Anlässlich des zehnjährigen Konflikts in Jemen warnt International Rescue Committee (IRC), dass die Kluft zwischen dem steigenden humanitären Bedarf und den benötigten Mitteln immer größer wird. Millionen von Jemenit*innen könnten weiterhin ohne Zugang zu Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und Schutzmaßnahmen bleiben. 

Nach einem Jahrzehnt der Krise steigt der Bedarf an humanitärer Hilfe in Jemen weiter an. Im Jahr 2025 werden schätzungsweise 19,5 Millionen Menschen humanitäre Hilfe benötigen. Dies entspricht einem Anstieg von fast sieben Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Im ganzen Land leben heute mehr als 83 Prozent der Bevölkerung in Armut. 

Mehr als 4,5 Millionen Menschen sind derzeit innerhalb des Landes vertrieben. Die meisten von ihnen wurden in den letzten zehn Jahren mehrfach zur Flucht gezwungen. IRC-Teams beobachten eine steigenden humanitären Bedarf bei vertriebenen Familien, die nur begrenzten Zugang zu Nahrungsmitteln, medizinischer Versorgung und sauberem Wasser haben. Die Unterernährungsraten in Jemen gehören nach wie vor zu den höchsten der Welt. 

Trotz dieses wachsenden Bedarfs ist die humanitäre Hilfe für Jemen weiterhin unterfinanziert. Der humanitäre Reaktionsplan für 2025 sieht 2,47 Mrd. US-Dollar vor, um 10,5 Millionen Menschen zu erreichen. Im März waren gerade fünf Prozent der Mittel aufgebracht. Im Jahr 2024 wurde nur etwas mehr als die Hälfte der benötigten Mittel bereitgestellt. Hilfsorganisationen waren dadurch gezwungen, wichtige Hilfsmaßnahmen wie die Verteilung von Nahrungsmitteln zu reduzieren und den Zugang zu sauberem Wasser und anderen Dienstleistungen einzuschränken. Durch die erwarteten Kürzungen der US-Hilfe, die 2024 mehr als die Hälfte der gesamten humanitären Hilfe für Jemen ausmachte, droht sich diese Lücke weiter zu vergrößern. Millionen Menschen werden so einem größeren Risiko von Hunger, Krankheiten und weiterer Vertreibung ausgesetzt.

Für Familien wie die von Abdulnasser Abdullah, die seit Jahren von Vertreibung und Unsicherheit betroffen sind, ist humanitäre Hilfe überlebenswichtig. Abdulnasser, ein vertriebener Vater, der im Lager Al Qataysh lebt, berichtet:

„Ich erinnere mich an das erste Mal, als ich die Geräusche des Kriegs hörte. Ich spürte eine Angst, die ich zuvor nicht kannte. Wir haben unser Zuhause, unsere Lebensgrundlage und vor allem unser Gefühl der Sicherheit verloren. Das Leben in diesem Lager ist ein täglicher Kampf, ohne Privatsphäre und Sicherheit. Die medizinische Hilfe, die wir erhalten, macht dagegen einen echten Unterschied – vor allem, weil wir uns selbst nicht einmal grundlegende Medikamente oder eine einfache Mahlzeit leisten können.“ 

 

Caroline Sekyewa, IRC-Länderdirektorin Jemen, sagt:
 

„Seit zehn Jahren leiden die Jemenit*innen unter dem unerbittlichen Konflikt, dem wirtschaftlichen Zusammenbruch und dem begrenzten Zugang zu lebensrettenden Gesundheits- und Ernährungsdiensten. Humanitäre Hilfe hält die Menschen in Jemen am Leben – verhindert den Ausbruch von Krankheiten, sichert medizinische Versorgung oder unterstützt nach Naturkatastrophen. Wenn die Regierungen der Geberländer jetzt erwägen, diese Hilfe zu kürzen oder einzustellen, ist das kurzsichtig und gefährdet Millionen von Menschenleben.Jemen steht am Abgrund. Ohne dringende Unterstützung riskieren wir, jahrelang hart erkämpfte Erfolge zunichte zu machen. Letztlich kann humanitäre Hilfe allein das Leid von Millionen Menschen in Jemen nicht beenden. Nach einem Jahrzehnt der Krise sind politische Lösungen und ein wirtschaftlicher Aufschwung wichtiger denn je, um langfristige Stabilität zu gewährleisten. Nichtsdestotrotz entscheidet Hilfe für Millionen Menschen über Leben und Tod. Im vergangenen Jahr erreichten humanitäre Organisationen trotz eines enormen Finanzierungsdefizits mehr als acht Millionen Menschen in Not im ganzen Land. Man stelle sich vor, was erreicht werden könnte, wenn die Finanzierung endlich dem Bedarf entsprechen würde.2025 muss ein Wendepunkt in dieser Krise sein. In Anbetracht des stetig steigenden humanitären Bedarfs rufen wir alle Geber zu mehr Engagement und zur vollständigen Finanzierung des Humanitären Reaktionsplans für Jemen auf.“ 

 

IRC in Jemen

International Rescue Committee (IRC) ist seit 2012 in Jemen tätig. 2015 wurde die Programmarbeit rasch ausgeweitet, um auf die durch den gewaltvollen Konflikt und Wirtschaftsblockaden ausgelöste Ernährungsunsicherheit und gestiegenen humanitären Bedarfe zu reagieren. Nothilfe, Gesundheit, Ernährung, wirtschaftliche Stärkung, Wasser-Sanitär-Hygiene sowie Schutz für Frauen und Kinder sind Teil von IRCs Programmarbeit. Von 2022 bis 2024 erreichte IRC mehr als fünf Millionen Menschen in elf von der Krise betroffenen Gouvernements in Jemen.