Berlin, 11. Juni 2020 — Ein neuer Bericht von International Rescue Committee (IRC) zeigt, dass häusliche Gewalt im Zuge von COVID-19 zu einer Schattenpandemie führt. Demnach hat ein Viertel der Frauen und Mädchen in Flüchtlingslagern in Cox's Bazar, Bangladesch, vor Beginn der COVID-19-Pandemie geschlechtsspezifische Gewalt erlebt. Besonders besorgniserregend dabei: Seit der Einführung von Kontakt- und Ausgangssperren zur Eindämmung von COVID-19 hat IRC 50 Prozent weniger berichtete Fälle häuslicher Gewalt verzeichnet – und das, obwohl die Gewalt zunimmt. Die Mehrheit von ihnen – nämlich 81 Prozent – berichteten, dass die Gewalt durch ihre Partner ausgeführt wurde.
Manish Agrawal, IRC-Landesdirektor für Bangladesch, sagt:
„Für Geflüchtete, die der Gefahr von Gewalt und Missbrauch ausgesetzt sind, ist der Ausbruch des Coronavirus eine zusätzliche Krise in der Krise. Der Kern des Problems ist die ungleiche Machtverteilung zwischen Männern und Frauen. Solche Diskrepanzen werden in Krisenzeiten immer verstärkt, bestehende Traumata und Sexismen nehmen zu, Frauen wird Unterstützung vorenthalten und der Stress wird durch wirtschaftlichen Druck noch verstärkt.”
IRC arbeitet deshalb nach wie vor intensiv an der Anpassung aller relevante Programme, zum Beispiel durch die weitere Öffnung von Schutzräumen. Vorschriften zur Einhaltung der Kontaktsperre, die Einrichtung von Handwaschstationen und Förderung von Hygienepraktiken wird gewährleistet. Die Betreuung von Überlebenden sexueller Übergriffe zum Beispiel im Rahmen von psychosozialer Unterstützung, Fallmanagement durch den Frauen- und Mädchensicherheitsraum sowie die klinische Versorgung, wurde zwar als „wesentlich” erachtet. Dennoch sind die Möglichkeiten für Frauen und Mädchen, Misshandlungen offen zu legen und eine angemessene Betreuung zu suchen, stark limitiert, solange die Frauen zu Hause bleiben müssen und nur sehr eingeschränkt auf Internet- und Telefondienste zurückgreifen können.
Trotz möglicher Stigmatisierung und Scham wurde im Rahmen der IRC-Untersuchung deutlich, dass 90 Prozent der Betroffenen die angebotene psychosoziale Unterstützung in Anspruch nahmen. Dies zeigt, wie wichtig diese Programme sind. Seit Beginn der Coronavirus-Pandemie wurde die Bewegungsfreiheit der Bewohner*innen der Flüchtlingslager in Cox Bazar jedoch erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus wurde versäumt, Programme zur Prävention und Reaktion auf geschlechtspezifische Gewalt als „wesentlichen Bestandteil” von Hilfsprogrammen einzustufen. Viele Angebote mussten eingestellt werden, sodass Frauen und Mädchen, die Unterstützung in einer sicheren Umgebung suchten, ihre Anlaufstellen für Hilfe verloren haben. Vorsorgemaßnamen zum Schutz potenziell Betroffener werden dadurch verhindert.
Um geschlechtsspezifische Gewalt in Cox's Bazar wirksamer anzugehen, empfiehlt IRC die
- Einstufung aller relevanten Dienste einschließlich der psychosozialen Unterstützung, des Fallmanagements durch Zentren für Frauen- und Mädchen sowie die klinische Betreuung von Überlebenden sexueller Übergriffe als„wesentlich”;
- Verdreifachung der Mittel für Programme zur Prävention und Reaktion auf geschlechtspezifische Gewalt;
- Beteiligung von Frauen und Mädchen bei der Gestaltung humanitärer Hilfe, damit ihren Bedürfnissen und Anliegen Rechnung getragen werden kann.