Berlin, 24. April 2024 — Das Bundesaufnahmeprogramm für Afghanistan (BAP) läuft seit Oktober 2022 und hat für diesen Zeitraum die Aufnahme von bis zu 18.000 Afghan*innen zugesagt, die aufgrund ihrer Tätigkeit oder ihrer Identität individuell gefährdet sind oder verfolgt werden. Doch nach knapp 1,5 Jahren Laufzeit sind bisher erst 350 Afghan*innen über das BAP in Deutschland angekommen. Dabei können funktionierende, humanitäre Aufnahmeprogramme eine sinnvolle und sichere Ergänzung zum Recht auf die Asylsuche in Deutschland sein.
Ein neuer Bericht von International Rescue Committee (IRC) gibt Einblicke aus der Begleitung von Schutzbedürftigen im BAP und teilt Empfehlungen für die menschenwürdige, transparente und effiziente Aufnahme schutzbedürftiger Menschen weltweit.
Durch die Umsetzung dieser Empfehlungen kann das BAP bis zum Ende der Laufzeit Ende 2025 noch zum Erfolg werden:
- Beteiligung der Zivilgesellschaft: Zivilgesellschaftliche Organisationen, die an der Umsetzung von Aufnahmeprogrammen beteiligt sind, müssen bereits in deren Planung involviert werden. Ihre Beteiligung setzt sowohl eine angemessene Finanzierung als auch die Bereitstellung von Informationen und ausreichend Ressourcen voraus.
- Entwicklung von Kriterien für die Aufnahme: Expert*innen mit Landeskentnissen sollten die Ausarbeitung von Zugangsvoraussetzungen für Aufnahmeprogramme begleiten. Benötigte Unterlagen müssen einfach und mehrsprachig zugänglich sein. Ein festgelegtes Aufnahmekontingent von Aufnahmeprogrammen sollte auf Folgemonate übertragbar sein, damit ungenutzte Aufnahmekontingente nicht verfallen.
- Verfahrensschritte und Verfahrensdauer: Die einzelnen Verfahrensschritte und Dauer von Aufnahmeprogrammen müssen allen Beteiligten bekannt sein. Schutzsuchende sollen nicht über ungeklärte Zeiträume in prekären Situationen verbleiben. Informationen zu möglichen Verzögerungen sollten für Schutzbedürftige und die fallbegleitende Zivilgesellschaft einsehbar sein. Je geringer die Anzahl involvierter Akteur*innen in einem Aufnahmeprogramm, desto einfacher und schneller können Verfahren umgesetzt werden.
- Digitale Fallbearbeitung: Eine Digitalisierung von Aufnahmeprogrammen erleichtert und beschleunigt die Fallbearbeitung aus der Ferne, insbesondere wenn es im Land, aus dem Schutzbedürftige aufgenommen werden, keine konsularische Repräsentanz des Aufnahmelandes gibt. Schutzsuchenden ohne digitalen Zugang sollten analoge Alternativen zur Verfügung gestellt werden.
- Finanzierung und Ausreise: Ressourcen für die Ausreise von Schutzsuchenden und ihre Unterbringung und Verpflegung müssen bereitgestellt werden. Das Aufnahmeland sollte möglichst flexibel auf Veränderungen der örtlichen und politischen Gegebenheiten reagieren können, insbesondere wenn die Aufnahme über ein Drittland erfolgt. Die Kosten für Visa und Ausreise sollten nicht zulasten der Schutzbedürftigen gehen.
- Schutz für vulnerable Gruppen: Es bedarf besonderer Unterstützung und alternativen Lösungen für vulnerable Gruppen im Hinblick auf Hürden wie die Beschaffung von Reisepässen und Visa für Transitländer oder eingeschränkte Ausreisemöglichkeiten. Auch der exklusive Zugang zu Programmen über meldeberechtigte Stellen oder das Ausfüllen eines komplexen Fragebogens kann eine unüberwindbare Hürde sein.
- Information für die Öffentlichkeit: Die Regierung des Aufnahmelandes hat die Verantwortung, die Öffentlichkeit angemessen über ein Aufnahmeprogramm in Kenntnis zu setzen. Auf negative Berichterstattung sollte korrigierend reagiert werden, sodass die Umsetzung des Programms nicht negativ betroffen wird.
Corina Pfitzner, Geschäftsführerin von IRC Deutschland, kommentiert:
,,Wir begrüßen, dass die Bundesregierung mit dem Bundesaufnahmeprogramm ein wichtiges Signal ihrer Verantwortung für die afghanische Zivilbevölkerung gesetzt hat. Genauso wichtig ist es auch, dass Aufnahmeprogramme menschenwürdig, transparent und effizient umgesetzt werden.
Der heute veröffentlichte IRC-Bericht ist wegweisend – er enthält Handlungsweisen für die Umsetzung von Aufnahmeprogrammen weltweit. Dies ist in Zeiten zunehmender Krisen, Kriege und Katastrophen und damit einer steigenden Anzahl an schutzbedürftigen Menschen weltweit von entscheidender Bedeutung. Das Recht auf Asylsuche in Deutschland ist unverrückbar. Durch die menschenwürdige, effektive und solidarische Umsetzung von Aufnahmeprogrammen erfüllen wir nicht nur unsere humanitäre Verantwortung, sondern folgen auch unserem moralischen Imperativ.”
IRC-Klient*innen1 des Bundesaufnahmeprogramms für Afghanistan berichten
Es war sehr schwierig, eine gültige und echte Adresse für das Programm zu finden. Insbesondere nach dem Machtwechsel wurde das Land für die viele Menschen unsicherer und sie wollten Asyl beantragen. In dieser Zeit gab es viele gefälschte Adressen und Links. Diese stellen sogar eine Gefahr für die Antragstellenden dar, weil sie diesen Adressen vertrauten und alle Dokumente und Informationen über sich selbst übermittelten. - Zainab*
Menschen, die in Deutschland ankommen, sollten nicht an Orte geschickt werden, wo sie kein Unterstützungssystem und keinen Zugang zu ihren Grundversorgung haben. Das betrifft besonders alleinstehende Frauen. Ankommende sollten in den ersten Tagen nach ihrer Ankunft finanziell unterstützt werden. Die meisten Menschen haben kein Geld, um sich mit Lebensmitteln selbst zu versorgen, bis sie ein Bankkonto eröffnen und Geld von den Jobcentern erhalten. Das ist oft ein sehr langer Prozess. - Sunita
Menschen in Afghanistan, die für das Programm in Frage kommen, haben keinen Zugang zu einigen der erforderlichen Dokumente, weil sie in Afghanistan versteckt leben müssen. Wir brauchen einfachere Wege für diese Menschen. - Abdul
1Aus Sicherheitsgründen sind die Namen der IRC-Klient*innen teilweise anonymisiert.