International Rescue Committee (IRC) und 28 weitere humanitäre Organisationen fordern dringende Maßnahmen, damit der EU-Pakt zu Migration und Asyl unbegleitete Kinder an den Grenzen Europas schützt. Die Organisationen – darunter IRC, PICUM, Caritas Europe und Terre des Hommes – haben einen gemeinsamen Policy Brief unterzeichnet. 

Der EU-Pakt verspricht, den Schutz von unbegleiteten Kindern „erheblich verbessern". Tatsächlich könnten sie jedoch noch größeren Gefahren ausgesetzt sein. Es sei denn, es werden rasch strengere Schutzmaßnahmen ergriffen. Alle EU-Staaten müssen der Kommission Anfang Dezember 2024 einen Planvorlegen, wie sie den Pakt bis Juni 2026 vollständig umsetzen werden.

Im Jahr 2023 beantragten mehr als 41.000 unbegleitete Kinder in der EU Asyl. In den ersten neun Monaten des Jahres 2024 waren es mehr als 23.000. Diese Kinder sind auf ihrem Weg und bei ihrer Ankunft in Europa oft schweren Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt – darunter Pushbacks, Gewalt, Vernachlässigung, erzwungenes Entkleiden, Diebstahl und Inhaftierung. Die 29 Organisationen erklären, dass der EU-Pakt ohne deutlich stärkere Schutzmaßnahmen diese Risiken noch verschärfen könnte. 

Die Organisationen befürchten u.a., dass die Betonung des EU-Pakts, Menschen um jeden Preis von der Einreise nach Europa abzuhalten, zu mehr Pushbacks führen könnte. Beschleunigte Verfahren in Verbindung mit Kapazitätsengpässen bergen das Risiko, dass unbegleitete Kinder, ihre Bedürfnisse und ihre Verletzlichkeit nicht genau identifiziert werden. Es könnte dazu führen, dass noch mehr Kinder in Gewahrsam genommen werden und dies für einen längeren Zeitraum als bisher – in einigen Fällen bis zu sechs Monate.

Mohammed* (17 Jahre alt) berichtet, dass er aus zwei EU-Ländern zurückgeschoben wurde:

„Was ich erlebt habe, hat mein psychisches Wohlbefinden zerstört. Ich kann mich nicht konzentrieren, ich kann nicht lernen oder mich auf mein Studium konzentrieren, weil diese Vorfälle in meinem Kopf bleiben. Ich kann sie nicht vergessen.“

Martha Roussou, Leitende regionale Advocacy-Beraterin für Europa bei IRC, kommentiert:

,,Alleinreisende Kinder sind sowohl auf dem Weg nach Europa als auch innerhalb Europas unermesslichen Gefahren ausgesetzt. Auf dem Papier scheint der EU-Pakt die Rechte unbegleiteter Kinder zu schützen. Aber unsere Erfahrungen vor Ort deuten darauf hin, dass die Realität ganz anders aussehen wird. Die Bestimmungen des EU-Pakts könnten durchaus zu mehr – und nicht weniger – Inhaftierungen, Pushbacks, rassistischer Profilerstellung, Diskriminierung und anderen Menschenrechtsverletzungen führen. Diese Entwicklung ist zutiefst beunruhigend und könnte verheerende Auswirkungen auf Kinder haben, die an den Grenzen Europas Schutz suchen – wenn keine Schutzmaßnahmen ergriffen werden.“

Marta Welander, EU Advocacy Director bei IRC, ergänzt:

,,Heute schließt sich IRC 28 anderen NGOs an, um die EU und ihre Mitgliedstaaten gemeinsam daran zu erinnern, dass sie eine moralische und rechtliche Verpflichtung haben, Kinder auf ihrem Territorium zu schützen. Viele der im EU-Pakt dargelegten Schutzmaßnahmen sind nicht neu – sie sind bereits im nationalen oder EU-Recht vorgesehen. Sie werden aber in der Realität nicht immer eingehalten. Da sich die Staaten nun auf die Umsetzung des EU-Pakts vorbereiten, ist es von entscheidender Bedeutung, dass sie diese Schutzmaßnahmen vollständig umsetzen. So müssen sie beispielsweise die Inhaftierung von Kindern ausdrücklich verbieten und in der Praxis konsequent umsetzen. Sie müssen bei allen Formen von Gewalt und Diskriminierung gegen Kinder eine Null-Toleranz-Politik verfolgen. Und sie müssen sichere Wege für Kinder schaffen, die in Europa Schutz suchen. Wenn die EU-Staaten die Schwachstellen in ihren Systemen nicht dringend angehen und wirksame Schutzmaßnahmen einführen, werden noch viel mehr Kinder an den Grenzen Europas leiden.“