Fast ein Jahr nach dem Stockholmer Abkommen dauert der Krieg im Jemen unvermindert an. Der neue Bericht von International Rescue Committee stellt die verheerenden Auswirkungen des anhaltenden Konflikts auf die jemenitische Zivilbevölkerung dar. Die internationale Gemeinschaft muss die Konfliktparteien dazu drängen, diese seltene Gelegenheit zu nutzen, um einen landesweiten Waffenstillstand zu sichern.


• Sollte sich die Mangelernährung der jemenitischen Kinder mit der gleichen niedrigen Rate von 2017-2019 zurückentwickeln, wird es 20 Jahre dauern, bis sie auf das Vorkrisenniveau zurückgekehrt ist.
• Wenn der Krieg weitere fünf Jahre andauert, wird er die internationale Gemeinschaft bis zu 26,3 Milliarden Euro an humanitären Mitteln kosten. Das ist mehr als das gesamte jährliche humanitäre Budget weltweit.
• IRC fordert die Mitglieder des UN-Sicherheitsrates auf, ihren diplomatischen Einfluss zu nutzen, um an die jüngsten politischen Entwicklungen und die Aufnahme von UN-geführten Verhandlungen anzuknüpfen.
• IRC erreicht jede Woche mehr als 21.000 Menschen mit Gesundheits- und Ernährungsdiensten, Projekten zum Schutz und der Stärkung von Frauen, sowie Bildungsprogrammen für Kinder.


IRC hat heute einen neuen Bericht veröffentlicht, in dem die verheerenden Folgen des Krieges für die jemenitische Bevölkerung beschrieben werden. „The War Destroyed Our Dreams“ zeigt, dass es bei der derzeitigen Geschwindigkeit des Rückgangs 20 Jahre dauern wird, bis die Mangelernährung der Kinder auf das Vorkriegsniveau zurückkehrt, welches bereits 2015 zu den schlimmsten der Welt gehörte. Weitere fünf Jahre Krieg werden die internationale Gemeinschaft bis zu 26,3 Milliarden Euro kosten, nur um das derzeitige Niveau der humanitären Hilfe aufrechtzuerhalten.


Die jüngsten Entwicklungen in Jemen deuten darauf hin, dass sich ein seltenes Zeitfenster für die Schaffung von Frieden eröffnet hat. Das aktuelle Abkommen über die Machtteilung zwischen der international anerkannten Regierung unter Staatspräsident Hadi und dem separatistischen Südlichen Übergangsrats (Southern Transitional Council, STC) gibt Hoffnung auf umfassendere Friedensgespräche. Dies ist jedoch bei weitem nicht garantiert. Die Staats- und Regierungschefs der Welt müssen alle diplomatischen Mittel investieren und sich voll und ganz darauf konzentrieren, Kriegsparteien für Verhandlungen zusammenzubringen. Ein umgehender landesweiter Waffenstillstand ist notwendig, um weitere Katastrophen zu vermeiden.


David Miliband, Präsident und CEO des International Rescue Committee, sagte:

„Die heute vorgestellten, düsteren Vorhersagen sind ein Einblick in das neue Zeitalter der Straflosigkeit: Kriege werden unter völliger Missachtung von Zivilist*innen geführt und von Politiker*innen
vernachlässigt, die den Auftrag haben Gewalt zu beenden, und die Täter von Völkerrechtsverletzungen zur Rechenschaft zu ziehen. Darüber hinaus wurde der Krieg in Jemen durch aktive militärische Unterstützung und diplomatische Absicherung durch die USA, Großbritannien und andere Westmächte verlängert.


Die gute Nachricht ist, dass die enormen Anstrengungen der Hilfsorganisationen, der Geberregierungen, darunter auch Deutschland und der mutigen humanitären Helfer*innen dazu beigetragen haben, die schockierende Mangelernährung von Kindern in Jemen zu reduzieren. Die schlechte Nachricht ist, dass es bei dieser Geschwindigkeit weitere 20 Jahre dauern wird, bis die Mangelernährung von Kindern das Niveau von vor dem Konflikt erreichen wird. Das ist das Doppelte des vereinbarten Zeitplans zur Beendigung der weltweiten Mangelernährung.


Seit fast einem halben Jahrzehnt hält die internationale Gemeinschaft die immer mehr gefährdete Bevölkerung Jemens mit humanitärer Hilfe vom Rand einer Katastrophe fern. Doch die humanitäre Hilfe allein kann diesen Missstand nicht beseitigen. Internationale Unterstützer der Kriegsparteien müssen alle diplomatischen Mittel nutzen, um auf den jüngsten Entwicklungen aufzubauen und die von der UN geführten Verhandlungen wiederzubeleben. Der Preis für diese Tatenlosigkeit ist zu schockierend, um ihn zu akzeptieren. Die humanitären Bedürfnisse werden weiter exponentiell wachsen und die jemenitische Zivilbevölkerung in einem Kreislauf der Hilfsabhängigkeit gefangen halten. Weitere 26,3 Milliarden Euro auszugeben, um damit nur einige Jemenit*innen mit dem Nötigsten zum Überleben versorgen zu können, ist ein schrecklicher Gedanke.“

Mit 24 Millionen Jemenit*innen, das sind 80 Prozent der Bevölkerung, die humanitäre Hilfe benötigen und 16 Millionen Menschen, die sich nahezu in einer Hungersnot befinden, wurde die Krise in Jemen zur schlimmsten humanitären Krise der Welt und zum Land mit der größten Lebensmittelunsicherheit der Welt. Die Analyse deutet darauf hin, dass bei einem anhaltenden Konflikt die Hungersnot wahrscheinlich wiederkehren wird und die Kinder die Hauptlast tragen werden: Die langfristigen körperlichen und geistigen Entwicklungsauswirkungen, die Mangelernährung mit sich bringt, sind bekannt. Ohne Frieden erwartet Millionen Kinder eine bittere Zukunft.


Fast ein Jahr nach dem Stockholmer Abkommen wurden die ausgehandeltenBedingungen von beiden Seiten noch nicht vollständig umgesetzt, doch es zeichnet sich ein Weg zum Frieden. Jetzt ist es an der Zeit, diese Gelegenheit zu nutzen und den Krieg zu beenden.


IRC arbeitet seit 2012 in Jemen und hat seine Programme im Jahr 2015 rasch erweitert, um den durch den Konflikt verursachten größeren humanitären Bedarf zu decken. Während der anhaltende Konflikt und die Behinderungen von Flug- und Seehäfen Herausforderungen für IRCs Aktivitäten darstellen, hat IRC den Zugang zu den betroffenen Bevölkerungsgruppen aufrechterhalten und bietet weiterhin lebensrettende Gesundheitsversorgung, wirtschaftliche Stärkung, Programme zum Schutz und der Stärkung von Frauen sowie Bildungsprogramme an.