Die letzten zwei Wochen markieren einen Wendepunkt in Syrien. Möglicherweise bieten sie ein neues, hoffnungsvolles Kapitel für mehr als 16 Millionen Menschen, die im Land auf humanitäre Hilfe angewiesen sind. Dazu kommen die über fünf Millionen syrischen Geflüchteten, die in Nachbarländern leben.

Es bleibt abzuwarten, ob diese neue Realität es den Syrer*innen ermöglichen wird, ihr Leben in Syrien wieder aufzubauen oder eine Verschlechterung der Krise bevorsteht. Die jüngsten Kampfhandlungen im Nordwesten sind nach aktuellem Stand weitgehend beendet. Jedoch hält der Konflikt im Nordosten an und behindert unsere Teams dabei, die Bevölkerung dort zu erreichen.

Die Situation entwickelt sich weiterhin rasant und der humanitäre Bedarf in ganz Syrien ist so hoch wie nie zuvor. International Rescue Committee (IRC) ruft alle Konfliktparteien auf, ihren Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht nachzukommen. In dieser unsicheren Zeit muss es für alle Parteien Priorität haben, die Zivilbevölkerung zu schützen und einen ungehinderten Zugang zu humanitärer Hilfe gewährleisten.

Nach mehr als 13 Jahren Konflikt ist die humanitäre Lage in Syrien heute katastrophal. Millionen Menschen wurden mehrfach vertrieben und leben mit lebensverändernden körperlichen und emotionalen Traumata. Der Konflikt hat die Infrastruktur massiv beschädigt und den Zugang zu grundlegenden Dienstleistungen stark eingeschränkt. Gleichzeitig ist die Wirtschaft im freien Fall und mehr als 90 Prozent der Bevölkerung lebt in Armut. Familien müssen unmögliche Entscheidungen zwischen Nahrung, Gesundheitsversorgung und Bildung treffen.

Für syrische Geflüchtete in den Nachbarländern bietet die Situation Hoffnung auf eine eventuelle Rückkehr. Unabhängig von den jüngsten Entwicklungen in Syrien muss bei allen Diskussionen über die Rückkehr von Geflüchteten immer im Mittelpunkt stehen, dass diese freiwillig, sicher und würdevoll ist. Menschen müssen diese Entscheidungen auf Basis aller erforderlichen Informationen treffen können. 

Die Lage in Syrien lässt nach jetzigem Stand keine Rückkehr in großem Umfang zu. Die Aufnahmeländer müssen weiterhin den Grundsatz der Nichtzurückweisung wahren und die Geberländer sollten sowohl die Geflüchteten selbst als auch die Aufnahmegemeinschaften weiterhin unterstützen.

Die Zukunft Syriens ist weiterhin mit erheblichen Unsicherheiten und Bedenken behaftet. Jedoch bieten die Ereignisse der letzten Wochen einen potenziellen Wendepunkt im Konflikt und damit die Möglichkeit, endlich bedeutende Fortschritte hin zu einer politischen Lösung der Krise zu erzielen.

Um eine weitere Verschlechterung der Lage in Syrien zu verhindern, ist nun ein rasches internationales Engagement erforderlich. Ziel muss ein friedlicher Übergang und die Etablierung eines politischen Prozesses sein, der zivilgesellschaftliche Gruppen und Vertreter*innen marginalisierter Gemeinschaften wirksam einbezieht.

IRC ruft alle Parteien dazu auf, sich für einen nachhaltigen Frieden einzusetzen. Nach 13 Jahren anhaltender Krise müssen Syrer*innen endlich selbst die Kontrolle über ihre Zukunft haben.

David Miliband, Präsident und CEO von IRC, sagt: „Die Entwicklungen in Syrien sind ein verheerender Beweis dafür, dass kein Staat durch menschliches Leid, Massenvertreibungen und die systematische Tötung von Zivilist*innen dauerhaft bestehen kann. IRC-Kolleg*innen, die seit zwölf Jahren in Syrien arbeiten, haben die Auswirkungen des Konflikts aus erster Hand miterlebt. Die wichtigsten nationalen Akteure und die internationale Gemeinschaft haben jetzt eine wichtige Verantwortung. An erster Stelle muss stehen, dass gefährdete Gruppen geschützt werden. Wir fordern alle Länder, in denen geflüchtete Syrer*innen leben, auf, den Grundsatz der sicheren und freiwilligen Rückkehr zu respektieren. Die vielfältige Bevölkerung Syriens wird jetzt gebraucht, aber muss ihre Zukunft selbst entscheiden können.“