Neben dem Krieg in der Ukraine wird die Zahl der weltweit vertriebenen Menschen auch durch neue Gewaltausbrüche oder langwierige Konflikte und Krisen in die Höhe getrieben. Darunter zum Beispiel Burkina Faso, Myanmar, Jemen, Venezuela, Äthiopien, Afghanistan und die Demokratische Republik Kongo.
100 Millionen Menschen, das sind 1 Prozent der Weltbevölkerung. Alle Menschen auf der Flucht zusammengezählt, würden das 14. bevölkerungsreichste Land der Welt ausmachen – ungefähr so groß wie Äthiopien oder Vietnam. Zu dieser Zahl gehören sowohl Geflüchtete und Asylsuchende als auch die 53,2 Millionen Menschen, die innerhalb ihres eigenen Landes vertrieben sind.
Fantaou Mallam Kiari (20) und eine andere Frau in Diffa, Niger, lesen eine IRC-Broschüre über die Prävention von Mangelernährung bei Kindern. Mütter wie Fantaou erhalten von IRC Bargeldhilfe sowie wirtschaftliche Schulungen, damit sie ihre Familien unterstützen können.
Foto: Mamadou Diop/IRC
„Geflüchtete aus der Ukraine machen 6,4 Millionen der aktuellen erschütternden Statistik aus. Dennoch stellen sie nur die Spitze des Eisbergs der weltweiten Vertreibung dar“, sagt Andrew Pugh, Direktor von IRC Ukraine, in Reaktion auf die aktuellen Zahlen. „Neben der Ukraine dürfen die Regierungen weltweit nicht aus den Augen verlieren, welche humanitären Bedürfnisse sich aus anderen Konflikten und Krisen ergeben. Die Menschen, die in Ländern wie Afghanistan und Jemen in Not sind, dürfen die Menschen nicht vergessen. Die humanitäre Hilfe muss auch in anderen notleidenden Regionen weitergehen.“
Hier erfahren Sie alles, was Sie über diese beispiellose, bislang schlimmste humanitäre Krise wissen müssen:
Was ist die Definition eines Geflüchteten?
Die vom UN-Flüchtlingshilfswerk veröffentlichte Zahl von 100 Millionen umfasst Geflüchtete, Asylbewerber*innen und Binnenvertriebene.
Geflüchtete sind Personen, die aufgrund von Krieg, Gewalt oder Verfolgung gezwungen sind, aus der eigenen Heimat zu fliehen und eine internationale Grenze zu überqueren, oft ohne Vorwarnung. Sie können nicht in ihre Heimat zurückkehren, solange die Bedingungen im Heimatland nicht wieder sicher sind.
Eine offizielle Stelle wie eine Regierung oder das UN-Flüchtlingshilfswerk entscheidet, ob eine Person, die internationalen Schutz sucht, diese Definition der internationalen Schutzberechtigung erfüllt.
Diejenigen, die den Status als Flüchtling nach Genfer Konvention erhalten, werden durch internationale Gesetze geschützt und erhalten lebensrettende Unterstützung von Hilfsorganisationen, einschließlich IRC. Einige von ihnen können für Resettlement bzw. ein humanitäres Aufnahmeprogramm in einem Drittland, z. B. in Deutschland, in Frage kommen.
Ein*e Asylbewerber*in oder Schutzsuchende*r ist eine Person, die ebenfalls internationalen Schutz vor Gefahren in ihrem Heimatland sucht, deren Anspruch auf Status als “Flüchtling” noch nicht rechtskräftig anerkannt worden ist.
Asylbewerber*innen müssen den Schutz im Zielland beantragen, d. h. sie müssen eine Grenze erreichen oder überqueren, um den Antrag zu stellen. Dann müssen sie den dortigen Behörden nachweisen, dass sie die Kriterien für den Flüchtlingsschutz erfüllen. Nicht jede*r Asylbewerber*in wird als “Flüchtling” anerkannt.
Menschen, die vor Gewalt und Verfolgung in Krisenländern fliehen, nehmen eine gefährliche Reise auf sich, um an neuen Landesgrenzen Sicherheit zu suchen. Es ist wichtig zu wissen, dass der Grenzübertritt zum Zwecke der Asylsuche legal und durch internationales Recht geschützt ist. Menschen, die um Asyl bitten, haben oft bereits versucht, in ihrem Land Sicherheit zu finden, sind aber auf ähnliche Bedingungen gestoßen wie die, vor denen sie geflohen sind.
Ein*e Binnenvertriebene*r ist eine Person, die aufgrund von Krieg, Gewalt oder Verfolgung gezwungen war, aus der eigenen Heimat zu fliehen, aber keine internationale Grenze überquert hat. Stattdessen ist sie gezwungen, sich an einem anderen Ort innerhalb ihres Landes niederzulassen.
Von den 53,2 Millionen Menschen, die heute im eigenen Land vertrieben sind, befinden sich mehr als 8 Millionen Menschen in der Ukraine, 6,9 Millionen Menschen wurden durch den Krieg in Syrien und 3,6 Millionen durch den Krieg im Jemen vertrieben. Hinzu kommen 23,7 Millionen Menschen, die durch klimabedingte Ereignisse wie Überschwemmungen, Stürme und Wirbelstürme, insbesondere im asiatisch-pazifischen Raum, vertrieben wurden.
Woher kommen die meisten Geflüchteten und Vertriebenen?
Im Jahr 2022 wurden durch den Krieg in der Ukraine 8 Millionen Menschen innerhalb des Landes vertrieben und etwa 6 Millionen waren gezwungen, das Land zu verlassen.
Jahrzehntelange gewaltsame Konflikte und Naturkatastrophen haben in Afghanistan eine der größten Flüchtlingsgruppen der Welt hervorgebracht – und der Bedarf an humanitärer Hilfe ist seit dem Machtwechsel im Jahr 2022 weiter gestiegen. Allein im vergangenen Jahr wurden über 681.000 Menschen in Afghanistan vertrieben.
Seit dem Ausbruch des Konflikts in Syrien im Jahr 2011 sind Millionen von Menschen aus ihrer Heimat geflohen. Im Jahr 2021 gab es weltweit 6,7 Millionen Geflüchtete und Asylbewerber*innen aus Syrien – mehr als aus jedem anderen Land. Rund 6,2 Millionen Menschen sind innerhalb des Landes vertrieben.
Auch im Jemen herrscht ein erbitterter Krieg. 80 Prozent der Bevölkerung sind heute auf Hilfe angewiesen und 3,6 Millionen Menschen haben innerhalb ihres Landes Zuflucht gesucht.
Somalia wird seit Jahrzehnten von anhaltenden Konflikten und lebensbedrohlichen Dürren geplagt. Auch in Äthiopien haben Klimawandel und Konflikte Millionen Menschen vertrieben. Beide Länder sind derzeit mit einer verheerenden Hungerkrise konfrontiert, die durch Dürren, anhaltende Konflikte, Heuschreckenschwärme und steigende Lebensmittelpreise aufgrund des Krieges in der Ukraine noch verschärft wird.
Sich verschlechternde Lebensbedingungen, wie zunehmender Hunger, wirtschaftliche Instabilität und eskalierende Konflikte, haben Millionen von Menschen aus Venezuela vertrieben. Eine Kombination aus geschlechtsspezifischer Gewalt, Klimawandel, den Auswirkungen von COVID-19 und Gewalt durch nichtstaatliche bewaffnete Akteure treibt Familien aus dem nördlichen Mittelamerika dazu, an der US-Grenze Sicherheit zu suchen.
Viele der Menschen, die die US-Grenze aus den zentralamerikanischen Ländern El Salvador, Guatemala und Honduras überqueren, werden oft als Migrant*innen bezeichnet, sind aber Asylbewerber*innen. Sie haben eine begründete Angst vor Verfolgung, wenn sie in ihre Heimat zurückkehren.
Jahrelange Konflikte haben außerdem fast 5,5 Millionen in der Demokratischen Republik Kongo, 5 Millionen Menschen im Südsudan und 1,7 Millionen in Myanmar vertrieben.
Wohin fliehen die meisten Menschen?
Die große Mehrheit der Geflüchteten befindet sich in einer langjährigen Schwebe. Weniger als 4 Prozent kehrten im Jahr 2020 in ihre Heimat zurück. Viele haben keinen Zugang zur Grundversorgung und dürfen nicht arbeiten.
Länder mit niedrigem und mittlerem Einkommen beherbergen die überwiegende Mehrheit der Geflüchteten weltweit: Länder, die nur 1,3 Prozent des globalen BIP ausmachen, nehmen 40 Prozent aller Geflüchteten auf. In vielen dieser Länder kommt es selbst zu Unruhen.
Vor dem Krieg in der Ukraine beherbergten nur drei Länder fast ein Viertel der weltweiten Geflüchteten - die Türkei, Kolumbien und Pakistan. Konflikte und Krisen in den Nachbarländern, darunter Syrien, Venezuela und Afghanistan, haben Millionen von Menschen gezwungen, in diesen Ländern Sicherheit zu suchen.
Wie hilft IRC?
Wir arbeiten seit unserer Gründung 1933 entlang des Spektrums von Nothilfe bis Integration und Entwicklungszusammenarbeit, insbesondere für jene Menschen lebensrettende Hilfe, die vor Krieg, Verfolgung oder Naturkatastrophen fliehen müssen. Ebenso unterstützen wir die aufnehmenden Gesellschaften und bleibt auch langfristig vor Ort, um essenzielle Strukturen wieder aufzubauen.
Mit mehr als 17.000 engagierten Mitarbeiter*innen unterstützen Geflüchtete, Vertriebene und Aufnahmegesellschaften durch die Bereitstellung von Nahrungsmitteln, sauberem Wasser, Unterkünften, Gesundheitsversorgung und Bildungsangeboten sowie Programmen zu Selbstbestimmung und Teilhabe, Schutz vor Gewalt und Schaffung von Einkommensmöglichkeiten.
IRC hat im Februar 2022 eine Soforthilfemaßnahme zur Bewältigung der Krise in der Ukraine eingeleitet und arbeitet vor Ort und mit lokalen Partnern zusammen, um diejenigen zu erreichen, die am dringendsten Hilfe benötigen. In Polen und Moldawien leisten wir grundlegende Dienste wie Bargeldhilfe, psychologische Betreuung, medizinische Versorgung und Ausrüstung sowie spezialisierte Sozialdienste für Kinder und Überlebende von Gewalt.
In Syrien, Irak, Jordanien und im Libanon haben Tausende von IRC-Hilfskräften Millionen von Menschen, die vor Gewalt fliehen, mit Soforthilfe und langfristiger Unterstützung erreicht. Wir konzentrieren uns auf die Gesundheitsversorgung, den Schutz gefährdeter Frauen und Kinder, Bildung sowie wirtschaftliche Entwicklung.
IRC ist seit fast drei Jahrzehnten in Afghanistan tätig und erreicht derzeit Millionen von Menschen in Tausenden von Gemeinden, wo der Schwerpunkt auf gemeinschaftsorientierten Wiederaufbauprojekten und Bildung liegt. Wir unterstützen über 60 Gesundheitseinrichtungen und bieten Informations- und Schulungsveranstaltungen zu COVID-19 an. In den letzten Jahren hat sich IRC in Afghanistan zu einem Vorreiter für den Schutz und die Stärkung der Rolle der Frau entwickelt.
In Jemen stellen wir lebensrettende Soforthilfe, sauberes Wasser, Bildung, Schutz für Frauen und medizinische Versorgung für Millionen von Menschen bereit, die vom Krieg und einer wachsenden, durch COVID-19 verschlimmerten Gesundheitskrise betroffen sind.
IRC erreicht Gemeinschaften am Horn von Afrika und in der zentralen Sahelzone, die von Konflikten und Naturkatastrophen betroffen sind, mit Unterstützung in den Bereichen Wasserversorgung und Abwasserentsorgung, Bildung, Gesundheitsfürsorge, wirtschaftliche Existenzsicherung sowie Notfallhilfe und Schutzprogrammen.
Wie unterstützt IRC betroffenen Menschen in Europa und Lateinamerika?
In Europa war IRC eine der ersten Hilfsorganisationen, die 2015 Geflüchtete auf Lesbos unterstützte. IRC-Hilfskräfte sind weiterhin rund um die Uhr in Griechenland, Serbien und Italien im Einsatz, um Familien, die unter schrecklichen Bedingungen leben, mit lebenswichtigen Dienstleistungen wie sauberem Wasser und sanitären Einrichtungen zu versorgen. Außerdem helfen wir Neuankommenden, sich im verwirrenden Transitprozess zurechtzufinden und ihre Rechte zu verstehen.
In Deutschland unterstützen wir Geflüchteten bei der Integration in ihre neuen Gemeinschaften. Seit 2016 sind wir in allen 16 Bundesländern in Deutschland vertreten und arbeiten im Dialog mit Politik, staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, privaten Partnern und der Öffentlichkeit im In- und Ausland. Für die Programmarbeit in Deutschland liegen die Schwerpunkte auf der Bildung von geflüchteten Kindern und Jugendlichen, der Förderung von Teilhabe besonders schutzbedürftiger Geflüchteter sowie deren wirtschaftliche Integration durch Beschäftigung und finanzielle Unabhängigkeit.
IRC reagiert auf die ganze Bandbreite an Krisen in Lateinamerika: Unterstützung von Menschen, die von der Venezuela-Krise betroffen sind – in Kolumbien, Ecuador und Peru sowie durch lokale Partner*innen in Venezuela -, Unterstützung von gefährdeten Menschen in Guatemala, Honduras und El Salvador sowie entlang der wichtigsten Migrationskorridore in Mexiko, von der südlichen zur nördlichen Grenze. Darüber hinaus stellte IRC nach dem Erdbeben in Haiti im August 2021 Mittel zur Unterstützung der Arbeit lokaler Organisationen bereit, die Maßnahmen zur Deckung des vorrangigen Bedarfs vor Ort durchführen.
Wie kann ich Geflüchtete unterstützen?
- Mit einer monatlichen Spende können Sie Geflüchtete und andere von humanitären Krisen betroffene Menschen unterstützen. Mit Ihrer Spende helfen Sie uns, Familien mit Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Soforthilfe zu versorgen, deren Leben durch Konflikte erschüttert oder sogar zerstört worden ist.
- Teilen Sie die Geschichten von Geflüchteten und erfahren Sie mehr zu aktuellen Lage auf Facebook, Instagram und YouTube.
- Machen Sie sich zum Weltflüchtlingstag für Menschen auf der Flucht weltweit stark und verschaffen Sie ihren Stimmen jetzt Gehör.