauf zu reagieren.
Darüber hinaus muss die globale Unterstützung feministisch sein und die Hindernisse beseitigen, die Frauen und Mädchen belasten. Von Frauen geführte Organisationen sind von entscheidender Bedeutung, da Frauen in ihrer Rolle als Bäuerinnen, Pflegerinnen und Aktivistinnen direkt auf den Klimawandel und die Ernährungsunsicherheit reagieren.
„Die Menschen müssen optimistisch bleiben, damit etwas passieren kann", sagt Ssebunya. „Sie müssen die Hoffnung haben, dass ihre kleinen Unternehmen, ihre Ernten oder ihr Viehbestand überleben werden - und im schlimmsten Fall gibt es eine Ausweichmöglichkeit."
In Afghanistan hat das IRC gemeinschaftsgeführte, klimagerechte Ansätze eingeführt, um den Landwirt*innen bei der Anpassung ihrer Anbaupraktiken und Viehzucht zu helfen. „Unsere erste Herausforderung ist die Dürre", sagt Noor, der die Notwendigkeit neuer Bewässerungstechniken für die Landwirte, den Zugang zu klimaangepassten Nutzpflanzen und Tierrassen sowie bessere Verbindungen zum Markt beschreibt.
IRC führt ähnliche Programme auf der ganzen Welt durch. Im Nordosten Nigerias haben wir in Zusammenarbeit mit Google eine Plattform für Klimadaten entwickelt, die Bargeldzahlungen an die am stärksten gefährdeten Menschen leistet, wenn die Bedingungen dies erfordern. In der Zentralafrikanischen Republik arbeiten wir mit Landwirt*innen zusammen, um Tausende von Bäumen zu pflanzen und den Anbau zu diversifizieren, um die Bodenverschlechterung umzukehren. An einigen Orten sind die Einkommen um bis zu 1.000 Prozent gestiegen.
„Ich sage oft, dass die Bauern und Bäuerinnen die Kanarienvögel im Minenschacht sind", sagt Clerkin. „Sie erleben die Auswirkungen des Klimawandels seit Jahren aus erster Hand und warnen uns alle vor der wachsenden Bedrohung unserer Lebensgrundlagen. Das Problem bei dieser Metapher ist, dass der Kanarienvogel stirbt. Die Weltgemeinschaft hat eine echte Verantwortung, dafür zu sorgen, dass wir das nicht zulassen."
*Name zum Schutz der IRC-Mitarbeitenden in Afghanistan geändert