IRC ruft zu einem humanitären Waffenstillstand auf, um die Lieferung von Hilfsgütern und die Bewegungsfreiheit von humanitären Helfer*innen zu ermöglichen, damit diese die Menschen in Not erreichen können.
Die Hauptursache für die hohen Todeszahlen ist die anhaltende Gewalt; jedoch warnt IRC auch vor einer drohenden Gesundheitskrise.
9. November 2023 — International Rescue Committee (IRC) warnt vor einem drohenden Ausbruch von Infektionskrankheiten in Gaza, wo die Bewohner*innen auf verunreinigte Wasserquellen angewiesen sind und keinen Zugang zu angemessenen sanitären Einrichtungen und Hygiene haben. Dadurch werden sich durch Wasser übertragene Krankheiten wie Cholera und Typhus unweigerlich ausbreiten. 95 Prozent der Bevölkerung haben keinen Zugang zu sauberem Wasser, 64 Prozent der primären Gesundheitseinrichtungen sind geschlossen (OCHA), und lebensrettende Medikamente stecken am Grenzübergang Rafah fest. Ein Monat der Bombardierung und Blockade hat bereits zu katastrophalem humanitärem Leid für die 2 Millionen Palästinenser*innen - die Hälfte davon Kinder - geführt, die jetzt kein sauberes Wasser und lebenswichtige medizinische Versorgung haben. Die durch den Konflikt verursachte Zerstörung treibt die humanitäre Krise weiter in die Höhe.
Aufbauend auf unseren Erfahrungen in komplexen Konfliktgebieten arbeitet IRC gemeinsam mit Partnerorganisationen daran, die Maßnahmen vor Ort zu verstärken. Der Schwerpunkt liegt auf der medizinischen Soforthilfe sowie Infektionsprävention und -kontrolle, um die Ausbreitung von Krankheitsausbrüchen und anderen Gesundheitsproblemen zu verhindern, die in humanitären Notsituationen auftreten. IRC ruft zu einem sofortigen humanitären Waffenstillstand auf, damit humanitäre Hilfe geleistet werden kann, die Verletzten evakuiert werden können, Verhandlungen über die Freilassung von Geiseln stattfinden und Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung ergriffen werden können, um das unannehmbare Ausmaß an zivilem Schaden und Leid zu begrenzen.
Damit den Menschen wirklich geholfen werden kann, muss ein „humanitärer Waffenstillstand“ Folgendes beinhalten:
- Uneingeschränkte Lieferung von humanitären Hilfsgütern nach Gaza (aus Ägypten und Israel) unter der Aufsicht der UN, die unparteiisch von humanitären Organisationen geliefert werden. Dazu gehören Wasser, medizinische Versorgung, Lebensmittel, Gegenstände des täglichen Gebrauchs, sowie Unterkünfte, Hilfsgüter für Frauen und Mädchen und genügend Räumlichkeiten, um lebenswichtige Schutzmaßnahmen anbieten zu können. Diese Versorgung sollte ausschließlich auf dem festgestellten humanitären Bedarf basieren und nicht von den Kampfhandlungen beeinträchtigt werden – inklusive regelmäßige Treibstofflieferungen, die für die Verteilung der Hilfsgüter notwendig sind und gewährleisten, dass weiterhin lebenswichtige Unterstützung, insbesondere Gesundheitsversorgung, erbracht werden kann.
- Helfer*innen müssen Menschen, die humanitäre Hilfe benötigen, erst einmal erreichen können. Damit die Hilfe wirksam sein kann, müssen Helfer*innen Betroffene erst einmal erreichen können. Darüber hinaus müssen sie in der Lage sein, die Zweckentfremdung von Hilfsgütern zu verhindern und gewährleisten, dass die humanitäre Hilfe die Zivilbevölkerung erreicht.
- Die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit und Sicherheit und das Zusammenkommen der Zivilbevölkerung, um humanitäre Hilfe und Versorgung zu erhalten (unter anderem geschützte Räume für Kinder, Bildungsaktivitäten, medizinische Notversorgung einschließlich psychologischer Versorgung und anderer spezialisierter Versorgung, zum Beispiel für Frauen und Mädchen).
- Die Evakuierung von Kranken und Verwundeten innerhalb des Gebiets oder aus dem Gebiet heraus sowie zusätzliche Maßnahmen zum Schutz der Zivilbevölkerung in Übereinstimmung mit dem Humanitären Völkerrecht, einschließlich sicherer Routen für Zivilist*innen auf der Flucht. Dabei sollte berücksichtigt werden, dass manche Menschen nicht über die erforderlichen Ausweisdokumente verfügen bzw. sie nicht bei sich führen. Die üblichen Wege sollten identifiziert und kommuniziert und vor Angriffen geschützt werden. In jedem Fall muss das Recht auf Rückkehr im Voraus garantiert werden.
- Aufmerksamkeit für die Notlage der Geiseln: IRC fordert im Einklang mit dem Humanitären Völkerrecht weiterhin die sofortige und bedingungslose Freilassung aller Geiseln, sowie die sichere Einreise der freigelassenen Geiseln nach Israel.
- Ein Zeitraum, der lang genug ist, um zu ermöglichen, dass die Hilfe die Menschen erreicht, die Mechanismen der humanitären Hilfe und Versorgung wiederhergestellt und ausgeweitet werden können und die anderen genannten Maßnahmen umgesetzt werden können. Die Lage vor Ort zeigt, dass dazu mindestens fünf Tage benötigt werden.
Es muss klar sein, dass dieser Ansatz nur das Mindestmaß dessen erfüllt, um die unmittelbaren Bedarfe vor Ort zu decken, und weit davon entfernt ist, das Leid der Zivilbevölkerung zu verringern und ihre Interessen im Einklang mit dem Humanitären Völkerrecht zu schützen. Doch zurzeit wird auch dieses Mindestmaß nicht gewährleistet.
Bob Kitchen, IRC-Vizepräsident für Nothilfe, sagt:
,,Das humanitäre Leid in Gaza hat bereits ein katastrophales Ausmaß erreicht, und ohne Veränderungen im Vorgehen wird es noch schlimmer werden. Auch wenn der Hauptgrund für die hohe Todeszahlen nach wie vor die anhaltende Gewalt und Zerstörung ist, würde ein humanitärer Waffenstillstand den Hilfsorganisationen helfen, die sich abzeichnende Gesundheitskrise als Teil der ohnehin schon großen humanitären Krise zu bewältigen. Die Wasser- und Abwassersysteme und der fragile Gesundheitssektor in Gaza sind durch die Luftangriffe stark beschädigt worden. Die Zahl der Traumapatient*innen in den Gesundheitseinrichtungen steigt, und der Mangel an Medikamenten und Treibstoff ist gefährlich. Inzwischen haben 95 Prozent der Bevölkerung keinen Zugang zu sauberem Wasser, 1,5 Millionen Menschen sind in überfüllten Gebäuden untergebracht, und es droht ein harter Winter.
Die Bedingungen sind gegeben für die Ausbreitung von durch Wasser übertragene Krankheiten - Krankheiten, die Kinder besonders betreffen und zu vermeidbaren Todesfällen führen. IRC nutzt die bisherige Erfahrung bei der Durchführung von Gesundheitsprogrammen im Bereich Infektions-, Präventions- und Ausbruchskontrolle in Konfliktgebieten und arbeitet daran, die humanitäre Hilfe so schnell wie möglich auszuweiten. Doch ohne einen wirkungsvollen humanitären Waffenstillstand, der die Lieferung von Hilfsgütern ermöglicht, wird das Leiden unschuldiger palästinensischer Zivilist*innen weitergehen. Eine sofortige und nachdrückliche diplomatische Intervention ist dringend erforderlich für einen humanitären Waffenstillstand, der es ermöglicht den dringenden Bedarf an humanitärer Hilfe und Schutzmaßnahmen zu begegnen und die Gesundheitskatastrophe aufhalten würde.”
Im Nachgang der von französischen Präsidenten Emmanuel Macron veranstalteten humanitären Konferenz am Donnerstag, bekräftigt IRC die Forderung nach dem Schutz der Zivilbevölkerung und einer Erhöhung der humanitären Hilfe.