Anlässlich des Weltkindertags ruft International Rescue Committee (IRC) die Bundesregierung dazu auf, Bildungschancen für geflüchtete Kinder in Deutschland zu fördern - insbesondere im frühkindlichen Bereich. Dabei bedeuten Tagespflege und Kita mehr als nur Betreuung, um Sorgeberechtigte zu entlasten: Hier werden die Grundsteine für eine soziale und emotionale Entwicklung und für gesellschaftliche Teilhabe gelegt.  

IRC fordert die Bundesregierung, Länder und Kommunen dazu auf: 

  1. Der Kita-Platzknappheit entgegen zu wirken. Dafür muss in erster Linie dem Fachkräftemangel begegnet werden. Es muss attraktiver werden, in Kitas zu arbeiten. Gleichzeitig müssen im Ausland erworbene Abschlüsse schneller anerkannt werden, sodass pädagogische Fachkräfte aus dem Ausland schneller in den deutschen Arbeitsmarkt integriert werden können und das Fachpersonal an Kitas auch die Diversität der deutschen Gesellschaft abbildet. 
  2. Die Zugangsbarrieren für geflüchtete Kinder und Familien abzubauen. Mehrsprachiges Informationsmaterial muss zur Verfügung gestellt und einfach zugängliche Beratungsangebote etabliert werden. Kita-Plätze sollten nicht aufgrund persönlichen Kontakts vergeben werden, sondern allen – beispielsweise durch digitalisierte Platzvergabe – die gleichen Chancen einräumen. Es braucht einen unmittelbaren Betreuungsanspruch noch vor Zuweisung zu einer Kommune, sodass geflüchtete Kinder von Anfang an eine Kita besuchen können - unabhängig vom rechtlichen Status und von der Bleibeperspektive.  
  3. Die Zugehörigkeit geflüchteter Kinder und Eltern in der Kita zu fördern. Maßnahmen und Gesetzesvorhaben, die für eine inklusivere Bildungspolitik geschaffen werden, dürfen Diversität nicht nur in Hinblick auf Sprache und Sprachförderung verstehen. Sie müssen den aufgrund unterschiedlicher Aspekte erschwerten Zugang für geflüchtete oder migrierte Familien im Blick haben, genauso wie die rassismuskritische Ausbildung von Fachkräften, die Notwendigkeit multiprofessioneller Teams und den Bedarf an diversitätssensiblem Material und Spielzeug einbeziehen. Projekte, die bereits jetzt durch Unterstützungsstrukturen versuchen, ganzheitliche Ansätze in der Bildung zu finden, müssen verstetigt und ausgebaut werden. 

Der Gesetzgeber hat die Wichtigkeit der Kindertagesbetreuung nicht zuletzt durch den vor nun zehn Jahren eingeführten Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz nach Vollendung des ersten Lebensjahres anerkannt. Doch hakt es an der Umsetzung: deutschlandweit fehlen rund 378.000 Kitaplätze - nicht zuletzt aufgrund der rund 100.000 fehlenden Fachkräfte. Bei dieser Platzknappheit haben es neuzugewanderte Familien besonders schwer einen Kitaplatz zu finden.  

Die Anzahl von Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte in Deutschland, wie auch in Kitas nimmt zu, dennoch besuchen Kinder mit Migrationshintergrund deutlich seltener eine Kita als Kinder ohne Migrationshintergrund. In der Altersgruppe der Drei- bis Sechsjährigen besucht fast jedes Kind ohne Migrationshintergrund eine Kita. Bei Kindern derselben Altersgruppe mit Migrationshintergrund sind es nur vier von fünf Kindern - 18% weniger. Auf mangelndes Interesse an einem Kitaplatz geht diese Differenz nicht zurück. 

Wenn neuzugewanderte Kinder einen Kitaplatz bekommen, sind die Einrichtungen oft nicht hinreichend auf ihre Bedürfnisse eingestellt: 22% aller Kinder in Kitas sprechen in ihrer Familie eine andere Sprache als Deutsch. Doch sind viele Fachkräfte im Umgang mit Mehrsprachigkeit nach Recherchen des Deutschen Jugendinstituts überfordert. Jenseits von Sprachbarrieren gibt es weitere Schwierigkeiten: Zwar unterstützen viele Kitas diversitätssensible Ansätze, es fehlen oftmals jedoch das konkrete Wissen, die zeitlichen und personellen Kapazitäten sowie die nötigen Methoden, um diese umzusetzen. 

IRC begrüßt bundesweite Bestrebungen wie das Kita-Qualitätsgesetz oder auch das Sprach-Kita-Programm, um auf die besonderen Bedürfnisse migrierter und geflüchteter Familien zu reagieren. Doch während das Sprach-Kita-Programm trotz massiver Kritik nicht mehr vom Bund gefördert wird, berücksichtigen das Kita-Qualitätsgesetz und der zugehörige Monitoring-Bericht Diversität ausschließlich hinsichtlich Mehrsprachigkeit, ohne Berücksichtigung weiterer Herausforderungen – wie zum Beispiel der Umgang mit traumatischen Erfahrungen oder besondere Unterstützungsbedarfe geflüchteter Kinder. 

IRC fordert daher Bund, Länder und Kommunen auf, die besonderen Bedürfnissen neuzugewandeter Familien im Zugang zu frühkindlicher Bildung zu berücksichtigen, allen Kindern gleichberechtigt Zugang zur Kita zu ermöglichen und sicherzustellen, dass migrierte und geflüchtete Kinder eine diversitätssensible Betreuung und Bildung erhalten.  

Lisa Küchenhoff, Gesamtleitung Deutsche Programme bei IRC, kommentiert: 

,,Der Zugang zu Bildung muss allen Kindern in Deutschland gleichsam ermöglicht werden. Bei allen Bestrebungen, die Bund, Länder sowie Kommunen unternehmen, um der großen Kita-Platzknappheit zu begegnen, wird politisch noch zu wenig auf die Bedürfnisse von migrierten und geflüchteten Familien eingegangen.  

Die Realität unserer pluralen und postmigrantischen Gesellschaft muss sich auch in unserer Bildungslandschaft wiederfinden – gerade auch im frühkindlichen Bereich. Kinder aus asylsuchenden Familien werden zunächst in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht und haben oftmals erst nach einer Zuweisung zur Kommune überhaupt rechtlichen und faktischen Zugang zu einer Kita. So verlieren Kinder wertvolle Bildungszeit und die Möglichkeit, in einem sicheren Umfeld anzukommen und sich zu entwickeln. Darüber hinaus sind die in vielen Bundesländern anfallenden Kosten oder fehlendes Wissen darüber, wie Kosten erstattet werden können, ein großes Hindernis. Oft fehlt es auch an zugänglichen, mehrsprachigen Informationen und Beratung: Welche Kitas gibt es? Wie kann ich mich auf einen Platz bewerben? Was braucht es dafür und wann muss ich mich kümmern? Für Familien, die neu nach Deutschland kommen, ist das System oft ein undurchschaubarer Irrgraten. Auch gibt es Indizien, dass es bei der Platzvergabe zu Diskriminierung kommt. 

Es braucht ein politisches Signal, dass migrierte und geflüchtete Kinder in ihrer Teilhabe im Einwanderungsland Deutschland in der Kita durch diversitätssensible Ansätze bestärkt werden. Dabei sollte die Bundespolitik die rechtlichen und finanziellen Möglichkeiten schaffen, damit Länder und Kommunen sowohl mehr Kitaplätze bereitstellen als auch Zugangsbarrieren abbauen. 

Gesellschaftliche Teilhabe fängt bei den Jüngsten an - im Einwanderungsland Deutschland bedarf es daher mehr politischer Aufmerksamkeit und Unterstützung, damit alle Kinder ihr Recht auf Bildung ausleben können.”  

 

IRC Programmarbeit in Deutschland 

IRC Deutschland engagiert sich bundesweit in den Programmbereichen Bildung, Beruf & Orientierung, Schutz & Teilhabe sowie Schutz & Rechtsberatung. Damit stärkt IRC nach Deutschland gekommene Personen, um ein selbstbestimmtes Leben zu führen, ihre Rechte zu kennen und zu nutzen, informierte Entscheidungen zu treffen sowie gesellschaftlich teilzuhaben. Im Bereich Bildung liegt der Fokus insbesondere auf der Schaffung einer sicheren Lernumgebung für geflüchtete Kinder und der Stärkung ihrer sozial-emotionalen Fähigkeiten, sodass sie sich in Kita und Schule schnell sicher und wohlfühlen und sich altersgerecht entwickeln können. Hier können Sie mehr über die Arbeit von IRC Deutschland im Bildungsbereich erfahren.