Nach neuen Daten von International Rescue Committee (IRC) für das Jahr 2023 hat sich die Anzahl unbegleiteter Kinder, die über die Balkanroute in der italienischen Stadt Triest ankommen, verdoppelt. 

Die Anzahl an Kindern, die ohne ihre Familien oder Erziehungsberechtigte über die Balkanroute in Triest angekommen sind, ist alarmierend gestiegen. Auf der Flucht sind sie Vernachlässigung, Traumata sowie physischer und psychischer Gewalt, u. a. durch Pushbacks, ausgesetzt. 

Suleman, ein 17-jähriger Junge aus Pakistan, kam im Oktober 2023 in Italien an. Er erzählt, dass er auf der Flucht mehrmals Gewalt erfahren hat: ,,Als wir erwischt wurden, zogen sie uns die Schuhe und die Kleidung aus und ließen uns nur in Unterwäsche zurück. Sie schrien uns an und schlugen uns." 

Mohammed, ein 16-jähriger Junge, fügt hinzu:,,Was ich erlebt habe, hat mich seelisch komplett kaputt gemacht. Ich kann mich nicht konzentrieren. Ich kann nicht richtig lernen, weil ich immer wieder daran denken muss, was mir passiert ist. Ich kann diese Vorfälle nicht vergessen."

In Triest ist es für unbegleitete Kinder schwierig, einen sicheren Schlafplatz zu finden. Wenn sie nicht vorher von Strafverfolgungsbehörden identifiziert werden, haben sie keinen Zugang zu Notunterkünften. Die Angst vor dem Kontakt mit den Behörden zwingt viele Kinder auf die Straße. Oft schlafen sie auch in behelfsmäßigen Unterkünften in der Nähe des Hauptbahnhofs, den sogenannten ‘Silos’. Dort sind sie weiteren Gefahren und Gewalt ausgesetzt.

Alessandro Papes, IRC-Teamleitung für Triest, sagt: 

,,Unbegleitete Kinder auf der Flucht an den europäischen Grenzen sind immer noch Kinder. Aber sie werden brutal ihrer Kindheit beraubt. IRC hat in Triest im vergangenen Jahr fast 3000 Kinder unterstützt – diese Kinder sind nur ein Bruchteil derjenigen, die Unterstützung brauchen. Viele von ihnen verschwinden unter dem Radar. Die Meisten gehören einer Generation junger Afghan*innen an, die auf der Suche nach Schutz sind.

2023 trafen wir durchschnittlich acht unbegleitete Kinder pro Tag an. Sie waren alle der Gefahr ausgesetzt, unter menschenunwürdigen Bedingungen zu schlafen. Wie kann man gleichgültig zuschauen, wenn Kinder in improvisierten Zelten in den Silos von Triest schlafen?

Schon in ihren Herkunftsländern und auf den gefährlichen Fluchtrouten sind Kinder zahlreichen Bedrohungen und ständiger Gefahr ausgesetzt. Sobald sie in Triest ankommen, sind sie dringend auf Soforthilfe angewiesen: Nahrungsmittel, medizinische Versorgung, eine sichere Unterkunft, zuverlässige Informationen über ihre Rechte und weitere lebensnotwendige Dienste. Diese Kinder müssen gezielt unterstützt werden, damit sie endlich in Sicherheit sind und sich erholen können." 

Marta Welander, IRC-Direktorin für EU-Advocacy, kommentiert: 

,,Es gibt keine Entschuldigung dafür, dass ein Kind ohne angemessenen Schutz und Unterstützung auf den Straßen Europas allein gelassen wird. Die Zahl unbegleiteter Kinder an Transitpunkten wie Triest steigt drastisch. Umso wichtiger ist es, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten von ihrem Schwerpunkt der ‘Abschreckung um jeden Preis’ ablassen. Alle EU-Staaten haben die moralische und rechtliche Verpflichtung, dass alle Kinder auf der Flucht mit Würde und Respekt empfangen und ihre Rechte gewährt werden. 

Politische Entscheidungsträger*innen müssen Menschen und nicht Grenzen Priorität einräumen. Das EU-Migrations-und Asylpaket muss den Schwerpunkt auf den Schutz von schutzsuchenden Menschen sowie ihre Grundrechte legen, anstatt diese weiter auszuhöhlen. Sichere Routen müssen weiterhin ausgeweitet werden. Schutzbedürftige Menschen – insbesondere Kinder – dürfen gar nicht erst gezwungen sein, ihr Leben auf gefährlichen Fluchtrouten zu riskieren." 

 

IRC in Triest