Berlin, 3. November 2022 — Im Jahr zwischen Glasgow und Sharm el-Sheikh haben sich Hitzewellen, Dürren und Überschwemmungen auf der ganzen Welt verschlimmert. Den höchsten Preis zahlen die verwundbarsten und ärmsten Gebiete, die die wenigste Verantwortung für die Klimakrise tragen. Die Überschwemmungen in Pakistan haben 33 Millionen Menschen vertrieben und ein Drittel des Landes überflutet; der wirtschaftliche Schaden beläuft sich auf über 30 Milliarden Euro. Die beispiellose fünfte Saison mit ausbleibenden Regenfällen in Ostafrika bedeutet den Verlust von Ernten, Herden und Lebensgrundlagen. Mehr als 36 Millionen Menschen sind von akutem Hunger bedroht: Eine Hungersnot steht unmittelbar bevor.
Die Erreignisse im vergangenen Jahr werfen die Frage auf, ob die internationale Gemeinschaft bei der COP27 sinnvolle Maßnahmen zugunsten der Millionen von Menschen ergreifen kann, die an der vordersten Front der Klimakrise stehen und bereits mit deren extremen Folgen leben. Im Vorfeld der COP27 fordert IRC die Staats- und Regierungschef*innen auf, klare, zeitlich begrenzte Aktionspläne zur Verbesserung der Eindämmung und Anpassung auf die Auswirkungen der Klimakrise mit ausreichender Finanzierung aufzustellen. Gemeinschaften, die in fragilen und konfliktbetroffenen Staaten leben, müssen Priorität haben.
David Miliband, IRC Präsident und CEO, sagt:
,,Die Risiken der Klimakrise sind globalisiert, aber die Widerstandsfähigkeit gegen die Klimakrise ist lokalisiert. Sie wird den Menschen und Gemeinschaften überlassen, selbst wenn die Klimaereignisse immer häufiger und intensiver werden. Dies ist ein Rezept für anhaltende Katastrophen, anhaltende Hungersnöte und anhaltende Vertreibung. Die Gemeinschaften, die den extremen Auswirkungen unserer sich verändernden Umwelt am stärksten ausgesetzt sind, sind bereits von Konflikten, Ernährungsunsicherheit und der Wirtschaftskrise betroffen. Diese Wirtschaftskrise wird durch eine globale Pandemie und den Krieg in der Ukraine noch verstärkt.
Es reicht nicht aus, dass sich die reichen Länder zu Emissionssenkungen verpflichten, die Entwicklungsländer mit kohlenstoffarmer Technologie und dem Aufbau von Kapazitäten zu unterstützen. Es reicht nicht aus, die Klimafinanzierung mit einem Schuldenerlass und einer sofortigen Bargeldentlastung zu kombinieren, um den fiskalischen Druck auf die Entwicklungsländer zu verringern. Es reicht nicht aus, auf die Bedürfnisse der am stärksten gefährdeten Menschen einzugehen, indem man Armutsbekämpfung und Resilienzaufbau miteinander verbindet. Vielmehr müssen alle diese Maßnahmen gleichzeitig ergriffen werden. Die Stimmen und Bedürfnisse lokaler Gemeinschaften und Gruppen, die in der Vergangenheit bei der Entscheidungsfindung an den Rand gedrängt wurden, müssen vorrangig berücksichtigt werden.”
Shashwat Sharif, IRC-Notfalldirektor für Ostafrika, ergänzt:
,,Die Länder in Ostafrika haben die Klimakrise nicht verursacht. Sie sind aber sehr anfällig für ihre Auswirkungen. Die Region leidet weiterhin unter 24 Monaten Dürre und hohen Temperaturen, die mit dem Klimawandel zusammenhängen. Die längste Dürre seit 40 Jahren hält an: Auch für die fünfte und sechste Regenzeit wird ein Ausbleiben der Regenfälle vorhergesagt. Die Situation ist katastrophal, mit Ernteausfällen und verendetem Viehbestand. Mehr als 36 Millionen Menschen sind von extremem Hunger bedroht und haben ihre Lebensgrundlage, ihr Einkommen und ihre Möglichkeiten zur Erholung verloren. Darüber hinaus erhöht der Mangel an sauberem Wasser die Gefahr von Cholera und anderen Krankheiten. Es ist nicht hinnehmbar, dass wir in dieser 'Welt des Überflusses' weiterhin jeden Tag darum kämpfen, mehr als 7 Millionen akut unterernährte Kinder in Ostafrika zu behandeln, obwohl ausreichende Ressourcen anderswo in der Welt verfügbar sind.
Auf der COP27, der 'afrikanischen' COP, werden die Bedürfnisse unseres vom Klima verwundbar gemachten Kontinents im Mittelpunkt stehen. Vorliegende Daten und Frühwarnzeichen reichten nicht aus: Die weltweite Untätigkeit bedeutet, dass Millionen von Menschen, die unter extremem Hunger litten, den höchsten Preis zahlten. Wir müssen das humanitäre System aktivieren, um die Grundbedürfnisse der betroffenen Gemeinschaften zu befriedigen. Wir müssen auch unterstützen, einen 'no regrets'-Ansatz bei der Finanzierung zu verfolgen und Ressourcen für Verhandlungen über den Zugang für humanitäre Hilfe zu mobilisieren."
Ralph Achenbach, IRC Deutschland Geschäftsführer, kommentiert:
,,Im Umgang mit der Klimakatastrophe braucht es jetzt eine Zeitenwende. Die Folgen des Klimawandels trifft die Regionen der Welt bereits jetzt mit der vollsten Wucht, die am wenigsten zu dessen Ursachen beitragen. Zahlen der FAO zeigen, dass etwa 6,7 Millionen Menschen in Somalia zwischen Oktober und Dezember dieses Jahres wahrscheinlich von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen sein werden, obwohl das Land weniger als 0,03 Prozent der gesamten weltweiten Emissionen ausmacht. Bei der COP27 ist es zu spät, lediglich die Alarmglocke zu leuten; vielmehr muss entschieden gehandelt werden: es muss einmal humanitäre Hilfe ermöglicht werden, um Leben zu retten, und zum anderen muss langfristig in die Anpassung an den Klimawandel investiert werden, um zukünftiges Loss und Damage zu minimieren. Ein essentieller Bestandteil dieser Strategie muss eine Verpflichtung sein zu widerstandsfähigeren Lebensmittel- und Agrarsystemen, und der Finanzierung entsprechender Maßnahmen. Wir – und allen voran die von den katastrophalen Folgen des Klimawandels betroffenen Menschen – können nicht warten, bis die nächste Flut- oder Dürrekatastrophe eintritt, bevor wir reagieren. Gehandelt werden muss jetzt.”