Athen, Griechenland, 16. September 2022 — Ein Jahr nach dem Machtwechsel in Afghanistan zeigt ein neuer Bericht von International Rescue Committee die vielen Hürden, die geflüchtete Afghan*innen in Griechenland überwinden müssen.
Aufgrund der sich verschärfenden humanitären Krise in Afghanistan haben mehr als zwei Millionen Menschen Zuflucht in den Nachbarländern gesucht. Während mehr als 90% der Vertriebenen in der Region geblieben sind, hat ein kleiner Teil in Europa Asyl beantragt. Im Jahr 2022 stellen Afghan*innen nach Ukrainer*innen die zweitgrößte Gruppe von Asylbewerber*innen in der EU dar.
Die bisherigen Erkenntnisse von IRC in Griechenland zeigen, dass afghanische Geflüchtete und Asylbewerber*innen in diesem Land auf viele Hindernisse stoßen. Vorallem wenn es darum geht, Schutz und die Unterstützung zu erhalten, die sie für den Wiederaufbau ihres Lebens benötigen. Sie berichten häufig von gewaltsamen Zurückweisungen an den griechischen Grenzen sowie komplexen und restriktiven Verfahren, die ihr Recht auf Asyl gefährden. Außerdem sprechen sie von menschenwürdigen Aufnahmebedingungen, mangelndem Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung sowie der Zurückhaltung von erforderlichen rechtlichen Dokumenten, um ihre Integration in den Arbeits- und Wohnungsmarkt zu erleichtern.
Diese Eindämmungs - und Abschreckungspolitik hat zu einer Krise der psychischen Gesundheit der Afghan*innen in Griechenland geführt. Von den 192 afghanischen Geflüchteten und Asylbewerber*innen, die zwischen April 2021 und März 2022 von IRC-Teams in Griechenland betreut wurden, berichteten 97% über Symptome von Depressionen, während 50% Selbstmordgedanken hatten.
IRC fordert die griechische Regierung auf, schutzsuchende Afghan*innen stärker zu fördern, indem sie umgehend den Zugang zu vollständigen und fairen Asylverfahren sowie humane Integrationshilfe vom Tag ihrer Ankunft an gewährleistet.
Lesen Sie den vollständigen Bericht hier.
Mojdeh*, eine 26-jährige Frau aus Afghanistan, die in Athen lebt, erzählt:
„Meine Tochter geht erst seit zwei Monaten zur Schule. Wir sind alle in Rückstand geraten. (...) Allein in einem Monat sind wir viermal umgezogen, so dass meine Tochter auch jedes Mal die Schule wechseln musste. (...) Ich möchte arbeiten, die Sprache lernen und ein ganz normales Haus haben, um meiner Tochter und mir eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Dies ist ein gutes Land, hier gibt es keinen Krieg. Ich möchte bleiben, aber ich bin schon seit vier Jahren ohne Papiere hier. Die Regierung schützt und unterstützt mich nicht. Wenn ich könnte, würde ich hier bleiben und mir das beste Leben aufbauen und der Regierung etwas zurückgeben, aber die Menschen verlassen dieses Land nicht ohne Grund.“
Dimitra Kalogeropoulou, Landesdirektorin IRC Griechenland, sagt:
„Viele Afghan*innen, die vor Konflikten und Verfolgung in ihrem eigenen Land fliehen, glauben, dass sich ihre Situation mit der Ankunft in Europa ändert. Wie unser neuester Bericht zeigt, ist dies leider nicht der Fall. Die Menschen werden mit der traurigen Realität konfrontiert, dass sie an den griechischen Grenzen gewaltsam zurückgedrängt werden. Zudem leben sie Monate oder Jahre in der Angst, in die Türkei oder nach Afghanistan zurückgeschickt zu werden, wo ihnen unvorstellbares Grauen droht. Sie fürchten, längere Zeit in gefängnisähnlichen Einrichtungen fernab der Städte gefangen gehalten zu werden und mangelnde Unterstützung für den Wiederaufbau ihres Lebens.
Die griechische Regierung kann und muss mehr unternehmen, um afghanischen Asylbewerber*innen und Geflüchteten eine bessere Zukunft in Griechenland zu bieten. Alle Personen, die in Griechenland Schutz suchen, müssen die erforderlichen Dokumente erhalten, um Zugang zum Arbeitsmarkt, zur Gesundheitsversorgung und Sozialleistungen zu erhalten, damit sie auf eigenen Füßen stehen können. Die Menschen müssen dabei bei der Integration ab dem ersten Tag unterstützt werden - und zwar durch Griechischunterricht, psychosoziale Betreuung und Zugang zu gemeindenahen Unterkünften, Bildung und Gesundheitsversorgung. Die griechischen Behörden haben die Menschen aus Afghanistan zu lange im Stich gelassen. Es ist an der Zeit, für die Sicherheit und Stabilität zu sorgen, die alle Geflüchteten dringend benötigen. Denn nur so können sie eine Fülle an wertvollen Fähigkeiten und Erfahrungen in die Aufnahmegemeinschaften einbringen.”
Imogen Sudbery, IRC-Direktorin Policy & Advocacy Europe, berichtet:
„Es ist erschreckend, dass die europäische Unterstützung für Menschen, die gezwungen sind ihr Heimatland Afghanistan zu verlassen, im letzten Jahr deutlich nachgelassen hat. Kurz nach dem Regimewechsel im Oktober und November 2021 erhielten mehr als 90% der Afghan*innen, die in der EU einen Asylantrag gestellt hatten, einen positiven Bescheid. Als die meisten Notevakuierungen ausliefen, sank diese Zahl im Mai 2022 auf nur noch 53%. Da der Bedarf an humanitärer Hilfe in Afghanistan weiter ansteigt, haben die EU-Länder die Pflicht, ihre Unterstützung zu verstärken und dafür zu sorgen, dass alle Menschen auf der Flucht und ihre Rechte geschützt werden - unabhängig davon, wie sie nach Europa gelangen.
Mehr als 75.000 Menschen, die aus der Ukraine geflohen sind, sind in diesem Jahr in Griechenland angekommen. Der Einsatz der EU und der griechischen Regierung für diese Neuankömmlinge zeigt, dass sie in der Lage sind, Menschen mit Würde und Menschlichkeit zu empfangen, wenn eine politische Entscheidung dafür getroffen wurde. Jetzt fordern wir Griechenland auf, die mehr als 37.600 Geflüchteten und Asylbewerber*innen aus Afghanistan und Menschen, die aufgrund von anderen Konflikten weltweit gezwungen sind, ihre Heimat zu verlassen, in ähnlicher Weise willkommen zu heißen."
* Name zum Schutz geändert.