Berlin, Brüssel, 15. November 2021 — Tausende Geflüchtete und Migrant*innen sitzen an der polnisch-belarussischen Grenze fest, weil Regierungen die Verantwortung für ihren Schutz verweigern. Mehrere Menschen sind an der EU-Außengrenze bereits ums Leben gekommen. Das Recht auf Asylantragsstellung wird ihnen verwehrt. International Rescue Committee (IRC) sieht einen steigenden humanitären Bedarf.
Ralph Achenbach, Geschäftsführer IRC Deutschland, sagt:
„Ob im Mittelmeer, auf dem Balkan oder nun in den belarussischen Wäldern – der bisherige Versuch, Migration nach Europa zu begrenzen und zu steuern, geht vor allem auf Kosten der Schutzsuchenden. Die Geflüchteten sind zum Spielball der Politik geworden. Eine Politik, in der die Sprache zunehmend verroht und von Menschen als ‚hybride Bedrohung‘ und ‚supply‘ gesprochen wird. Eine Politik, die nicht nur die Rechte der Geflüchteten, sondern auch Europäisches Recht untergräbt.
Die europäischen Staats- und Regierungschef*innen müssen sich auf die Werte und Rechte der EU zurückbesinnen – und solidarisch dahinterstehen. Nur wenn es eine Mehrheit für eine organisierte Verteilung von Schutzsuchenden in und unter EU-Staaten in relevanter Zahl gibt, wird Migration nicht mehr als Bedrohung wahrgenommen.
Darüber hinaus muss sich der Blick auf die Krisenregionen der Welt richten und humanitäre Diplomatie mit dem Ziel, den Ursachen von Flucht politisch entgegenzuwirken auf internationaler Ebene in den Fokus rücken. Der Schutz von Menschenleben muss endlich an erster Stelle stehen.“
Imogen Sudbery, Direktorin für Politik und Advocacy IRC Europe:
„Die humanitäre Situation an der polnisch-belarussischen Grenze ist äußerst besorgniserregend. Geflüchtete und Migrant*innen leben im Freien in der Kälte, ohne Zugang zu Nahrung oder Wasser. Sie sind einem zunehmenden Risiko von Gewalt und Ausbeutung ausgesetzt. Aufgrund der entsetzlichen Bedingungen und der Art, wie mit ihnen umgegangen wird, kam es bereits zu Todesfällen. Das ist erschütternd.
Sehr besorgniserregend ist auch, dass Pushbacks und andere Menschenrechtsverletzungen an den europäischen Grenzen immer häufiger vorkommen. Die Berichte über Verstöße in der gesamten EU nehmen zu – von Griechenland über Kroatien bis hin zum Mittelmeer. Die Situation an der belarussischen Grenze reiht sich ein in eine lange Liste von Tragödien, die sich vor Europas Türen abspielen.
Asyl zu beantragen ist ein Menschenrecht – unabhängig davon, wie eine Person in ein Land einreist. Die an der Grenze gestrandeten Geflüchteten und Migrant*innen sind in ein politisches Kreuzfeuer geraten. Polen, Litauen und Lettland haben die Pflicht, die Sicherheit und Rechte dieser Menschen zu gewährleisten und ihnen Zugang zu Asylverfahren, Rechtsbeistand sowie Nahrungsmitteln und Unterkunft zu gewähren. Auch der Zugang zu humanitärer Hilfe wird ihnen verwehrt. Dabei ist es entscheidend, dass Hilfsorganisationen die Menschen erreichen und unterstützen können.
Die Europäische Kommission muss alle EU-Mitgliedsstaaten zusammenbringen, um den Zugang zu diesen Rechten entschlossen zu verteidigen – insbesondere als Antwort auf die Versuche anderer Staaten, Menschen als politisches Druckmittel zu instrumentalisieren. Es ist offensichtlich, dass es an Europas Grenzen illegale Pushbacks gibt. Und diese Verstöße müssen verurteilt werden. Wie die EU auf diese Menschenrechtsverletzungen durch einige ihrer Mitgliedsstaaten reagiert, wird zeigen, wie es um ihr Engagement für Rechtsstaatlichkeit und ihre eigenen Grundwerte bestellt ist.“