Seit dem 17. Oktober 2022 gibt es ein Bundesaufnahmeprogramm (BAP) für Afghan*innen. Das BAP richtet sich an Afghan*innen, die sich in Afghanistan für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt haben und seit dem Machtwechsel im August 2021 besonders gefährdet sind oder verfolgt werden.
Nun ist das Fortbestehen des Programmes in Gefahr. Erfahre in diesem Artikel, wer über das Programm in Deutschland Schutz finden soll, warum es früher als geplant beendet werden könnte und warum es unbedingt weitergeführt werden soll.
An wen richtet sich das Programm?
Zielgruppe des BAP sind Afghan*innen und ihre Kernfamilien, die sich aktuell in Afghanistan aufhalten und individuell gefährdet oder verfolgt werden aufgrund
- ihres Einsatzes für die Menschen-/Frauenrechte
- ihrer Tätigkeit als Journalist*in oder bspw. in Politik, Justiz oder Wissenschaft
- ihres Geschlechts, ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität
- ihrer Religion
Wie kann das Programm in Anspruch genommen werden?
Individuelle Bewerbungen für das Programm sind nicht möglich. Nur bestimmte NGOs, sogenannte meldeberechtigte Stellen, können Fälle über einen detaillierten Online-Fragebogen eintragen. Die Fälle werden dann maschinell mithilfe eines Punktesystems ausgewertet.
Die folgenden Faktoren werden im Auswahlfragebogen abgefragt:
- Vulnerabilität (z. B. alleinstehende Frauen mit Kindern, LGBTQI+)
- Deutschlandbezug (z. B. Sprachkenntnisse, Familie in Deutschland)
- Frequenz und Zeitpunkt von konkreten Gefährdungen
- besondere Sichtbarkeit, herausgehobene Position
- politisches Interesse Deutschlands an einer Aufnahme
Beabsichtigt ist, dass monatlich bis zu 1.000 Menschen, bis zum Ende der Legislaturperiode im September 2025 aufgenommen werden.
Warum steht das BAP in der Kritik?
- Die tatsächlichen Aufnahmezahlen bleiben weit hinter den ursprünglich gesetzten Zielen zurück. Stand Juli 2024 wurden für insgesamt 3.071 Personen Aufnahmezusagen im Rahmen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan erteilt. Darunter sind 915 Hauptpersonen (HP) und 2.156 Familienangehörige (FA). Davon sind 540 Personen (198 HP und 342 FA) eingereist und bleiben damit hinter den angestrebten 21.000 Personen zurück.
- Das Verfahren ist bürokratisch sehr komplex. Aufgrund der Vielzahl der beteiligten Akteur*innen, die nicht ausreichend ausgestattet wurden, kommt es zu einem vermeidbaren Rückstau im Programm. Insbesondere das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und die Visastelle der deutschen Botschaft in Pakistan haben sich damit zu Bottlenecks des Programmes entwickelt und verzögern die Umsetzung.
- Die Zielgruppe des BAP sind nur Personen, die sich noch in Afghanistan aufhalten. Damit sind bereits in Drittstaaten geflohene, besonders gefährdete Menschen vom Programm ausgeschlossen. Umgekehrt heißt das, dass Gefährdete in Afghanistan ausharren müssen, um für eine Aufnahme im BAP in Frage zu kommen.
- Da sich Menschen nicht direkt bewerben können, liegt die Verantwortung bei NGOs, die aus eigenen Mitteln die Fallbearbeitung übernehmen und somit unfreiwillig zu Gatekeepern für das BAP gemacht werden.
- Die Aufnahmekriterien sind nicht ausreichend transparent. Das erschwert die Aufbereitung der Fälle zusätzlich, deren Komplexität über ein Online-Formular nicht vollumfänglich dargestellt werden können.
Trotz aller Kritik ist das BAP ein wichtiges, wenn auch ausbaufähiges Instrument für den Schutz verfolgter und besonders gefährdeter Menschen in Afghanistan. Durch die Konsultation mit den beteiligten NGOs konnten bereits Verbesserungen erwirkt werden und IRC hat in einem umfassenden Bericht weitere Empfehlungen ausgesprochen.
Warum steht das Programm auf der Kippe?
Laut dem Koalitionsvertrag der Bundesregierung soll das BAP bis September 2025, dem Ende dieser Legislaturperiode, laufen. Allerdings sieht der am 17. Juli 2024 vorgestellte Haushaltsentwurf des Bundeskabinetts für 2025 massive Kürzungen für die humanitäre Aufnahme vor. Konkret sollen im Etat des Bundesinnenministeriums (BMI) für das Jahr 2025 alle Gelder für das BAP gestrichen werden. Diese großen Kürzungen würden das de facto und vorzeitige Ende des BAP bedeuten.
Warum ist die Weiterfinanzierung des BAP trotz aller Kritik so wichtig?
Aufgrund von Jahrzehnten andauernden kriegerischen Auseinandersetzungen, Auswirkungen des Klimawandels und einer Vielzahl an Naturkatastrophen erlebt Afghanistan seit Jahren eine der schwersten humanitären Krisen weltweit. Die Vereinten Nationen schätzen, dass 2024 mehr als 23 Millionen Menschen in Afghanistan humanitäre Hilfe benötigen. Zudem hat sich die Menschenrechtslage im Land seit Jahren verschlechtert.
Obwohl es Anpassungsbedarf gibt, bleibt das BAP ein wichtiges Instrument für den Schutz gefährdeter und verfolgter Afghan*innen. Es ist das einzige Aufnahmeprogramm für schutzsuchende Menschen, die sich noch in Afghanistan befinden. Deutschland trägt nach 20 Jahren Bundeswehreinsatz eine besondere Verantwortung für die Menschen in Afghanistan. Insbesondere in ihrer akuten Notlage dürfen sie nicht im Stich gelassen werden. Die Bundesregierung sollte ihre Versprechen aus dem Koalitionsvertrag einhalten und weiterhin Schutz für die Menschen durch eine direkte Aufnahme besonders gefährdeter Afghan*innen gewähren.
Was fordert IRC?
- Das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan sollte wie geplant weitergeführt und mindestens bis Ende der Legislaturperiode 2025 vollumfänglich weiter finanziert werden. Dazu nötig ist der politische Wille die humanitäre Aufnahme gefährdeter Afghan*innen im Umfang der Aufnahmeanordnung in dieser Legislaturperiode zu ermöglichen.
- Die Bundesregierung muss ihr selbst gestecktes Ziel der Aufnahme von bis zu 1.000 gefährdeten Personen im Monat – also insgesamt bis zu 36.000 Personen zu Ende der Programmlaufzeit – weiter verfolgen und umsetzen. Dazu muss das Verfahren in allen Phasen beschleunigt und besser, nicht schlechter, finanziert werden.
Was kannst du tun?
- Informiere dich über die Krise in Afghanistan
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- Unterstütze uns durch eine Spende, um afghanische Schutzsuchende zu unterstützen, in Deutschland Schutz zu finden