Anlässlich der bevorstehenden Bundestagswahl veröffentlicht International Rescue Committee (IRC) Deutschland heute das Forderungspapier „Zukunft gestalten: Engagement für Menschen in Krisenregionen, auf der Flucht und in Deutschland". Das Papier adressiert die Rolle Deutschlands in drei Bereichen: 1) globale humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, 2) Asyl, Aufnahmeprogramme und Zufluchtswege sowie 3) Unterstützung und Teilhabe von Menschen mit Fluchterfahrung in Deutschland.

Um die Zukunft für Menschen in Krisenregionen, auf der Flucht oder in Deutschland nachhaltig zu gestalten, fordert IRC die neue Bundesregierung dazu auf:  

  1. Globale Rechenschaftspflicht stärken und humanitäre Zugänge schützen: Alle verfügbaren Mittel nutzen, um die Einhaltung des humanitären Völkerrechts durchzusetzen, einschließlich des Aussetzens von Waffenexporten in Regionen, in denen das humanitäre Völkerrecht verletzt wird. Zudem sollte die Bundesregierung ihre Expertise und ihr Engagement in der humanitären Diplomatie ausbauen.  
  2. Klimafinanzierung und innovative Ansätze in fragilen Krisenkontexten: Die internationale Klimafinanzierung signifikant erhöhen und für Menschen in klimagefährdeten und konfliktbetroffenen Ländern gerecht umsetzen, sowie sichere Aufnahmewege für durch den Klimawandel vertriebene Menschen schaffen. 
  3. Humanitäre Hilfe und Entwicklungspolitik in fragilen Krisenkontexten: Weiterhin das 0,7-Prozent-Finanzierungsziel einhalten, kosteneffiziente und qualitativ hochwertige humanitäre Hilfe und Entwicklungsfinanzierung bereitstellen, die den Bedarfen von Gemeinschaften in fragilen Krisenkontexte sowie marginalisierter Gruppen gerecht wird. 
  4. Stärkung und Teilhabe von Frauen und marginalisierten Gruppen: Feministische Ansätze in der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit konsequent umsetzen, lokale Frauenrechtsorganisationen stärker unterstützen und deren Finanzierung ausbauen. Zudem sollte in Deutschland die politische Teilhabe von Menschen mit Migrationshintergrund durch mehr Repräsentation und eine Wahlrechtsreform gestärkt werden. 
  5. Humanitäre Aufnahme, geregelte Zufluchtswege und Familiennachzug: Humanitäre Visa, Aufnahmeprogramme und das Resettlement-Programm ausbauen und so besonders schutzbedürftigen und individuell verfolgten Menschen einen sichereren Zugangsweg nach Deutschland ermöglichen. Die Verfahren sollten, ebenso wie der Familiennachzug, transparenter und effizienter gestaltet werden. 
  6. Recht auf Asyl und Umsetzung der GEAS-Reform: Den Zugang zum Asylverfahren gewährleisten und Geflüchteten eine Verfestigung ihres Aufenthalts ermöglichen. In diesem Sinne sollte die GEAS-Reform menschenrechtskonform umgesetzt und ein angemessener Solidaritätsbeitrag geleistet werden, um die Aufnahmestrukturen in den Erstankunftsländern zu entlasten. Migrationsabkommen sollten stets an die Einhaltung von menschenrechtlichen Standards geknüpft werden. 
  7. Teilhabe in frühkindlicher und schulischer Bildung: Den Zugang zu qualitativ hochwertiger und diskriminierungsfreier Bildung für geflüchtete Kinder ab ihrer Ankunft in Deutschland sicherstellen. Dies beinhaltet den Abbau von Zugangsbarrieren zu Betreuungsplätzen, die Sensibilisierung pädagogischer Fachkräfte für Diversität und die Bereitstellung von Betreuungsplätzen außerhalb von Unterbringungseinrichtungen. 
  8. Arbeitsmarktintegration: Binnen drei Monaten Arbeitserlaubnisse für alle Schutzsuchenden ausstellen, die Anerkennung von beruflichen Kompetenzen beschleunigen und Angebote für Sprachkurse ausbauen. Zur Beschäftigung und Ausbildung dieser Zielgruppen müssen Arbeitgebende unterstützt werden. 
  9. Schutz vor Menschenhandel: Menschenhandel präventiv entgegentreten sowie betroffenen Geflüchteten ein sicheres Umfeld in Deutschland ermöglichen. Dies schließt die verbesserte Identifizierung von Opfern aus Drittstaaten, die Beseitigung von Sicherheitsmängeln im Hilfesystem und die Einhaltung internationaler Verpflichtungen ein. 

Corina Pfitzner, Geschäftsführerin IRC Deutschland, sagt: 

„Mit der bevorstehenden Bundestagswahl werden die Weichen für die Zukunft Deutschlands und unserer Rolle in der Welt gestellt. Die derzeitigen Entwicklungen im Wahlkampf sind besorgniserregend: Wir erleben die Normalisierung populistischer und menschenfeindlicher Rhetorik, die Verschärfung von Migrationspolitik sowie den Rückzug aus der Verantwortung für globale Themen wie Klimaschutz und Armutsbewältigung. Die Diskussionen laufen den Grundprinzipien unserer Demokratie und unserem Einfluss in der Welt zuwider. An erster Stelle steht dabei: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und damit auch das Recht eines jeden Menschen, frei und sicher zu leben. 

Eine regelbasierte und multilaterale Weltordnung, die universelle Gültigkeit der Menschenrechte und das Recht auf Asyl – diese Grundwerte sind in aufgeheizten Debatten leicht als abstrakt abzutun, wirken sich aber konkret auf das Leben vieler Menschen aus, ob in Krisengebieten, auf der Flucht oder in Deutschland. Die Ursachen für die Klimakrise, bewaffnete Konflikte oder die schwache Weltwirtschaft sind verknüpft und deren Lösung muss gemeinsame Aufgabe der internationalen Gemeinschaft sein. Die Bundesregierung sollte sich mit Vernunft und lösungsorientiertem Handeln einbringen, in der Welt und Zuhause. 

Deutschland steht vor der Frage, wer wir sein wollen und welche Werte für unsere Gesellschaft unverhandelbar sind. Demokratische Parteien dürfen nicht dazu beitragen, die Situation von Menschen mit Flucht- oder Migrationshintergrund weiter zu verschärfen. Andernfalls rütteln sie an den Grundpfeilern unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung und stellen die Universalität der Menschenrechte in Frage. Wir riskieren eine Zweiklassengesellschaft, die systematisch Menschen mit Flucht- oder Migrationserfahrungen abwertet. Und das geht in die genau falsche Richtung: Die neue Bundesregierung sollte sich für eine stabile, sichere und nachhaltige Zukunft für alle Menschen einsetzen.“