11. April 2024 — Die unterzeichnenden Organisationen fordern alle Staaten auf, die Lieferung von Waffen, Waffenteilen und Munition an Israel und bewaffnete palästinensische Gruppen unverzüglich einzustellen. Dies muss geschehen, solange das Risiko besteht, dass sie dazu eingesetzt werden, schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht oder die Menschenrechte zu begehen oder solche zu erleichtern.
Die israelische Bombardierung und Belagerung berauben die Zivilbevölkerung ihrer Lebensgrundlagen und machen Gaza zu einer unbewohnbaren Region. Die Zivilbevölkerung in Gaza ist derzeit mit einer humanitären Krise von noch nie dagewesenen Ausmaß und Schweregrad konfrontiert.
Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht
Darüber hinaus wurden bei von bewaffneten palästinensischen Gruppen geführten Angriffen rund 1200 Menschen getötet und Hunderte israelischer und ausländischer Geiseln, darunter auch Kinder, entführt. Mehr als 130 Geiseln werden weiterhin in Gaza gefangen gehalten. Bewaffnete Gruppen in Gaza feuern weiterhin wahllos Raketen auf dicht besiedelte Gebiete in Israel ab, unterbrechen die Schulbildung der Kinder, vertreiben Zivilist*innen und bedrohen deren Leben und Wohlergehen. Geiselnahmen und wahllose Angriffe stellen Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht dar und müssen sofort beendet werden.
Humanitäre Organisationen, Menschenrechtsgruppen, Vertreter*innen der Vereinten Nationen (UN) und mehr als 153 Mitgliedstaaten haben zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgerufen. Israel setzt jedoch weiterhin explosive Waffen und Munition in dicht besiedelten Gebieten ein, was verheerende humanitäre Folgen für die Menschen in Gaza hat. Die Staats- und Regierungschef*innen der Welt haben die israelische Regierung aufgefordert, die Zahl der zivilen Opfer zu verringern. Doch die israelischen Militäroperationen in Gaza töten weiterhin Menschen in einem noch nie dagewesenen Ausmaß, wie der UN-Generalsekretär kürzlich erklärte.
Die Mitgliedsstaaten sind rechtlich verpflichtet, alle möglichen Mittel einzusetzen, um einen besseren Schutz der Zivilbevölkerung und die Einhaltung des humanitären Völkerrechts herbeizuführen. Die einzig verbleibende Möglichkeit, um die grundlegende Versorgung der Menschen zu gewährleisten – die international finanzierte humanitäre Hilfe – ist aufgrund der anhaltenden Kampfhandlungen gelähmt. Gründe dafür sind Angriffe auf Hilfskonvois, wiederholtes Aussetzen aller Kommunikationskanäle, beschädigte Straßen, Beschränkungen lebenswichtiger Güter, ein fast vollständiges Verbot kommerzieller Lieferungen und die bürokratischen Hürden für Hilfslieferungen nach Gaza.
Zerstörung und Schädigung der Zivilbevölkerung
Die israelischen Militäraktivitäten haben einen großen Teil der Wohnhäuser, Schulen, Krankenhäuser, Wasserinfrastruktur und Notunterkünfte in Gaza zerstört. Die wahllosen Bombardierungen und die immensen Schäden an der Zivilbevölkerung, welche regelmäßig zum Ziel der Gewalt wird, sind inakzeptabel. Der UN-Hochkommissar für Menschenrechte hat vor der „Gefahr weiterer Gräueltaten“ in Gaza gewarnt und alle Staaten aufgefordert, solche Verbrechen zu verhindern. Seit diesem Aufruf hat sich die humanitäre Krise in Gaza jedoch noch weiter verschärft:
- Nach Angaben des Gesundheitsministeriums in Gaza sind in weniger als vier Monaten mehr als 33.000 Palästinenser*innen, darunter mindestens 14.500 Kinder, getötet worden. Tausende weitere Menschen liegen unter den Trümmern begraben und gelten als tot.
- Mehr als 75.000 Menschen wurden verletzt. Viele erlitten so schwerwiegende Verletzungen, die dauerhafte Behinderungen zur Folge haben. Darunter sind mehr als 1000 palästinensische Kinder, die eines oder mehrere ihrer Gliedmaßen verloren haben.
- Eine unbekannte Zahl palästinensischer Zivilist*innen, darunter Berichten zufolge auch Kinder, wurden nach Angaben derUN unrechtmäßig festgenommen. Sie müssen freigelassen werden.
- Nach wie vor werden fast täglich Palästinenser*innen in Gebieten getötet, in die sie die israelische Regierung zur Flucht beordert hat. In der ersten Woche des Jahres 2024 wurden bei einem israelischen Luftangriff in der Nähe eines von den israelischen Streitkräften als „humanitäre Zone“ ausgewiesenen Gebiets 14 Menschen getötet, die meisten von ihnen Kinder.
- Mehr als 70 Prozent der Bevölkerung in Gaza, etwa 1,7 Millionen Menschen, wurden gewaltsam vertrieben. Viele folgten israelischen Befehlen, sich in den Süden zu begeben, und werden nun in winzige Landstriche gezwängt, die keine Grundlage für das Überleben bieten und zu einem Nährboden für die Verbreitung von Krankheiten geworden sind.
Kinder und Familien sind vom Hungertod bedroht
- Die Hälfte der Bevölkerung in Gaza - rund 1,1 Millionen Palästinenser*innen - sind vom Hungertod bedroht. Mehr als 90 Prozent der Bevölkerung sind von akuter Ernährungsunsicherheit betroffen. Das ist der höchste Anteil, der jemals von einer humanitären Organisation, die für die Erstellung evidenzbasierter Bewertungen der Ernährungsunsicherheit zuständig ist, verzeichnet wurde. Im Norden von Gaza droht nun eine Hungersnot. Die gesamte Bevölkerung Gazas - rund 2,2 Millionen Menschen - ist von einer akuten Ernährungsunsicherheit betroffen.
- Mehr als 70 Prozent der Häuser in Gaza, ein Großteil der Schulen sowie die Wasser- und Sanitärinfrastruktur wurden zerstört oder beschädigt, sodass die Bevölkerung fast keinen Zugang zu sauberem Wasser hat.
- Nicht eine einzige medizinische Einrichtung in der Enklave ist voll funktionsfähig. Die medizinischen Einrichtungen, die teilweise funktionieren, sind mit Traumabehandlungen und dem Mangel an medizinischem Material und Personal überfordert. Mehr als 489 Mitarbeitende des Gesundheitspersonals wurden getötet.
- Mindestens 243* humanitäre Helfer*innen in Gaza wurden getötet – mehr als in jedem anderen Konflikt in diesem Jahrhundert.
Gaza ist derzeit der gefährlichste Ort für Kinder, Journalist*innen und humanitäre Helfer*innen. Krankenhäuser und Schulen dürfen niemals zu Kriegsschauplätzen werden. Diese Bedingungen haben in Gaza zu einer Situation vollständiger Verzweiflung geführt. Führende Vertreter*innen von Hilfsorganisationen erklärten, dass es keine Voraussetzungen für eine sinnvolle humanitäre Hilfe in Gaza mehr gibt. Daran wird sich nichts ändern, solange Belagerung, Bombardierung und Kampfhandlungen weitergehen. Die UN hat den humanitären Zugang im Januar als „erheblich verschlechtert“ bezeichnet. Die israelischen Streitkräfte haben wiederholt Hilfskonvois die Erlaubnis verweigert, in die Gebiete nördlich von Wadi Gaza zu gelangen, wo die Menschen am stärksten von Hunger bedroht sind.
In den letzten Wochen forderten einige hochrangige israelische Beamt*innen die Deportation palästinensischer Zivilist*innen aus Gaza. Die Zwangsumsiedlung innerhalb Gazas und die Deportation eines Teils der Bevölkerung über die Grenzen hinweg ohne Rückkehrgarantien wäre ein schwerer Verstoß gegen das Völkerrecht und käme einem Völkerrechtsverbrechen gleich.
Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand
Wir fordern einen sofortigen Waffenstillstand. Wir appellieren an alle Staaten, die Lieferung von Waffen zu stoppen, die dazu eingesetzt werden könnten, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte zu begehen. Der UN-Sicherheitsrat muss seiner Verantwortung für die Aufrechterhaltung des Weltfriedens und der globalen Sicherheit gerecht werden. Es braucht Maßnahmen, um mit sofortiger Wirkung Waffenlieferungen an die israelische Regierung und bewaffnete palästinensische Gruppen zu stoppen und Waffenlieferungen zu verhindern, die zum Einsatz kommen könnten, um Völkerrechtsverstöße zu begehen.
Alle Staaten haben die Pflicht, Völkerrechtsverbrechen zu verhindern und die Einhaltung von Regelungen zum Schutz der Zivilbevölkerung zu fördern. Es ist längst überfällig, dass die internationale Gemeinschaft diesen Verpflichtungen nachkommt.
Allgemeine Hinweise
Diese Erklärung wurde ursprünglich am 24. Januar 2024 mit Unterstützung von 16 humanitären Organisationen veröffentlicht. Seit der Veröffentlichung haben sich mehr als 250 zivilgesellschaftliche Organisationen weltweit dem Aufruf angeschlossen. Diese Erklärung wurde aktualisiert, um folgende Zahlen mit Stand vom 10. April 2024 wiederzugeben: Die Zahl der getöteten Menschen, einschließlich Kindern, Mitarbeitende von Hilfsorganisationen und medizinischem Personal, die Zahl der Verletzten und die neuesten Zahlen zur Ernährungsunsicherheit, die von der IPC-Skala veröffentlicht wurden.
Seit der Veröffentlichung der ursprünglichen Erklärung am 24. Januar 2024 sind die folgenden Ereignisse eingetreten:
- Am 26. Januar 2024 erließ der Internationale Gerichtshof (IGH) vorläufige Maßnahmen im Fall der „Anwendung der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermordes im Gazastreifen (Südafrika gegen Israel)“
- Am 12. Februar 2024 wies der niederländische Gerichtshof die niederländische Regierung an, die Lieferung von Teilen des Kampfjets F35 an Israel innerhalb von sieben Tagen zu stoppen, da die Gefahr von schweren Verstößen gegen das humanitäre Völkerrecht besteht.
- Am 23. Februar 2024 veröffentlichten UN-Expert*innen eine gemeinsame Erklärung, in der sie erklärten, dass Waffenexporte nach Israel sofort gestoppt werden müssen: "Die Notwendigkeit eines Waffenembargos gegen Israel wird durch das Urteil des Internationalen Gerichtshofs vom 26. Januar 2024, dass ein plausibles Risiko für einen Völkermord im Gazastreifen besteht, und die anhaltende schwere Schädigung der Zivilbevölkerung seither noch verstärkt."
- Am 25. März 2024 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat die Resolution 2728, in der ein sofortiger Waffenstillstand für den Monat Ramadan gefordert wird.
- Am 28. März 2024 erließ der IGH zusätzliche vorläufige Maßnahmen und stellte fest, dass ,,eine Hungersnot herrscht.”
- Am 5. April 2024 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat eine Resolution, um ,,den Verkauf, die Weitergabe und die Umleitung von Waffen, Munition und anderen militärischen Ausrüstungsgegenständen an die Besatzungsmacht Israel einzustellen, um weitere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht sowie Verletzungen und Missbräuche der Menschenrechte zu verhindern."
- Die Gesamtzahl der getöteten humanitären Helfenden umfasst Mitarbeitende von UN-Organisationen, Nichtregierungsorganisationen sowie der Palestinian Red Crescent Society. Zahlen über die jährliche Zahl der getöteten Mitarbeitende von Hilfsorganisationen in anderen Zusammenhängen finden Sie hier.