Khartum, Sudan, 15. Mai 2024 — In Sudan herrscht eine verheerende humanitäre Krise, die sich rapide verschlimmert. International Rescue Committee (IRC) und 92 humanitäre, zivilgesellschaftliche und Menschenrechtsorganisationen und Mitglieder der #KeepItOn-Koalition fordern die sofortige Wiederherstellung der Telekommunikationsinfrastruktur in ganz Sudan.
In Sudan herrscht derzeit die schlimmste Vertreibungskrise und eine der schlimmsten Hungerkrisen der Welt. Insgesamt ist mehr als die Hälfte der sudanesischen Bevölkerung – fast 25 Millionen Menschen – auf humanitäre Hilfe angewiesen. Der Konflikt und willkürliche Gewalt halten seit über einem Jahr an. In Sudan sind Häuser, Städte, Lebensgrundlagen und wichtige zivile Infrastrukturen zerstört.
Wahllose Angriffe und die Abschaltung der Telekommunikationsdienste durch die Konfliktparteien beeinträchtigen die Fähigkeit der Zivilbevölkerung, die Auswirkungen des Konflikts zu bewältigen. Auch die Bereitstellung humanitärer Hilfe ist betroffen: Besonders lokale Organisationen haben Schwierigkeiten, grundlegende Dienstleistungen für die Bevölkerung aufrechtzuerhalten. Beide Konfliktparteien haben wiederholt gezielt Angriffe auf die Telekommunikationsinfrastruktur verübt oder bürokratische Beschränkungen angeordnet, welche die Zivilbevölkerung schwer treffen. Dazu zählen z. B. das Verbot von Import und Nutzung bestimmter Satelliten-Internetgeräte.
Ein Internetzugang ist für die Zivilbevölkerung oftmals überlebenswichtig, um Informationen weiterzugeben und zu erhalten. Dazu gehören u. a. Informationen über sichere Gebiete und Wege oder die Möglichkeit, auf Bargeld bzw. mobile Bankanwendungen und Überweisungen zuzugreifen. Für viele ist der Zugang zum Internet die einzige Möglichkeit, finanzielle Unterstützung von Verwandten aus dem Ausland zu erhalten, um grundlegende Güter wie Lebensmittel und Wasser zu kaufen. Lokale Hilfsorganisationen, die in den meisten konfliktbetroffenen Teilen des Landes zuerst und hauptsächlich Hilfe leisten, sind auf Telekommunikationsdienste angewiesen. Nur so können betroffene Gemeinden erreicht werden und finanzielle Mittel für lebenswichtigen Maßnahmen übermittelt werden. In Gebieten, in denen die offizielle Telekommunikation kaum funktioniert, verbinden sich Zivilist*innen und lokale Hilfskräfte, wie z. B. die Emergency Response Rooms (ERRs), oft über informelle Starlink-Internetcafés. Humanitäre Organisationen sind auch auf eine funktionierende Telekommunikation angewiesen, um Hilfsmaßnahmen sicher zu koordinieren und durchzuführen, insbesondere um Bargeldhilfe in abgelegenen Regionen anbieten zu können.
Telekommunikationsdienste wurden im Februar 2024 landesweit abgeschaltet. Fast 30 Millionen Sudanes*innen hatten mehr als einen Monat lang keinen Zugang zum Internet oder Telefonnetz. Überall im Land erleben Menschen die verheerenden Folgen des Krieges. Sie wurden von ihren Familien und Angehörigen getrennt und können auch keinen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Im Osten des Landes konnte ein Teil der Dienste wiederhergestellt werden. Doch nach wie vor sind große Teile des Landes von Netzanbietern wie Zain, MTN und Sudani abgeschnitten. Dazu zählen insbesondere die Region Darfur sowie Teile von Khartum und Kordofan. Diese Gebiete sind gleichzeitig auch am stärksten von Konflikten und Hungersnot bedroht. Umso schwerwiegender sind hier die Folgen eines Ausfalls der Telekommunikation.
In einigen Gebieten, die von der allgemeinen Telekommunikation abgeschnitten sind, ist der einzige verfügbare Zugang über Satellitenverbindungen wie Starlink. Die Kosten solcher Satellitendienste sind für die meisten Zivilist*innen unerschwinglich. Zeitgleich gibt es erhebliche Beschränkungen für die Einfuhr von Satellitenausrüstung. Diese Dienste sind für internationale humanitäre Organisationen und lokale Helfende unerlässlich, um ihre Aktivitäten in Sudan fortführen zu können. Nach wie vor gibt es berechtigte Bedenken hinsichtlich der Nutzung dieser Technologien und anderer Telekommunikationssysteme durch Konfliktparteien. Trotzdem hätte die mögliche Abschaltung von Starlink (wie im April 2024 angekündigt wurde) unverhältnismäßige Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung und Hilfsorganisationen.
- Wir rufen alle beteiligten Akteur*innen dazu auf, die Bereitstellung von Telekommunikationsdiensten im Sudan wiederherzustellen und dauerhaft aufrechtzuerhalten. Jegliche Abschaltung und Unterbrechung von Telekommunikationsdiensten ist eine Verletzung der Menschenrechte und kann als eine kollektive Bestrafung betrachtet werden. Eine Abschaltung isoliert nicht nur Einzelpersonen von ihrem sozialen Umfeld, sondern verschlimmert die ohnehin katastrophale wirtschaftliche Lage von Millionen Menschen.
- Telekommunikationsinfrastruktur gehört zur kritischen zivilen Infrastruktur. Konfliktparteien dürfen diese Telekommunikationsinfrastruktur weder angreifen, zerstören, beschädigen noch anderweitig funktionsunfähig machen. Sie müssen die Wiederherstellung beschädigter Systeme ermöglichen und sicherstellen, sodass Telekommunikationsdienste für alle Menschen unabhängig vom Wohnort zugänglich sind. Zudem sollten die Beschränkungen für das Satelliteninternet aufgehoben werden und die Einfuhr von Satelliten-Internetgeräten von den Konfliktparteien aktiv unterstützt werden.
- Alle beteiligten Anbieter müssen sofort sicherstellen, dass der Internetzugang ohne Unterbrechung oder zusätzliche Kosten für alle zugänglich bleibt. Dazu gehört auch die Diversifizierung der Zugangsmöglichkeiten zum Internet, z. B. durch Lösungen, die auf der Satelliten- (u.a. Starlink) und WiMAX-Technologie basieren, oder die Verwendung von e-SIMs in der Nähe der Landesgrenzen.
- Geber der Entwicklungszusammenarbeit sowie Finanzinstitutionen sollten die Entwicklung des Telekommunikationssektors längerfristig unterstützen. Dezentrale Infrastrukturen müssen gefördert und Hürden für kleinere Unternehmen beim Zugang zum Telekommunikationsmarkt abgebaut werden.
- Die Vereinten Nationen müssen über das Emergency Telecommunications Cluster dringend die Notfall-Telekommunikationskapazitäten in Darfur und Kordofan erhöhen. Der Zugang zu diesen Diensten muss für alle humanitären Akteur*innen gewährleistet sein. Auch die Zivilbevölkerung sollte Zugang dazu erhalten, bis sie auf andere Optionen ausweichen können.
Unterzeichnende Organisationen:
1. Access Now
2. Action Against Hunger
3. ADRA
4. African Centre for Justice and Peace Studies
5. African Freedom of Expression Exchange (AFEX)
6. Africa Media and Information Technology Initiative (AfriMITI)
7. African Middle Eastern Leadership Project (AMEL)
8. AfricTivistes
9. AISPO
10. Almostagball for Enlightenment and Development Organization (AEDO)
11. Bloggers Association of Kenya (BAKE)
12. Blueprint for Free Speech
13. CAFOD
14. CARE
15. Center for Advancement of Rights and Democracy (CARD Ethiopia)
16. Coalition for Darfur Women Human Rights Defenders
17. Collaboration on International ICT Policy for East and Southern Africa (CIPESA)
18. Computech Institute
19. Connect Rurals
20. Cooperazione Internazionale
21. Danish Refugee Council
22. Digital Grassroots (DIGRA)
23. Digital Rights Kashmir
24. Digital Rights Lab - Sudan
25. EMERGENCY NGO
26. Fikra for Studies and Development
27. Free Press Unlimited
28. Global Digital Inclusion Partnership (GDIP)
29. Global Programming Overseas
30. Guardians Organization
31. Hopes & Actions Foundation
32. Humanitarian Aid Relief Trust
33. Humanity for Development & Prosperity Organization
34. Human Rights Journalists Network Nigeria
35. International Bar Association’s Human Rights Institute
36. International Press Institute
37. International Rescue Committee
38. International Medical Committee
39. Intersos
40. Islamic Relief Worldwide
41. JCA-NET(Japan)
42. Jonction
43. Kandoo
44. KICTANet
45. Kijiji Yeetu
46. LastMile4D
47. Life campaign to abolish the death sentence in Kurdistan
48. LM International
49. Medair
50. Media Diversity Institute - Armenia
51. Media Foundation for West Africa (MFWA)
52. Mercy Corps
53. Miaan Group
54. Nobel Women’s Initiative
55. Nonviolent Peaceforce
56. Nora Center for Combating Sexual Violence
57. Norwegian Church Aid
58. Norwegian Refugee Council
59. ONG Women Be Free
60. OONI (Open Observatory of Network Interference)
61. OpenNet Africa
62. Organization of the Justice Campaign
63. PAEMA
64. Paradigm Initiative
65. PEN America
66. Plan International
67. Premiere Urgence International
68. Presbyterian Church (USA) Office of Public Witness
69. Refugees International
70. Regional Coalition for Women Human Rights Defenders in Southwest Asia and North Africa
71. Rights for Peace
72. Saferworld
73. Solidarites International
74. Southeast Asia Freedom of Expression Network (SAFEnet)
75. Strategic Initiative for Women in the Horn of Africa (SIHA)
76. Sudanese American Public Affairs Association
77. Sudan Human Rights Network
78. Sudan Peace & Security Monitor
79. Sudan Women Rights Action
80. The Circle
81. The Tor Project
82. Tomorrow’s Smile Organization
83. Ubunteam
84. United Nations Association – UK
85. US-Educated Sudanese Association (USESA)
86. Voices for Interactive Choice and Empowerment (VOICE)
87. Waging Peace
88. Women’s International Peace Centre
89. World Vision International
90. YODET
91. Youths and Environmental Advocacy Centre (YEAC-Nigeria)
92. Zaina Foundation