Betritt man Sophies Haus, ist man sofort umgeben von den bunten Graffitis ihres Sohnes an den Wänden, von Theaterrequisiten und zahlreichen Drehbüchern.
„Als berufstätige Mutter mit drei Kindern kann es manchmal etwas überwältigend und stressig werden. Aber wenn Mohand den Raum betritt, wird es plötzlich ganz friedlich. Er ist so ein herzensguter Mensch.“
Letztes Jahr lud Sophie Mohand ein, bei ihr zu leben. Im Jahr 2015 musste er sein Heimatland Sudan verlassen, als die Situation vor Ort zu gefährlich wurde. Er machte sich auf die gefährliche Reise nach Libyen und verbrachte sechs Tage auf einem Boot im Mittelmeer, bevor er in Italien ankam. Nachdem Mohand drei Monate im „Dschungel von Calais“ verbracht hatte, einem Flüchtlingslager in Frankreich, erreichte er schließlich Großbritannien.
Sophie NL Besse, die als Theaterdirektorin und Therapeutin tätig ist, lernte den 30-jährigen Mohand im Juni 2016 über einen seiner Freunde kennen: Mohammed, ebenfalls ein Flüchtling aus dem Sudan. Mohammed besuchte einen der Theaterworkshops, den Sophie ins Leben gerufen hatte, um Flüchtlinge zusammen zu bringen und bat Mohand, sich anzuschließen.
Das Innenministerium brachte Mohand in Bradford unter. Dort fühlte sich oft isoliert und hatte Schwierigkeiten damit, Englisch zu lernen.
„Als ich nach Großbritannien kam, blieb ich einfach in meinem Zimmer in einer Erdgeschosswohnung. Ich hatte keine Freunde und kannte niemanden. Ich verbrachte sechs Monate an meinem Handy, um mit meinen Freunden in Frankreich über WhatsApp in Kontakt zu bleiben.“
Ein paar Monate später begann Sophie als Leiterin der Theatergruppe PSYCHEdelight, mit den Proben für die Komödie Borderline. In der Produktion werden verschiedene Geschichten von Geflüchteten und Asylbewerber*innen über ihre Erfahrungen im „Dschungel von Calais“ verarbeitet.
Mohand wurde zum festen Teil der Gruppe und pendelte von Bradford aus zu den Proben. „In Calais fühlten sich drei Monate an wie drei Jahre. Jeden Tag versuchten wir, es nach Großbritannien zu schaffen und als das endlich geschah, waren wir überglücklich.“
Als im Januar 2018 eine neue Produktion in den Startlöchern stand und der Weg von Bradford nach London immer schwieriger wurde, lud Sophie Mohand ein, bei ihrer Familie zu wohnen. „Ich erinnere mich daran, wie Sophie mich angerufen und gesagt hat: ‚Mohand, wir versuchen eine weitere Show auf die Beine zu stellen. Möchtest du nach London ziehen? Du kannst bei mir wohnen‘“, sagt Mohand. „Ich war so glücklich. Ich fühle mich richtig lebendig, wenn ich in London bin.“
Sophie sagt: „Ich glaube nicht an eine ‚perfekte Familie‘ mit zwei Kindern im Abstand von zwei Jahren, wo die Tochter wie die Mutter aussieht und der Sohn wie der Vater. Für mich bedeutet Familie etwas anderes. Ich denke, es braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind zu erziehen.“
„Mohand ist für Antoine so etwas wie ein großer Bruder geworden. Sie sprechen gerne über Musik. Maries Spitzname ist „Mimi“, derselbe Name wie der von Mohands Schwester. Sie mag Mohand sehr. Ich denke, sie sieht den Frieden, den er mit ins Haus gebracht hat. Mohand ist sehr fürsorglich und sanft. Wenn er sieht, dass ich müde bin oder viel Arbeit habe, sagt er: ‚Geh du ins Bett, ich spiele ein Spiel mit Jules.‘“
Wenn jemand fragt, wer meistens gewinnt, rufen Jules, Sophie und Mohand „Wenn wir spielen, wird niemand verschont. Natürlich haben wir immer Taschentücher griffbereit, weil jemand weinen wird“ sagt Mohand mit einem Lächeln im Gesicht.
Für Mohand sind es die kleinen Dinge im Leben, die wirklich wichtig sind. Er erinnert sich an einen Tag, an dem er sich nicht gesund fühlte.
„Ich hatte Fieber und Magenschmerzen. Ich konnte das Bett nicht verlassen. Sophie war die ganze Zeit bei mir und fragte, ob ich etwas brauche. Sie kochte für mich und brachte mir Bananen. Ich werde diesen Tag nie vergessen; sie gab mir das Gefühl... Ich kann es gar nicht beschreiben.Ich fühlte mich zu Hause. Hier werde ich geliebt.“