Die Bundesregierung muss eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten in der EU ermöglichen.

Vor drei Jahren, am 23. September 2020, stellte die Europäische Kommission den EU-Pakt zu Migration und Asyl vor. Er sollte den politischen Stillstand bei der Reform des  Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) überwinden und ein faires System einführen, bei dem die Mitgliedstaaten gemeinsam Verantwortung für die Menschen übernehmen, die an den EU-Außengrenzen ankommen. Die bisherigen Reformvorschläge wurden von der Bundesregierung als historischer Erfolg verbucht aber insbesondere von der Zivilgesellschaft und auch von International Rescue Committee scharf kritisiert.  

Die Regierungen der EU-Mitgliedsstaaten kommen erneut zusammen, um die noch offenen Fragen in Hinblick auf die GEAS-Reform zu klären. Dazu gehört die sogenannte Krisenverordnung, zu der auch aufgrund des Einspruchs der Bundesregierung eine ausreichende Mehrheit bisher nicht zustande kam. Begründet hatte die deutsche Regierung ihre Entscheidung mit dem drastischen Absenken der Verfahrens- und Aufnahmestandards durch die Verordnung. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung den Kurs hält und so eine weitere Aushöhlung der asylrechtlichen Standards in der EU abwendet. Denn die Krisenverordnung würde den Mitgliedstaaten einen großen Ermessensspielraum einräumen, wodurch von der eigentlich angestrebten Vereinheitlichung des EU-Asylsystems abgerückt wird und Menschen- und Asylrechte weiterhin missachtet werden. Zum Ende der Verhandlungen warnt International Rescue Committee (IRC), dass Elemente der GEAS-Reform die EU-Asyl- und Migrationspolitik für die kommenden Jahre in die falsche Richtung lenken könnten.  

Es ist besorgniserregend, dass die Reform des europäischen Asylsystems in der aktuellen deutschen Diskussion parteipolitisch instrumentalisiert wird. Diese Debatten werden auf dem Rücken von Menschen ausgetragen, die in Deutschland und Europa Schutz vor Kriegen, Verfolgung und anderen lebensbedrohlichen Situationen suchen. Die langjährigen Erfahrungen von IRC zeigen, dass die Bedrohungslage für viele Menschen im Herkunftsland oftmals so drastisch ist, dass sie die lebensgefährliche Flucht nach Europa und zum Teil menschenrechtsverletzende Aufnahmedingungen in der EU in Kauf nehmen müssen.   

Corina Pfitzner, Leitung IRC Deutschland, kommentiert: 

“Mit großer Sorge betrachten wir die gefährliche Verschiebung im asylpolitischen Diskurs in Deutschland. Unsere Leitlinie in der aktuellen Diskussionen über Obergrenzen muss das individuelle Recht sein, Asyl zu beantragen. Dass das Recht auf Asyl sowohl im Grundgesetz als auch im europäischen und Völkerrecht geschützt wird, ist eine unserer größten Errungenschaften. Wir erleben großes zivilgesellschaftliches Engagement und einen gesellschaftlichen Konsens für die Aufnahme und Integration von Geflüchteten. Wir fordern die Bundesregierung dazu auf, eine menschenwürdige Aufnahme von Geflüchteten in der EU zu ermöglichen, durch: 

  1. Eine vorausschauende, progressive und humanitäre Einwanderungs- und Integrationspolitik, die aufbauend auf Erfahrungen der letzten Jahre erforderliche Maßnahmen ergreift und Kommunen entlastet. 
  2. Den Einsatz auf europäischer Ebene für geltende Rechtsstandards für Geflüchtete, den Zugang zu einem fairen und humanen Asylsystem, sowie einem unabhängigen Monitoring von Rechtsverstößen. In diesem Kontext appellieren wir insbesondere auch für die Ablehnung der Krisenverordnung.
  3. Die Unterstützung von angemessenen Aufnahmebedingungen an den EU-Außengrenzen und solidarische Verteilungsmechanismen unter den Mitgliedsstaaten. 

Die Bundesregierung steht am Donnerstag vor einer richtungsweisenden Entscheidung, die den zukünftigen Kurs in Hinblick auf das Recht auf Asyl festlegt. Auch wenn das europäische Asylsystem in der Umsetzung aktuell starke Mängel aufweist, ist das Herabsenken rechtlicher Standards der falsche Schritt. Stattdessen brauchen wir ein Asylsystem, das allen zugutekommt: den Menschen auf der Suche nach Sicherheit und den EU-Staaten, die einen gut organisierten Umgang mit Neuankommenden fordern.”