Eine gigantische Heuschreckenplage in Ostafrika, die hunderttausenden Menschen die Lebensmittelgrundlagen wegfraß. Brände in Australien, die Tausende Häuser vernichteten und über eine Milliarde Tiere töteten. Eine nie dagewesene Hitzewelle in Sibirien mit bis zu 38 Grad Celsius in Stadt Werchojansk, der sonst kältesten Stadt der Welt. Außergewöhnlich starke Stürme und Überschwemmungen in Europa. Der Zyklon Amphan in Indien, Sri Lanka und Bangladesch. Das extremste Klimajahr in der Geschichte der USA mit Stürmen, Wirbelstürmen, einer Dürre und den Waldbränden in Kalifornien. Es sind nur sechs Beispiele von Klimakrisen, die die Welt 2020 trafen. Und sie zeigen: Ob Afrika, Asien, Europa, Amerika oder Australien, der Klimawandel trifft Menschen auf allen Kontinenten, aber nicht alle Menschen gleichermaßen.
Unter den am schwersten vom Klimawandel betroffenen Ländern finden sich vor allem viele Staaten des Globalen Südens. Dass Klimaveränderungen dort stärkere Auswirkungen haben, hängt vor allem mit zwei Phänomenen zusammen: Erstens sind es jene Länder, deren schwache Infrastruktur sich häufig weniger auf Katastrophen einstellen können, was wiederum am fehlenden politischen Willen und den entsprechenden Ressourcen liegt. Zweitens sind es Länder, in denen viele Menschen stark von ihrer natürlichen Umwelt abhängig sind und denen es an Ressourcen mangelt, ihre Lebenssituation auf klimatische Veränderungen anzupassen .
Frauen sind stärker betroffen
Innerhalb dieser Länder trifft die Klimakrise Frauen noch einmal stärker als Männer. Das zeigt sich auf drei Ebenen: Erstens, in der unmittelbaren Betroffenheit von Klimakatastrophen: 1991 starben beim Zyklon in Bangladesch fünfmal mehr Frauen als Männer , unter den Opfern des verheerenden Tsunami in Südostasien zu Weihnachten 2004 waren mehr als 70 Prozent Frauen. Insgesamt haben Frauen und Kinder ein 14-mal höheres Risiko während einer Katastrophe zu sterben als Männer. Häufig hat dies ganz banale Erklärungen: die Frauen können nicht schwimmen, oder sind aufgrund traditioneller Rollenmuster häufiger zuhause, um sich um Kinder und Alte zu kümmern. Erschreckend sind auch die Zahlen an Menschen, die aufgrund von Klimawandelfolgen ihre Heimat verlassen müssen: Frauen machen hier einen Anteil von 80 Prozent aus.
„Der Klimawandel ist schon jetzt eine der Triebkräfte hinter den humanitären Krisen in der Welt. Bei internationalen Verhandlungen über Klimaziele müssen daher immer auch die Auswirkungen der Klimakrise auf die ärmsten Länder der Welt berücksichtigt werden.“ - David Miliband, IRC-Präsident und CEO
Zweitens, in der nachfolgenden Betroffenheit nach Klimakatastrophen: Die Folgegefahren von Klimakatastrophen sind für Frauen unweit höher. In Notlagern werden Frauen immer wieder Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt, häufig fehlt es an sanitären Einrichtungen. Sie haben oft schlechteren Zugang zu Lebensmitteln, sind Männern im Verteilungskampf unterlegen. Daraus erklärt sich, wieso sie in Krisenzeiten häufig als erstes an Mangelernährung leiden – wie auch Kinder und Alte.
Drittens, in der strukturellen Benachteiligungen von Frauen, die der Klimakrise schon vorausgeht: Ein traditionelles Rollenverständnis sowie kulturelle, soziale, wirtschaftliche und politische Normen in vielen Gesellschaften machen Frauen besonders verwundbar gegenüber den Auswirkungen der globalen Klimakrise. Der Klimawandel verstärkt demnach bereits bestehende Ungleichheiten. Frauen haben in vielen Gesellschaften einen schlechteren Zugang zu Bildung und formaler Arbeit und ein geringeres Mitspracherecht bei politischen Entscheidungen. Dies führt dazu, dass sie schlechter auf Krisen reagieren können – ganz konkret auch Maßnahmen zu ergreifen, um in kritischen Situationen ihre Lebensgrundlagen zu sichern. Zumal wird ihnen häufig der Zugang zu Land verwehrt, obwohl sie primär diejenigen sind, die Ackerbau betreiben. So überrascht es nicht, dass Frauen rund 70 Prozent der Menschen stellen, die unterhalb der Armutsgrenze leben.
Ohne Frauen lässt sich der Klimawandel nicht stoppen
Daher lassen sich Maßnahmen gegen den Klimawandel nicht ohne die Stärkung von Frauen verwirklichen. Frauen sind die zentralen Akteurinnen in der Anpassung an die Folgen von Krisen. Auch sind primär sie es, die sich um andere Menschen kümmern, die von persönlichen, kriegerischen, aber eben auch klimatischen Katastrophen betroffen sind. Im Globalen Süden sind 90 Prozent der Menschen, die unbezahlte Sorgearbeit für Alte, Kranke und Kinder übernehmen, Frauen.
Um Gemeinschaften effektiv vor den Folgen des Klimawandels zu schützen, müssen direkte Maßnahmen zur Stärkung von Frauen umgesetzt werden. Es muss bei den gesellschaftlichen Ungleichheiten angesetzt werden, die schon lange vor der Klimakrise bestanden und Frauen benachteiligen. IRC verfolgt daher einen feministischen Ansatz, der gezielt Frauen in den von Klimakrisen betroffenen Gebieten unterstützt, indem die Zugänge zu wichtigen Ressourcen, Finanzen und Entscheidungsmöglichkeiten für die von der Krise betroffenen Frauen und Mädchen vereinfacht werden.
In Somalia widerstandsfähige Gemeinden aufbauen
Wie ein solcher Ansatz aussieht, lässt sich in Somalia beobachten: Über das Projekt Building Resilient Communities in Somalia (BRCiS) werden Bargeldhilfen für mehr als 24.000 Menschen auf der Grundlage von Dürreprognosen und lokalen Frühwarnmechanismen bereitgestellt. Das Bargeld kann in verschiedenen Lebensbereichen eingesetzt werden, ob beispielsweise für Essen, Arztbesuche und Medikamente oder Anschaffung von Materialien wie Kochutensilien, Zeltplanen, Kleidung.
Die BRCiS-Projekte konzentrieren sich dabei auf die Stärkung der gesellschaftlichen Position von Frauen, indem ihrer Fähigkeiten in den Bereichen Mediation, Führung und Zugang zur Justiz gefördert und ausgebaut werden. BRCiS verfolgt einen ganzheitlichen Ansatz, um Gemeinschaften in sieben dürregefährdeten Regionen Somalias zu unterstützen. Obwohl das Programm nicht explizit nur auf die Unterstützung von durch den Klimawandel gefährdeten Gemeinden ausgerichtet ist, zeigt sich hier, dass die Folgen und Belastungen durch die Klimakrise nur gemeinsam mit und durch die Förderung von Frauen bekämpft werden können.
Abshiro Abdile Sheikhow ist 55 Jahre alt. Sie lebt mit ihrer neunköpfigen Familie in Qargora, einem Dorf im Nordosten Somalias. Ihren Lebensunterhalt verdient die Familie mit dem Verkauf von Milch und Fleisch ihrer zwanzig Ziegen. Zu Beginn der letzten Regenzeit erkrankten alle Ziegen. Sie gaben kaum mehr Milch. Auch das Fleisch ließ sich nicht verkaufen. Das Einkommen der Familie brach weg. Im Rahmen von BRCiS bekam die Familie Unterstützung: ihre Ziegen wurden behandelt und entwurmt – und konnten so wieder gesund werden. Das Programm sicherte so den Lebensunterhalt von Abshiros Familie. Abshiro meint, dass die Hilfe genau zur richtigen Zeit kam:
„Vor der Behandlung konnten unsere Ziegen keine Milch produzieren, sie waren schwach, ihre Haut war rau. Es gab kein Essen für die Kinder. Jetzt sind wir dankbar. Unseren Ziegen geht es besser, und damit geht es auch uns so viel besser.“
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