International Rescue Committee (IRC) Deutschland ruft CDU/CSU und SPD auf der letzten Etappe der Koalitionsverhandlungen dazu auf, humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit als eigenständige politische Instrumente zu stärken, auch für mehr globale Sicherheit. Das Engagement für beide Bereiche ist komplementär zu mehr Verteidigungsausgaben und muss fester Bestandteil deutscher Politik sein. Die großen Herausforderungen unserer Zeit – Konflikte, Gesundheit, Klimakrise, Wirtschaft und Armut – lassen sich nur durch globale Zusammenarbeit lösen. Dafür ist Deutschlands politischer und finanzieller Beitrag wichtiger denn je.

Für die weitere Ausarbeitung des Koalitionsvertrags spricht IRC folgende Empfehlungen aus:

1. Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind eigenständige Politikfelder der Bundesregierung und leisten wichtigen Beitrag zu globaler Sicherheit

Ein umfassender Sicherheitsansatz versteht den Beitrag humanitärer Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, um Stabilität und Frieden in Krisenregionen zu fördern und nachhaltige Entwicklung sowie Armutsbekämpfung im Sinne der UN-Nachhaltigkeitsziele zu unterstützen. Dieses Verständnis menschlicher Sicherheit schützt Menschen in Krisenregionen und ermöglicht es der Bundesregierung, durch internationale Soft-Power-Verpflichtungen auf multilateralen Bühnen wie der UN für Stabilität, Frieden und Sicherheit in der Welt und in Deutschland zu sorgen. Hier zwei Beispiele:

a) Gesundheitssicherheit: Jede Regierung muss in der Lage sein, nicht nur nationale, sondern auch globale Gesundheitsrisiken zu erkennen und darauf zu reagieren. Internationale Zusammenarbeit und koordinierte Maßnahmen sind notwendig, um eine globale Ausweitung eines Krankheitsausbruchs in einem Land zu verhindern. COVID-19 zeigte, wie schnell Pandemien nicht nur Gesundheitssysteme, sondern auch die Wirtschaft und soziale Ordnung eines Landes beeinträchtigen können. Aktuelle Fälle von Ebola, Marburg, Mpox oder Masern belegen die Brisanz des Themas.

b) Klimasicherheit: Klimapolitik muss in die Sicherheitsstrategien von Regierungen integriert werden. Die Auswirkungen des Klimawandels haben weitreichende und oft katastrophale Folgen für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt. Neben der Zunahme von klimabedingten Extremwetterereignissen (wie Überschwemmungen und Dürren) zählen Ressourcenkonflikte und damit häufig verbundene Vertreibungen zu Gründen, wieso Regierungen die Resilienz ihrer Gesellschaften und Volkswirtschaften stärken, die Auswirkungen minimieren und nachhaltige Entwicklung fördern müssen.

2. Unabhängigkeit der Ministerien für Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe muss weiterhin bestehen

Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) und das Auswärtige Amt (AA) sollten in ihren unabhängigen Strategien und mit ihren spezialisierten Fachkräften auch zukünftig ergänzend zueinander gestärkt werden. Humanitäre Diplomatie und prinzipientreue humanitäre Hilfe sind darauf ausgelegt, auf akute Krisen zu reagieren und dessen Auswirkungen entgegenzuwirken. Parallel verfolgt die Entwicklungspolitik langfristige Strategien, um strukturelle Ursachen von Armut zu bekämpfen und nachhaltige Lösungen zu schaffen.

Die Bundesregierung sollte zudem Ansätze wie den Humanitarian-Development-Peace-Nexus (HDP-Nexus) und vorausschauende humanitäre Hilfe in engerer Ressortabstimmung weiter ausbauen. Sie erhöhen die Komplementarität der Programme von BMZ und AA und schaffen Nachhaltigkeit durch die Förderung der Resilienz von Gemeinschaften in Krisenregionen.

3. Erfolgreiche Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe auf Basis ausreichender und dauerhafter Finanzierung durch die Bundesregierung

Als drittgrößte Volkswirtschaft muss sich die Bundesregierung auch zukünftig dem OECD-Ziel verpflichten, mindestens 0,7 Prozent des Bruttosozialprodukts für humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung stellen. Höhere Verteidigungsausgaben sind kein Grund, diese Verpflichtung nicht einzuhalten. Vielmehr lassen die starke Erhöhung der Verteidigungsausgaben und die gleichzeitigen Hilfskürzungen globale Entwicklungen außen vor und folgen keiner langfristigen Strategie.

Mit 365 Millionen Menschen, die auf humanitäre Hilfe angewiesen sind, ist der Bedarf so groß wie nie zuvor. Kürzungen gehen zu Lasten von Menschen in Konfliktregionen, deren Überleben und Krisenfestigkeit mit diesen Geldern unterstützt wird. Daher sollten mindestens 50 Prozent des ODA-Beitrags in fragile und konfliktbetroffene Staaten sowie an lokale zivilgesellschaftliche Organisationen fließen.  

Um eine angemessene und dauerhafte Finanzierung von Entwicklungszusammenarbeit und humanitärer Hilfe zu sichern, sind flexible, mehrjährige Finanzierungsmechanismen erforderlich. Nur so wird die Verhandlung der Haushaltsmittel nicht jedes Jahr ein politisches Faustpfand und eine effiziente Planung ermöglicht.  

Weitere Empfehlungen von IRC für die neue Bundesregierung finden sich im Forderungspapier „Zukunft gestalten: Engagement für Menschen in Krisenregionen, auf der Flucht und in Deutschland". IRC adressiert darin die Rolle Deutschlands in drei Bereichen: 1) globale humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, 2) Asyl, Aufnahmeprogramme und Zufluchtswege sowie 3) Unterstützung und Teilhabe von Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland.

Corina Pfitzner, Geschäftsführerin International Rescue Committee (IRC) Deutschland, sagt: 

„Entwicklungszusammenarbeit und humanitäre Hilfe sind eigenständige Strategien deutscher Politik und unerlässlich für die Sicherheit von Menschen weltweit. Jede Investition in Verteidigung darf  nicht auf Kosten von Entwicklungspolitik und humanitärer Hilfe gehen, denn diese sichern Überleben in Krisenregionen und sorgen für Stabilität, Sicherheit und Frieden in der Welt und in Deutschland. 

Gerade in einer Zeit, in der die weltweite Auslandshilfe massiv unter Druck steht, ist ein Umdenken in unserem Sicherheitsverständnis unabdingbar. Kürzungen zeugen von einer alarmierenden Gleichgültigkeit gegenüber Menschenleben weltweit. Wenn die Bundesregierung diesen Weg beschreiten sollte, droht Deutschlands Soft Power zu schwinden und damit der Spielraum, internationale Beziehungen zu gestalten und Partnerschaften aufzubauen. In einer Welt, in der die multilaterale Ordnung von innen heraus geschwächt wird, ist die Rolle Deutschlands als Verfechterin internationaler Zusammenarbeit wichtiger denn je.”