Die Winterbedingungen im gesamten Nahen Osten verschärfen sich und bedrohen das Leben der Menschen in GazaLibanon und Syrien, warnt International Rescue Committee (IRC). Starke Regenfälle, sinkende Temperaturen und weit verbreitete Zerstörungen durch die anhaltenden Feindseligkeiten bringen Millionen Menschen in Gefahr. Der Mangel an angemessenen Unterkünften, die zunehmenden Gesundheitsrisiken und schwere Winterbedingungen erfordern dringend ungehinderten Zugang für humanitäre Hilfe, eine Aufstockung der Mittel und ein dauerhaftes Ende der Feindseligkeiten in der Region.

Gaza: Unzureichende Hilfe erschwert Überleben, aber Waffenstillstand gibt Hoffnung auf Ausweitung der humanitären Hilfe

Gesundheitsexpert*innen von IRC in Gaza führen die Zunahme von Atemwegserkrankungen bei Kindern auf das raue Wetter, die beengten Wohnverhältnisse und die begrenzten Heizungsmöglichkeiten zurück. Frühgeborene und Babys mit geringem Geburtsgewicht sind besonders gefährdet. 

Gravierende Brennstoffmangels führen weiterhin zu Stromausfällen. Diese gefährden Patient*innen und Neugeborene in den Krankenhäusern, die mit minimaler Generatorleistung arbeiten. Die Hilfslieferungen nach dem Waffenstillstand vom 19. Januar sind der erste entscheidende Schritt zur Linderung des immensen Leids. Diese Bemühungen müssen fortgesetzt werden, um die Versorgung der betroffenen Bevölkerung mit lebenswichtigen Ressourcen sicherzustellen, einschließlich Treibstoff und medizinischer Versorgung.

Sama, ein 11-jähriges Kind, das in Khan Younis lebt, sagt: „Meine Familie und ich wurden durch starke Regenfälle in unserem Zelt überflutet. Wir hatten auch keine Decken, um uns warm zu halten und suchten Schutz in unserem Auto. Ich hoffe von ganzem Herzen, dass ich warme Kleidung bekomme, damit ich den Winter überstehen kann.“ 

Judy, ein 9-jähriges Kind in Khan Younis, fügt hinzu: „Meine Schwester hat Asthma, und bei dieser Kälte werden wir alle krank. Wir haben weder warme Kleidung noch Decken, um uns zu schützen.“

Faten Abu Mousa, IRC-Managerin für Kinderschutz für das besetzte palästinensische Gebiet, kommentiert: „Der Winter in Gaza war schon immer hart, aber das Leid dieses Jahr übersteigt die Vorstellungskraft der vertriebenen Familien. Es ist für sie äußerst schwierig, sich mit dem Nötigsten zu versorgen und Winterkleidung zu bekommen. Dort wo Winterkleidung auf dem Markt erhältlich ist, sind die Preise unerschwinglich.”

In ganz Gaza leidet die Zivilbevölkerung unter den Folgen der anhaltenden Beschränkungen für Hilfsgüter wie Nahrungsmittel, medizinische Versorgung und sauberes Wasser, die nun durch die brutalen Winterbedingungen noch verschärft werden. IRC fordert alle Parteien auf, sich an das Waffenstillstandsabkommen zu halten. Alle sicherheitspolitischen und bürokratischen Hindernisse für die Lieferung von Hilfsgütern nach Gaza sollten unverzüglich beseitigt werden. 

Libanon: Waffenstillstand reduziert Kampfhandlungen, doch humanitärer Bedarf besteht weiter

Nach der Verlängerung des Waffenstillstandsabkommens bis zum 18. Februar haben die Kampfhandlungen in Libanon deutlich nachgelassen. Der Bedarf an humanitärer Hilfe ist nach wie vor hoch. Viele Vertriebene sind in ihre Herkunftsgebiete zurückgekehrt. Doch aufgrund der weitreichenden Zerstörungen sind geeignete Unterkünfte oft nicht verfügbar. 

Seit Beginn des Waffenstillstands am 27. November 2024 wurden nach Angaben der Vereinten Nationen mindestens 50 Zivilist*innen durch israelische Angriffe getötet – darunter auch Menschen, die in ihre Häuser im Süden zurückkehren wollten. Die weit verbreiteten Schäden an der Infrastruktur, der eingeschränkte Zugang für humanitäre Hilfsorganisationen und die zerstörten Lebensgrundlagen stellen in Kombination mit den Winterbedingungen eine unerträgliche Belastung für die betroffenen Gemeinden dar.

IRC-Gesundheitsteams berichten von einer erhöhten Nachfrage in Gesundheitszentren, wo Bronchitis, Fieber und Grippe behandelt werden, die mit dem kalten Wetter zusammenhängen. Aufgrund der Wirtschaftskrise, die 2019 begann, sind Gesundheitszentren häufig mit kritischen Medikamentenengpässen konfrontiert. Die staatlichen Mittel für den Gesundheitssektor wurden nach Angaben des Ministeriums für öffentliche Gesundheit um 40 Prozent gekürzt. Außerdem wird es durch die Währungsabwertung immer schwieriger, Medikamente und Ausrüstung aus dem Ausland zu importieren. Diese Situation wurde durch die Eskalation der Feindseligkeiten im vergangenen Jahr noch verschärft, die zur Schließung von mehr als 50 Gesundheitszentren aufgrund von Schäden und Zerstörungen führte. 

Marwa, ein 35-jähriger syrischer Geflüchteter in Arsal, erzählt: „Wir verbrennen Plastik, um uns warm zu halten, aber die Dämpfe schaden unseren Kindern. Die Schuhe meiner Kinder schützen sie kaum, und wir können uns keinen Brennstoff zum Heizen leisten. Wir sind auf Decken angewiesen. Unsere Kinder gehen nicht mehr zur Schule, und wir haben Mühe, überhaupt etwas zu essen auf den Tisch zu bringen.”

Zeina, eine 30-jährige libanesische Mutter von drei Kindern in Baalbak, erklärt: „Unser Haus ist durch die jüngsten Eskalationen teilweise beschädigt. Im Winter haben wir keine Arbeit und wir brauchen dringend Brennstoff, Lebensmittel und Vorräte für den Winter. Wenn es regnet, dringt Wasser durch das Dach, was das Überleben für unsere Kinder noch erschwert.“ 

Syrien: Neue Übergangsregierung gibt Hoffnung, doch Bedarf an humanitärer Hilfe so groß wie nie zuvor

In Syrien hat mit dem Ende der Assad-geführten Regierung ein neues Kapitel für das Land begonnen. Dennoch sind nach wie vor Millionen Menschen im ganzen Land auf der Flucht: Nach mehr als 13 Jahren Konflikt und Krise sind etwa 16,7 Millionen Syrer*innen auf humanitäre Hilfe angewiesen – mehr als zuvor in der Geschichte des Landes.  

Im Nordwesten Syriens beobachten IRC-Teams eine Zunahme von grippeähnlichen Erkrankungen und schweren akuten Atemwegsinfektionen. Die Erfahrungen aus Gaza zeigen: Diese Trends sind auf unzureichende und überfüllte Lager – in denen immer noch mehr als zwei Millionen Menschen leben – sowie auf eine beschädigte Infrastruktur und begrenzte Heizungsmöglichkeiten zurückzuführen. Unterdessen geht der Konflikt im Nordosten des Landes weiter, wo Anfang des Monats wichtige Wasser- und Elektrizitätswerke durch Beschuss beschädigt wurden. In Nordost-Syrien haben mehr als 400.000 Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser und Strom. 

90 Prozent der syrischen Bevölkerung lebt in Armut und viele können es sich nicht leisten, sich warm zu halten. Familien sind auf verzweifelte Maßnahmen wie das Verbrennen von Pappe und anderen Abfällen oder persönlichen Gegenständen angewiesen, was ihre Gesundheit verschlechtern kann und dennoch keine angemessene Wärme liefert.

Hala*, eine Mutter von fünf Kindern in Nordsyrien, sagt: „Mein Haus hat keine Fenster und Türen und ist nicht ausreichend isoliert. Wenn es regnet, dringt Wasser in die Räume ein und verursacht ständiges Leid. Ich versuche, die Öffnungen mit Plastikplanen abzudecken, aber der Wind reißt sie weg. Der Rauch von brennenden, ungeeigneten Materialien schadet meinem Vierjährigen, aber wir haben keine andere Wärmequelle. Wenn wir unser gesamtes Einkommen für Brennstoff ausgeben, müssen wir hungern. 

Fatima*, 35, die mit ihren älteren Eltern und ihrer verwaisten Nichte zusammenlebt, fügt hinzu: „Wir wärmen uns mit Abfall, Pappe und allem, was wir zum Verbrennen finden können. Wir haben sogar unsere Habseligkeiten verbrannt, um warm zu bleiben. Ich suche im Abfall nach allem, was ich finden kann, um meine kranken Eltern zu wärmen, aber ihr Zustand verschlechtert sich durch den Rauch. Ich weiß nicht, was ich tun soll.“

Lokale Gemeinden und Hilfsorganisationen bemühen sich, die humanitäre Hilfe in der gesamten Region auszuweiten – einschließlich der Bereitstellung von Decken, Heizmaterial, Winterkleidung und medizinischer Versorgung. 

Zur Bewältigung der Winterkrise in der Region braucht es ein aufeinander abgestimmtes Vorgehen:

Ohne diese dringenden Maßnahmen werden Familien in Gaza, Libanon und Syrien – die alle auf der IRC-Watchlist 2025 als Länder aufgeführt sind, in denen das Risiko einer Verschlechterung der humanitären Bedingungen besteht – weiterhin den höchsten Preis für die Krise zahlen. Wir rufen Regierungen, Geber und alle Konfliktparteien auf, schnell und entschlossen zu handeln. Es muss sichergestellt werden, dass insbesondere Kinder, ältere Menschen und Vertriebene in diesem harten Winter und darüber hinaus geschützt sind.

IRC in Gaza, Libanon und Syrien