Noch nie seit dem zweiten Weltkrieg gab es so viele Geflüchtete und Vertriebene auf der Welt. Sie alle brauchen Nahrung, eine Unterkunft, Gesundheitsversorgung, Schutzprogramme, Bildung für die Kinder sowie wirtschaftliche Unterstützungsangebote für sich selbst.IRC-Mitarbeiter*innen gehören zu den ersten Helfer*innen vor Ort: Sie unterstützten die Überlebenden der Explosion in der libanesischen Hauptstadt Beirut und stehen den Menschen in Jemen seit fünf Jahren Krieg und länger zur Seite. Dabei lassen sie sich von denjenigen inspirieren, für die sie arbeiten: Geflüchtete, Schutzbedürftige, Überlebende von Krieg und Gewalt. Gemeinsam finden sie Wege, um die Unterstützung anzubieten, die jeweils am meisten gebraucht wird. Einige von ihnen teilen hier ihre Geschichten:
Rebecca Mouawad, Libanon: Unterstützung nach der Explosion in Beirut
Rebecca Mouawad steht vor zahlreichen Herausforderungen: Sie ist leitende Kinderschutzbeauftragte von IRC in Libanon.
Das Land befindet sich mitten in einer Wirtschaftskrise. Inflation und Arbeitslosigkeit sind extrem hoch. Viele Familien haben Mühe, genug Essen zu besorgen. Zudem hat die COVID-19-Pandemie den Arbeitsalltag von Rebecca und ihremTeam erschwert. Sie können derzeit gefährdete Kinder und ihre Eltern nur aus der Ferne unterstützen.
Dann die Explosion – 3.000 Tonnen Ammoniumnitrat, die im Beiruter Hafen gelagert waren, detonierten. Obwohl sie in einem Dorf außerhalb der Stadt lebt, hörte Rebecca die Explosion. „Ich glaube wirklich, dass dieser Knall in ganz Libanon widerhallte“, sagt sie. „Die Menschen hier sind traumatisiert.“
„Viele Leute wollten einfach herkommen und helfen. Das hat uns bestärkt, unser Bestes zu geben.“ - Rebecca Mouawad
IRC in Libanon reagierte sofort und unterstützte Betroffene mit Bargeldleistungen. Rebecca konzentrierte sich auf die Unterstützung von Kindern und ihren Familien. Sie sorgt sich um diejenigen, die ihr Zuhause verloren und Traumata erlebt haben und befürchtet, dass Kinder nun zur Arbeit gezwungen werden könnten, um zum Haushaltseinkommen beizutragen.
„Es gibt Kinder, die können nicht verarbeiten, was passiert ist und warum“, sagt sie.
Rebecca fuhr nach Beirut, um zu helfen. Zusammen mit anderen Freiwilligen half sie dabei, ein Haus aufzuräumen, in dem eine 80-jährige Frau und deren Mann lebten.
„Als ich gerade den Balkon ihres Schlafzimmers putzte, sah ich, dass ihre Sachen überall verstreut herumlagen – ihr Parfüm, ihre Kleidung, ihre Handtasche – alles war mit Staub bedeckt“, erzählt Rebecca. „Doch das Ehepaar lächelte und dankte uns für unsere Hilfe. Der Mann zeigte uns Bilder, auf denen er im Alter von 20 Jahren in den Bergen Fahrrad fuhr. Das hat mich wirklich beeindruckt.
„Jetzt hoffe ich, dass es friedlich bleibt in Beirut – der Stadt, in der wir aufgewachsen sind und die wir so lieben.“
Dr. Rasha Rashed, Jemen: Gesundheitsversorgung inmitten des Krieges
„COVID trifft jede Familie. Es ist wie im Krieg. In jedem Haus gibt es jemanden, der ein Familienmitglied verloren hat.
Dr. Rasha Rashed ist IRC-Managerin für reproduktive Gesundheit in Jemen. Ihr Onkel starb an den Folgen einer Coronavirus-Erkrankung. Ihren Vater konnte Dr. Rasha wieder gesund pflegen.
Seit fünf Jahren herrscht ein brutaler Krieg in Jemen. Das Gesundheitssystem ist weitgehend zerstört. Nur die Hälfte aller medizinischen Einrichtungen sind funktionsfähig. 18 Millionen Menschen haben keinen Zugang zu Hygiene, sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen.
Dr. Rasha leitet ein Team von medizinischen Fachkräften und Hebammen, die trotz der Gefahren, die der Krieg mit sich bringt, weiterhin Patient*innen behandeln. „Ich bin sehr stolz auf meine Kolleg*innen“, sagt sie und verweist auf die Isolationseinheit, die speziell für an COVID-19 erkrankte werdende Mütter geschaffen wurde. Zudem erreicht IRC mt Hilfe mobiler medizinischer Teams auch Menschen in abgelegenen Gebieten. „Sie haben keine Angst”, berichtet Dr. Rasha über ihre Kolleg*innen. Selbst in den schlimmsten Zeiten arbeiten sie weiter.”
Die Ärztin fügt hinzu: „In der humanitären Hilfe zu arbeiten bedeutet, Hoffnung und Heilung zu geben. Wenn Sie drei, vier Stunden in ein weit entferntes Dorf in die Berge fahren, um jemanden zu behandeln, gibt das den Menschen das Gefühl, nicht alleine gelassen zu werden.“
Betelhem Mengistu, Äthiopien: Schutz von Frauen vor Missbrauch - und COVID-19
„Die Fälle von geschlechtsspezifischer Gewalt (GBV), insbesondere von sexueller Gewalt und Gewalt durch Intimpartner, nehmen zu“, sagt Betelhem Mengistu, Gemeinde-Koordinatorin für IRC in Äthiopien. „Besonders schlimm ist die Lage für Frauen und Mädchen mit Behinderungen und für ältere Frauen, die beim Zugang von Dienstleistungen vor zusätzlichen Herausforderungen stehen.”
Betelhem koordiniert über 50 Mitarbeiter*innen. Sie schützen und stärken Frauen, die von Missbrauch betroffen sind - Geflüchteten, aber auch Frauen in Aufnahmegemeinden. Ihre Arbeit ist schwieriger geworden, seit sich COVID-19 im Land verbreitet. VieleFrauenhaben ihr Einkommen verloren. Auch Mädchen, die durch den Schulbesuch Schutz vor Kinderarbeit, sexueller Gewalt und Zwangsheirat erfahren haben, sind mit den Einschränkungen auch im Bildungsbereich verwundbarer geworden.
Das Team von Betelhem betreut weiterhin Frauen und Mädchen und bietet ihnen „sichere Räume“ - wenn auch etwas eingeschränkt, da die vorgeschriebenen Abstandsregeln eingehalten werden müssen. „Wir nutzen das Lokalradio, um die Menschen hier für geschlechtsspezifische Gewalt zu sensibilisieren“, erklärt sie. „Dort, wo es keinen Empfang gibt, gehen wir Block für Block ab und überbringen unsere Botschaften mit Megaphon.”
Betelhem lässt sich von den Frauen, mit denen sie arbeitet, inspirieren. „Sie haben Führungspersönlichkeit“, sagt sie. „Die Frauen, darunter Geflüchtete und Binnenvertriebene, setzen sich für andere Frauen und Mädchen ein – obwohl ihr Alltag sie selbst vor so viele Herausforderungen stellt.”