International Rescue Committee (IRC) ist äußerst besorgt über die eskalierende Gewalt in Tigray. In der nördlichen Region Äthiopiens leben zahlreiche Geflüchtete und Vertriebene zusammen mit den Menschen aus den lokalen Gemeinden unter immer schwerer werdenden Bedingungen. In diesem Jahr mussten sie gleich mehrere humanitäre Katastrophen gleichzeitig verkraften.
Wie ist die Lage derzeit in Tigray?
Die äthiopische Regierung hat in Tigray den Ausnahmezustand ausgerufen. Premierminister Abiy Ahmed wirft der von der Opposition geführten Regionalregierung im Norden vor, Bundestruppen anzugreifen und „auszuplündern“. Am 4. November hatte er deshalb als Reaktion auf einen tödlichen Angriff auf ein Lager der äthiopischen Armee eine Militäroperation in Tigray angeordnet. Regionale Telefon-, Internet-, Bank- und Transportdienste wurden abgeschaltet.
Mehrere Millionen von Menschen in Tigray leiden bereits unter mehreren humanitären Krisen: der diesjährigen Heuschreckenplage, den weit verbreiteten Überschwemmungen sowie weiteren klimabedingten Krisen und den Auswirkungen der COVID-19-Pandemie. Mehr als 8 Millionen Menschen benötigen dringend Nahrungsmittelhilfe – bis Januar könnten es 11 Millionen werden.
The IRC is extremely concerned about the humanitarian implications of escalating violence in the Tigray region, Ethiopia where 2 million are already in need of humanitarian assistance. The IRC is calling for immediate de-escalation by all parties involved. https://t.co/CMg1OKYzZi
— International Rescue Committee - UK (@RESCUE_UK) November 11, 2020
George Readings, IRC-Analyst für globale Krisen, erklärt: „Die Uhr tickt. Tausende Menschen sind vertrieben worden und haben jetzt keinen Zugang mehr zu Grundnahrungsmitteln und weiteren lebensnotwendigen Gütern. Dazu kommt: Die Ressourcen in den vom Konflikt betroffenen Gebieten werden knapper. Der Zugang für humanitäre Hilfe ist blockiert. Wir gehen davon aus, dass in den kommenden Wochen noch mehr Menschen vertrieben werden. Seit Oktober konnten wir aufgrund der Spannungen keinen Nachschub mehr organisieren. Der Treibstoff, mit dem wir sauberes Wasser in die Lager in unserem Einsatzgebiet in Shire pumpen, wird innerhalb der nächsten zwei Wochen aufgebraucht sein, wenn die am Konflikt beteiligten Parteien den Zugang für humanitäre Hilfe nicht erleichtern.“
Wer ist besonders betroffen?
In Tigray und Umgebung sind voraussichtlich etwa zwei Millionen Menschen von der Krise betroffen. Sollten sich die Spannungen auf den Rest des Landes ausweiten, könnte sich diese Zahl auf neun Millionen erhöhen.
Konflikte treffen die schutzbedürftigsten Menschen immer am härtesten, so auch in Tigray. Dort leben 96.000 Geflüchtete aus Eritrea. Zahlreiche ortsansässige Familien wurden aufgrund von Gewalt und Hunger aus ihren Häusern vertrieben. Sowohl in den Flüchtlingslagern als auch in den umliegenden Städten, haben Geflüchtete, Vertriebene sowie die lokale Bevölkerung Schwierigkeiten, ausreichend Nahrung zu finden.
“It’s a really delicate situation.”
— International Rescue Committee - UK (@RESCUE_UK) November 9, 2020
The IRC’s George Readings on the rising tensions and hostilities in Ethiopia’s Tigray region where thousands of people are already vulnerable from the recent locust outbreaks and flooding.
More in @AP: https://t.co/SXcwhY1OlN
IRC ist deshalb äußerst besorgt über die humanitäre Lage. Sollten die Spannungen weiter eskalieren, könnten die Menschen in der Region, die jetzt schon unter beengten und mitunter unhygienischen Bedingungen leben müssen, noch anfälliger für Krankheiten werden und den Zugang zu den noch verbliebenen sozialen Diensten verlieren.
Was muss getan werden?
Alle am Konflikt beteiligten Parteien müssen das Völkerrecht einhalten, die Sicherheit der Zivilbevölkerung gewährleisten und dafür sorgen, dass Wohngebäude, Schulen, Krankenhäuser und andere zivile Einrichtungen nicht zur Zielscheibe werden. Es muss ebenfalls sichergestellt werden, dass die humanitäre Hilfe weiterhin die Bedürftigen erreichen kann und die Bemühungen zur Bekämpfung des anhaltenden Heuschreckenausbruchs nicht behindert werden.
Tigray ist eine der am schlimmsten von der Wüstenheuschreckenplage betroffenen Regionen und es wird befürchtet, dass weitere Schwärme kommen könnten. Die Heuschrecken konzentrieren sich auf Gebiete im zentralen und nordwestlichen Tigray und zerstören ganze Ernten und Weideflächen, die für die Nahrungsmittelversorgung und die Lebensgrundlage der Menschen vor Ort überlebenswichtig sind.
Wie hilft IRC in Tigray?
IRC arbeitet seit 2001 im Shire-Gebiet von Tigray und unterstützt unter anderem 90.000 Geflüchtete, die in den Lagern My'Ayni, Adi Harush, Hitsats und Shimelba leben. Besonders besorgniserregend ist die derzeitige Unterbrechung der lebensnotwendigen Wasser-, Sanitär- und Hygienedienste. Es wird erwartet, dass der Bedarf an lebensrettender Nothilfe steigt, wenn die Gewalt weiter eskaliert. IRC stellt sauberes Wasser und sanitäre Einrichtungen zur Verfügung, bietet Schutz- und Bildungsprogramme an und engagiert sich im medizinischen Bereich besonders in der reproduktiven Gesundheitsfürsorge. Aufgrund der gewaltsamen Eskalation des Konflikts mussten Mitarbeiter, die für die Aufrechterhaltung der Hilfe nicht absolut notwendig sind, aus den Flüchtlingslagern Adi Harush und My'Ayni abgezogen werden. Dort sorgt nun ein Kernteam von IRC-Mitarbeiter*innen dafür, dass die lebensrettende Wasserversorgung fortgesetzt werden kann, solange noch Treibstoff für den Antrieb der Pumpen zur Verfügung steht.
Welche Entwicklungen beobachten wir?
- Aufgrund der Unterbrechungen im Bereich der Kommunikationsdienste sind Informationen begrenzt. Diese Entwicklungen beobachtet IRC zurzeit:
- Sowohl Äthiopier*innen aus Tigray als auch Geflüchtete aus Eritrea fliehen über die Grenze in den Sudan, wo inzwischen fast eine Million Menschen Zuflucht suchen. Weitere 100.000 Menschen könnten dazukommen.
- Rund 5.000 Vertriebene aus anderen Teilen von Tigray haben sich inzwischen in die Stadt Shire geflüchtet. Weitere sind auf dem Weg. Dort müssen sie oft in Schulgebäuden unterkommen – ohne Nahrung, Wasser oder andere Grundbedürfnisse decken zu können.
- Da Banken geschlossen sind, ist Bargeld knapp geworden. Dies erschwert die Arbeit von Hilfsorganisationen. Mehrere tausend gefährdete Menschen konnten dadurch keine angemessene Unterstützung mehr erhalten. Auch Nahrungsmittelprogramme könnten aufgrund weiter eskalierender Gewalt eingeschränkt werden müssen.