Berlin, Deutschland, 17. Oktober 2024 — Zwei Jahre nach dem Anlaufen des Bundesaufnahmeprogramms Afghanistan (BAP) steht die Zukunft des für gefährdete Afghan*innen überlebenswichtigen Programm auf der Kippe. Die laufenden Verhandlungen um den Bundeshaushalt 2025 sind die letzte Chance, die Fortführung des BAP zu sichern. Acht zivilgesellschaftliche Organisationen fordern die Weiterfinanzierung und, wie im Koalitionsvertrag angekündigt, die Umsetzung des Programms im Jahr 2025.
Das BAP ist am 17. Oktober 2022 angelaufen, um besonders gefährdeten Afghan*innen Schutz in Deutschland über einen geregelten Zufluchtsweg zu ermöglichen. Mit dem Programm verpflichtet sich die Bundesregierung zu ihrer humanitären Verantwortung gegenüber der afghanischen Zivilbevölkerung nach dem ungeordneten Abzug 2021.
Laut Aufnahmeanordnung des Bundesinnenministeriums (BMI) sollen monatlich bis zu 1.000 Aufnahmezusagen für gefährdete Afghan*innen erteilt werden. Mit einer angekündigten Laufzeit bis zum Ende der aktuellen Legislaturperiode war eine Aufnahme von bis zu 36.000 schutzbedürftigen Menschen geplant. Doch das BAP wurde bis jetzt nicht voll umfänglich umgesetzt: Statt den ursprünglich geplanten 1.000 Personen pro Monat sind in den letzten zwei Jahren lediglich 682 Personen nach Deutschland eingereist1. Die abschließende Bearbeitung von bereits ausgewählten Anträgen durch die zuständigen Stellen ist seit Juli 2024 unterbrochen.
Seit August 2021 hat sich die Situation für die afghanische Zivilbevölkerung kontinuierlich verschlechtert. Insbesondere Frauen und Mädchen werden aufgrund ihres Geschlechts systematisch diskriminiert und erleben täglich Verletzungen ihrer grundlegenden Freiheiten und Menschenrechte. Im Haushaltsentwurf für 2025 sind im Budget des BMI keine Mittel mehr für das BAP vorgesehen. Das betrifft etwa 17.000 Personen, die bereits von den Stellen der Bundesregierung vorausgewählt und kontaktiert wurden. Für diese Menschen ist das BAP die einzige Zukunftsperspektive. Ein ungeordneter Abbruch des Aufnahmeprogramms hätte fatale Konsequenzen für sie.
Ein vorzeitiger und ungeordneter Abbruch dieses elementaren Aufnahmeprogramms wird bedeuten, dass besonders gefährdete Menschen in Afghanistan zurückgelassen werden. Bereits getätigte Investitionen in die Umsetzung des Aufnahmeprogramms wie der Aufbau einer Koordinierungsstelle werden keine Wirkung entfalten können. Mit einem Abbruch des Programms droht die Bundesregierung weder ihrer humanitären Verantwortung noch einer feministischen Außenpolitik gerecht zu werden, und entgegen den eigenen Zusagen für humanitäre Aufnahmen in 2025, die gegenüber der Europäischen Union gemacht wurden, zu handeln.
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin IRC Deutschland kommentiert:
,,Drei Jahre nach dem Machtwechsel in Afghanistan drohen die Menschen immer weiter in der politischen Öffentlichkeit vergessen zu werden, trotz verheerender Umstände im Land. Vor zwei Jahren initiierte die Bundesregierung das Bundesaufnahmeprogramm Afghanistan (BAP). Nun droht diese letzte Rettungsleine für bedrohte Afghan*innen abrupt auszulaufen.
Das BAP ist für viele Menschen in Afghanistan die letzte Hoffnung auf eine sichere und reguläre Ausreise und Aufnahme in Deutschland. Bald verliert diese Hoffnung womöglich ihre Berechtigung, denn im Haushaltsentwurf für 2025 sind keine weiteren Gelder für die Aufnahme bedrohter afghanischer Zivilist*innen vorgesehen.
Nach jahrzehntelangem Engagement in Afghanistan und dem ungeregelten Abzug 2021 haben wir eine Schutzverantwortung gegenüber den Menschen in Afghanistan. Die Bundesregierung hat wiederholt zugesagt, den Menschen in Afghanistan schnell und unbürokratisch zu unterstützen – nicht nur vor Ort, sondern auch hier in Deutschland.Wir fordern die Bundesregierung auf, sich mit dem notwendigen politischen Willen und finanziellen Mitteln hinter die Fortführung des BAP zu stellen. Zu zeigen, dass die Selbstverpflichtung zur Aufnahme von gefährdeten Menschen in Deutschland mehr als nur ein Lippenbekenntnis ist, ist einfach: Die Versprechen aus dem Koalitionsvertrag müssen eingehalten und mit dem Bundesaufnahmeprogramm die humanitären Verantwortung Deutschlands gegenüber den Menschen in Afghanistan eingehalten werden.”
IRC und sieben weitere NGOs appellieren an die Bundesregierung sowie die Mitglieder des Bundestags:
- Das BAP wie geplant mindestens bis Ende der Legislaturperiode vollumfänglich zu finanzieren.
- Das gesteckte Ziel der Aufnahme von bis zu 1.000 gefährdeten Personen im Monat - also insgesamt bis zu 36.000 Personen in der gesamten Laufzeit - weiterzuverfolgen und umzusetzen.
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1 Stand Oktober 2024
Unterzeichnende Organisationen
- Artistic Freedom Initiative
- Bundesweite Arbeitsgemeinschaft der Psychosozialen Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (BAfF e. V.)
- International Rescue Committee (IRC) Deutschland
- Kabul Luftbrücke
- LSVD⁺ – Verband Queere Vielfalt
- MISSION LIFELINE International
- move on - menschen.rechte Tübingen e.V.
- TERRE DES FEMMES – Menschenrechte für die Frau e.V.