Berlin, 6. Februar 2020 — In den vergangenen zwei Monaten wurden fast 300 Zivilisten als Folge der sich verschärfenden Feindseligkeiten im Nordwesten Syriens getötet. Wenn diese Gewalt andauert, werden bis zu 800.000 Menschen, die sich derzeit im Konfliktgebiet befinden, in Gefahr sein. In den letzten beiden Wochen mussten rund 150.000 Menschen aufgrund der Gewalt ihr Zuhause verlassen, die meisten von ihnen Frauen und Kinder. Damit wurden seit Anfang Dezember 2019 mehr als eine halbe Million Menschen im Nordwesten Syriens vertrieben. Auch für Helferinnen und Helfer bleibt die Lage lebensgefährlich.
Acht Hilfsorganisationen, darunter International Rescue Committee (IRC), CARE, Handicap International, NRC Flüchtlingshilfe, Save the Children und World Vision, rufen deshalb alle Konfliktparteien mit Nachdruck zu einer sofortigen Feuerpause auf.
David Miliband, Präsident und CEO des International Rescue Committee:
„Neben der Zivilbevölkerung wird auch die zivile Infrastruktur angegriffen – ein Merkmal des Zeitalters der Straflosigkeit. In den vergangenen zwei Wochen wurden zwei Krankenhäuser aus der Luft bombardiert. Dabei wurden mehrere Patienten und medizinisches Personal verletzt. Wir mussten aufgrund der Intensität der Kämpfe eine ganze Flotte von IRC-unterstützten Krankenwagen verlegen. Wir fordern dringend ein Ende der Gewalt. Wir fordern auch, dass diejenigen, die für die Verletzungen des humanitären Völkerrechts verantwortlich sind, zur Rechenschaft gezogen werden. Das könnte durch die von den Vereinten Nationen eingesetzte Untersuchungskommission geschehen, die Angriffe auf zivile Infrastruktur im Nordwesten Syriens beobachten, die Ergebnisse veröffentlichen und schließlich die Verantwortlichen ermitteln und zur Rechenschaft ziehen soll.“
Karl-Otto Zentel, Generalsekretär von CARE Deutschland:
„Im vergangenen Jahr gab es 85 Angriffe auf Gesundheitszentren in Nord-Syrien, diese Gewalt hält auch in den ersten Wochen des neuen Jahres an. Nach mehreren Luftangriffen auf Gesundheitseinrichtungen in Idlib war auch CARE vor wenigen Tagen gezwungen, die medizinische Notfallversorgung in einem unserer Krankenhäuser einzustellen. Patientinnen und medizinisches Personal mussten evakuiert werden. Zuvor war das Krankenhaus die einzige noch funktionstüchtige Entbindungsstation in der Region. Tausende Frauen und Kinder wurden hier behandelt. Die Gewalt nimmt ihnen nun jegliche Chance, medizinische Hilfe zu erhalten.“
Bahia Zrikem – Handicap International Humanitarian Policy Coordinator – Region Syria:
„In der Vergangenheit konnten die Menschen eine Unterkunft von Einheimischen mieten, die ihnen ihre Häuser öffneten. Aber das wird immer schwieriger, da es einfach mehr Menschen gibt als Häuser zur Verfügung stehen und die Bedingungen immer verzweifelter werden. Viele von denen, die geflohen sind, schlafen in ihren Autos oder zelten am Straßenrand, weil sie einfach nirgendwo anders hinkönnen. Sie brauchen dringend Hilfe. Sie brauchen Nahrung, Unterkunft und Heizmaterial, um sich warm zu halten, und viele brauchen medizinische Versorgung, vor allem ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen. Da in den kommenden Tagen Tausende weiterer gefährdeter Menschen ankommen werden, werden die Bedürfnisse nur noch größer werden und es wird immer schwieriger werden, die Menschen zu versorgen.“
Jan Egeland, Generalsekretär von NRC:
„Zehntausende syrische Familien haben aufgrund der Militäroffensive der syrischen Regierung und ihrer Verbündeten Zuflucht an der türkischen Grenze gesucht. In den Flüchtlingslagern befinden sich mehr als das Fünffache ihrer geplanten Belegung und die Mietpreise in den Städten im Nordwesten sind explodiert. Die Türkei hat im Laufe der Jahre großzügig Millionen von Flüchtlingen aus Syrien aufgenommen, das ist klar. Aber die Kämpfe drängen die Menschen immer weiter nach Norden und momentan gibt es keinen Ort, der für sie sicher ist. Wir fordern die Türkei auf, diese verunsicherten Familien in Sicherheit bringen zu lassen, entweder über die Grenze oder in Gebieten in Syrien, die von der Türkei kontrolliert sind. Es ist nicht zu erwarten, dass die Türkei allein die Verantwortung übernimmt, mehr Flüchtlinge aufzunehmen. NRC fordert die internationale Gemeinschaft auf, ihre Unterstützung dringend zu verstärken und erweitern.“
Susanna Krüger, Vorstandsvorsitzende von Save the Children Deutschland:
„Die Kinder in Nordwestsyrien haben Angst. Sie erleben täglich wie Bomben und Granaten einschlagen. Ihr Leben wurde bereits durch den jahrelangen Konflikt zerstört. Sie mussten erleben wie ihr Zuhause, Schulen und Krankenhäuser zerstört und ihre Lieben vor ihren Augen getötet wurden. Jetzt versuchen sie nur noch, der Gewalt zu entkommen. Alle Konfliktparteien müssen das humanitäre Völkerrecht und das internationale Menschenrecht respektieren. Kinder und deren Familien dürfen nicht länger die Leidtragenden sein.“
Andrew Morley, Präsident und CEO von World Vision International:
„Der Exodus der Menschen aus Idlib ist erschütternd und erfolgt unter schrecklichen Bedingungen. Es ist derzeit bitterkalt in Syrien. Wir haben Decken, Heizgeräte und Bargeld bereitgestellt, aber viele können keinen Brennstoff kaufen. Kinder schlafen auf überfluteten Feldern und ohne angemessenen Schutz vor den Elementen. Die Familien greifen zu immer verzweifelteren Maßnahmen, um ihre Kinder zu schützen und sicherzustellen, dass sie den Winter überleben. Sie haben uns erzählt, dass sie jetzt Müll und Kleidung verbrennen, um sich warm zu halten.“