Angesichts der anhaltenden humanitären Katastrophe in Gaza und des israelischen Vormarsches auf Rafah, dem letzten Zufluchtsort für mehr als 1,5 Millionen palästinensische Zivilist*innen, sind die unterzeichnenden Hilfsorganisationen zutiefst besorgt über die derzeitige und mögliche zukünftige Aussetzung der Finanzierung des UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA). In einer Zeit, in der in Gaza eine Hungersnot droht und sich Krankheitsausbrüche verschlimmern, sind mehr als zwei Millionen Zivilist*innen, die Hälfte davon Kinder, auf die Hilfe von UNRWA angewiesen. Die Aussetzung der Finanzierung der für Zivilist*innen wichtigsten Hilfsorganisation wird sich auf die lebensnotwendige Hilfe für über zwei Millionen Zivilist*innen auswirken.

Wir fordern die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, anzuerkennen, dass andere Hilfsorganisationen die zentrale Rolle von UNRWA in der humanitären Hilfe in Gaza nicht ersetzen können. Viele andere Organisationen werden in der derzeitigen Krise ohne die Partnerschaft und Unterstützung von UNRWA kaum in der Lage sein, ihre Tätigkeit aufrechtzuerhalten. Angesichts der Dringlichkeit der Lage steigt das Risiko eines völligen Zusammenbruchs der bereits eingeschränkten humanitären Hilfe, der zu vermeidbaren Verlusten an Menschenleben in Gaza führen wird.

Die schwerwiegenden Anschuldigungen der israelischen Behörden, wonach zwölf UNRWA-Mitarbeitende direkt an den Angriffen vom 7. Oktober 2023 beteiligt waren, müssen gründlich untersucht werden. In Zukunft muss volle Transparenz und Rechenschaftspflicht gewährleistet sein. Die Untersuchung und die anschließenden Maßnahmen zur Rechenschaftslegung dürfen jedoch nicht die wichtige, lebensrettende Arbeit von UNRWA in Gaza und in der gesamten Region beeinträchtigen.

UNRWA ist der größte Geber humanitärer Hilfe im Gazastreifen. Die humanitäre Rolle von UNRWA ist in dieser Krise unverzichtbar einschließlich, aber nicht beschränkt auf, der Bereitstellung von Gesundheits- und Bildungsdiensten, der Versorgung mit Nahrungsmitteln und Wasser, psychosoziale Unterstützung sowie Abfallbewirtschaftung. Diese Arbeit kann durch keine andere Hilfsorganisation auch nur annähernd ersetzt werden. Andere Nichtregierungsorganisationen (NROs) haben deutlich gemacht, dass sie nicht in der Lage sind, die Rolle von UNRWA zu ersetzen oder zu übernehmen, vor allem nicht in der derzeitigen Krise. Darüber hinaus ist der weitere Betrieb von UNRWA für die eigene lebensrettende Arbeit anderer NROs unerlässlich. 

Wie der EU-Außenbeauftrage Josep Borrell am 4. Februar 2024 betonte, ist UNRWA eine entscheidende Lebensader für Millionen von Palästinenser*innen. UNRWA beschäftigt in Gaza mehr als 13.000 Mitarbeitende, von denen seit Beginn der Kämpfe 158 getötet worden sind. Jede Unterbrechung oder Aussetzung der Finanzierung stellt auch die Mission von UNRWA und die mehr als 30.000 Mitarbeitenden in der gesamten Region vor schwerwiegende Probleme. Das Hilfswerk unterstützt mehr als fünf Millionen palästinensische Geflüchtete, die innerhalb und außerhalb des besetzten palästinensischen Gebiets leben. Es ist unbedingt erforderlich, dass die Geber ihre Unterstützung für UNRWA schnellstmöglich wieder aufnehmen, um in dieser kritischen Zeit der humanitären Hilfe für Gaza nicht zu schaden.

Über eine Million vertriebene Palästinenser*innen sind in UNRWA-Einrichtungen in Gaza untergebracht. Die 13.000 UNRWA-Mitarbeitenden in Gaza übersteigen bei weitem die kollektiven Kapazitäten des übrigen humanitären Sektors in dem Gebiet. Ihre Rolle bei der Förderung und Bereitstellung lebensrettender humanitärer Hilfe in großem Umfang in dieser Krise war heldenhaft. Die Versorgung mit lebenswichtigen Unterkünften, Nahrungsmitteln und grundlegenden Dienstleistungen wie sanitären Einrichtungen sowie die Nutzung der Infrastruktur durch andere Hilfsorganisationen durch UNRWA ist unersetzlich.

UNRWA-Mitarbeitende sind seit Monaten mit nahezu unmöglichen Bedingungen konfrontiert: Zusätzlich zu den 158 UNRWA-Mitarbeitenden, die während der anhaltenden Kriegshandlungen getötet wurden, sind mindestens 404 Menschen in UNRWA-Unterkünften getötet worden; fast 1.400 wurden verletzt und 155 UNRWA-Einrichtungen wurden beschädigt. Die UNRWA-Mitarbeitenden arbeiten trotz dieser beispiellosen Gewalt weiter für ihre Gemeinschaft. 

Die Aussetzung der Finanzierung wird weitere regionale Auswirkungen haben, die sorgfältig berücksichtigt werden müssen. Neben der Arbeit in Gaza ist UNRWA an vier weiteren Standorten tätig (Westjordanland inklusive Ostjerusalem, Libanon, Syrien, Jordanien), wo das Hilfswerk wichtige Dienstleistungen wie Bildung und Gesundheitsversorgung erbringt.

Die unterzeichnenden NROs fordern die EU und ihre Mitgliedstaaten auf, ihre Unterstützung für die lebenswichtige Arbeit von UNRWA und seiner Partner zu bekräftigen und den Palästinenser*innen zu helfen, eine der schlimmsten humanitären Katastrophen unserer Zeit zu überleben. Die Rechenschaftspflicht ist von entscheidender Bedeutung, und eine strenge und glaubwürdige Untersuchung der Vorwürfe sollte unterstützt werden. Dies kann und muss jedoch ohne weitere Zerstörung der Zivilbevölkerung im Gazastreifen erreicht werden.

Marta Welander, EU-Advocacy Direktorin, International Rescue Committee sagt:

Die Finanzierung von UNRWA einzustellen, würde nicht nur das Rückgrat der humanitären Hilfe für 2,2 Millionen Palästinenser*innen im Gazastreifen, sondern auch für die gesamte Region dramatisch schwächen. Insgesamt betreut UNRWA fast sechs Millionen palästinensische Geflüchtete in Gaza, im Westjordanland, in Jordanien, im Libanon und in Syrien. Trotz der lebenswichtigen Arbeit von UNRWA wurden die Mittel in den letzten Jahren bereits gekürzt. Jetzt warnt das Hilfswerk, dass seine Programme im Libanon Ende März eingestellt werden müssten. Angesichts des enormen Umfangs der Arbeit von UNRWA in der Region wären andere Hilfsorganisationen nicht in der Lage, diese Lücke zu schließen. Es ist unbedingt erforderlich, dass die EU und ihre Mitgliedstaaten ihre Unterstützung für die lebensrettende Arbeit des UNRWA bekräftigen. Wenn sie dies nicht tun, werden noch mehr Menschen unnötig leiden sowohl in Gaza als auch darüber hinaus."

 

Unterzeichnende Organisationen: