Berlin, 22. Juni 2021 — Nur gut drei Wochen vor Ablauf der UN-Resolution zur grenzüberschreitenden Syrienhilfe zeigen neue Daten von International Rescue Committee, wie sich die Lage im Nordwesten besorgniserregend verschlechtert: Der Bedarf an Nahrungsmitteln und Wasser steigt und die Fälle von Kinderarbeit und Kinderheirat häufen sich. Syrische Familien sind zu Entscheidungen gezwungen, die keine Familie treffen sollte. Um ihre Grundbedürfnisse zu decken und eine größere Krise abzuwenden, muss der UN-Sicherheitsrat die grenzüberschreitende humanitäre Hilfe nicht nur erneuern, sondern ausweiten.
IRC hat Daten von 1.642 Syrer*innen aus 65 Gemeinden im Nordwesten Syriens erhoben:
- 80 Prozent der vertriebenen Syrer*innen im Nordwesten mussten mindestens sechsmal und einige sogar 25-mal fliehen. Der anhaltende Konflikt, einschließlich der Angriffe erst letzte Woche in Afrin, treibt Vertreibung und Armut weiter voran. Einer von zehn Binnenvertriebenen berichtete, dass ein Familienmitglied auf der Flucht verletzt wurde.
- Fast die Hälfte aller Befragten (47 Prozent) berichtete, dass Kinderarbeit in ihrem Gebiet üblich ist. 21 Prozent geben an, dass Kinder häufig bereits ab 12 Jahren oder sogar jünger anfangen zu arbeiten. Über die Hälfte der Teilnehmer*innen (53 Prozent) gab an, von mindestens einem Fall von Kinderheirat in ihrer Gemeinde zu wissen.
- Jobs mit sicherem Einkommen wie Festanstellungen sind um 26 Prozent zurückgegangen, dagegen stieg Gelegenheitsarbeit um 67 Prozent.
- Als wichtigstes ungedecktes Bedürfnis werden Lebensmittel bzw. Bargeld für Lebensmittel genannt. 57 Prozent der Befragten gaben an, zu keiner Tageszeit über Wasser (zum Trinken oder für den täglichen Gebrauch) zu verfügen.
David Miliband, Präsident und CEO des International Rescue Committee, sagt:
„Alle Syrer*innen in Not über die direktesten Routen zu erreichen ist keine politische Entscheidung, sondern ein humanitärer Imperativ. Die Autorisierung der drei Grenzübergänge Bab al-Hawa, Bab al-Salam und Yarubiyah für zwölf Monate würde sicherstellen, dass Hilfe die Syrer*innen erreicht, die sie am dringendsten benötigen – einschließlich Lebensmittel, medizinischer Güter und COVID-19-Impfstoffe. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Bedürftigen in Syrien um 20 Prozent gestiegen. Derzeit sind über 13 Millionen Menschen auf Hilfe angewiesen. Die humanitäre Lage ist deutlich und unbestreitbar. Diese harte Realität muss den UN-Sicherheitsrat dazu bewegen zu handeln. Der Rat hat das syrische Volk schon zu oft im Stich gelassen. Die Zeit für Ausreden ist vorbei. Es ist Zeit zu handeln, um die Lebensader für Millionen Syrer*innen zu schützen.“
Die sich verschlechternde Situation im Nordwesten Syriens erfordert, dass der UN-Sicherheitsrat sowohl den einzig verbliebenen Grenzübergang Bab al-Hawa erneuert, als auch den Übergang Bab al-Salam wieder zulässt, der im Juli letzten Jahres geschlossen wurde. Dies würde ermöglichen, dass Hilfsgüter schnell und zuverlässig viele der 1,3 Millionen Menschen im Norden Aleppos erreichen. Hilfe erreicht die Bevölkerung im Nordwesten nur über grenzüberschreitende Routen. Wenn der UN-Sicherheitsrat diese Routen nicht erneut autorisiert, droht über drei Millionen Syrer*innen, von Hilfe abgeschnitten zu sein. Wenn die UN die Resolution nicht verlängert, dann kommt auch die von der UN geführte COVID-19-Impfkampagne für die Menschen im Nordwesten Syriens zum Erliegen. Der Nordwesten Syriens hat im vergangenen Monat die erste Charge an Coronavirus-Impfstoffen über den Grenzübergang Bab al-Hawa an der türkischen Grenze erhalten. Die Fortsetzung dieser Kampagne aber hängt von der Verlängerung der UN-Resolution ab.
Die wachsende Krise im Nordosten seit dem Ende der grenzüberschreitenden UN-Maßnahmen sollte ein Weckruf für den UN-Sicherheitsrat sein. Seit der Entscheidung des Rats, den grenzüberschreitenden Zugang zum Nordosten über den Yarubiyah-Übergang im Januar 2020 zu beenden, ist der Bedarf um 38 Prozent gestiegen – mehr als in jedem anderen Teil Syriens. Kürzungen der grenzüberschreitenden Hilfe schaden denjenigen, die sie am dringendsten benötigen: Vertriebene, Frauen, Kinder und Menschen mit Behinderungen. Im Nordwesten und Nordosten Syriens ist die Not am größten: 81 bzw. 69 Prozent der Bevölkerung sind auf Hilfe angewiesen.