Berlin, 13. Oktober 2023 — Seit dem 7. Oktober verstößt die schreckliche Gewalt in Israel und dem besetzten Palästinensischen Gebiet grundlegend gegen die Normen der Menschlichkeit. International Rescue Committee (IRC) ist bestürzt über die steigende Anzahl an Zivilist*innen und die Zerstörung von Wohnhäusern und öffentlicher Infrastruktur. Mehr als 1.300 Menschen in Israel wurden durch Raketenangriffe auf Wohngebiete und Gewaltakte in zivilen Gemeinden getötet. Es gibt Berichte über fast zweihundert Geiselnahmen. Luftangriffe auf Schulen, Gesundheitseinrichtungen und Wohngebiete im dicht besiedelten Gaza haben mindestens 2.200 Palästinenser*innen das Leben gekostet.
Diese Zahlen werden weiter steigen, wenn die Gewalt kein Ende findet. Mehr als 420.000 Palästinenser*innen wurden vertrieben, doch haben keine Möglichkeit, sich in Sicherheit zu bringen. Zwei Drittel von ihnen haben Zuflucht in 92 UNRWA-Schulen gesucht – es handelt sich um die größte Vertreibung in Gaza seit 2014.
Die Gewalt führt zusammen mit dem eingeschränkten Zugang für humanitäre Hilfe und Hilfslieferungen zu einer immensen humanitären Krise im besetzten Palästinensischen Gebiet. Gaza steht seit 16 Jahren unter einer strengen Blockade. Achtzig Prozent der dort lebenden 2,2 Millionen Menschen (die Hälfte davon Kinder) waren bereits auf humanitäre Hilfe angewiesen, um ihr Überleben zu sichern. Die Bevölkerung steht nun unter Belagerung: Strom, Treibstoff, Lebensmittel und Wasser gelangen nicht mehr ins Land und Menschen dürfen weder ein- noch ausreisen. Krankenhäuser in Gaza können schon jetzt kaum das Ausmaß der Verletzungen bewältigen und Vorräte fehlen. Wenn die Treibstoffreserven aufgebraucht sind, werden Ärzt*innen und Krankenpfleger*innen nicht mehr in der Lage sein, kranke und verletzte Menschen zu behandeln. Eltern werden Lebensmittel und Wasser für ihre Kinder ausgehen.
Das Humanitäre Völkerrecht ist unmissverständlich: Zivilist*innen muss der Zugang zu humanitärer Hilfe gewährt werden. Die Besatzungsmächte sind dafür verantwortlich, dass das Überleben der Zivilbevölkerung angemessen gesichert ist. Die Belagerung muss aufgehoben werden. Geiseln müssen freigelassen werden. Menschenleben dürfen nicht als Druckmittel für Verhandlungen eingesetzt werden.
Am Abend des 12. Oktober meldeten die Vereinten Nationen den Erhalt eines Befehls durch Israel, der sie zur Evakuierung von über einer Million Palästinenser*innen aus Nord-Gaza in weniger als 24 Stunden aufforderte. Diesen Befehl haben die Vereinten Nationen jedoch als unmöglich bezeichnet. Sollte er durchgesetzt werden, werde das humanitäre Leid nur noch verschlimmert. Die Zivilbevölkerung muss frei entscheiden können, zu fliehen oder zu bleiben. Diejenigen, die nicht in der Lage oder nicht bereit sind, ihre Häuser zu verlassen, müssen Schutz erhalten.
Die Art und Weise, wie Krieg und bewaffneter Konflikt geführt werden, ist entscheidend. Das Humanitäre Völkerrecht enthält klare Regeln, die eindeutig den Schutz von Zivilist*innen, humanitären Helfer*innen und ziviler Infrastruktur in allen Konfliktgebieten vorgeben. Es schützt den Zugang zu humanitärer Hilfe für die Zivilbevölkerung. Diesen Regeln zu folgen ist nicht optional. Es gibt keine Rechtfertigung, von ihnen abzuweichen. Die internationale Gemeinschaft darf Angriffe auf Zivilist*innen und zivile Infrastruktur unter keinen Umständen normalisieren. IRC fordert einen sofortigen diplomatischen Prozess, um sicherzustellen, dass alle Beteiligten diese grundlegenden Regeln einhalten – zum Schutz der Zivilbevölkerung in Gaza und Israel, und um der Aufhebung von Normen und Regeln entgegenzuwirken, die weltweit für den Schutz von Zivilist*innen unabdingbar sind.
Durch Abkehr von diesen globalen Verpflichtungen und das Wegschauen bei Angriffen auf Zivilist*innen und zivilen Infrastrukturen besteht die Gefahr, dass ein Verhalten normalisiert wird, das unter keinen Umständen toleriert werden darf.
David Miliband, Präsident und CEO von IRC, sagt:
„Die Schrecken der letzten Woche rütteln an den Grundfesten der humanitären Hilfe und der Menschlichkeit selbst. Das Kriegsrecht wurde entwickelt, um Zivilist*innen in Konflikten zu schützen, und es muss zwingend eingehalten werden. Das Humanitäre Völkerrecht ist die Lehre früherer Generationen, wie schlimmsten Folgen des Krieges möglichst gering zu halten sind, und ich appelliere, es zu einzuhalten."
IRC fordert die internationale Gemeinschaft dringend dazu auf:
Zu gewährleisten, dass die Konfliktparteien das Humanitäre Völkerrecht einhalten und alle möglichen Schritte unternehmen, um:
Die Zivilbevölkerung vor weiteren negativen Auswirkungen zu schützen: Alle Konfliktparteien müssen ihre völkerrechtlichen Verpflichtungen einhalten und den Schutz der Zivilbevölkerung nach internationalem Menschenrecht und Humanitärem Völkerrecht gewährleisten. Angesichts der dichten Besiedlung in Gaza sollten die Konfliktparteien auf den Einsatz von Explosivwaffen mit großem Wirkungsradius in bevölkerten Gebieten verzichten, damit die Zivilbevölkerung keinen weiteren Schaden nimmt.
Zivile Infrastruktur zu schützen: Das Humanitäre Völkerrecht verpflichtet bewaffnete Gruppen, vor einem Angriff alle möglichen Vorkehrungen zu treffen, um unbeabsichtigte Schäden an der Zivilbevölkerung und der zivilen Infrastruktur zu vermeiden bzw. so gering wie möglich zu halten. Angriffe, die Zivilist*innen und ziviler Infrastruktur unverhältnismäßig stark schaden, sind ebenfalls verboten. Krankenhäuser und Kliniken, in denen Verwundete behandelt werden, sowie Schulen und andere Gebäude, die als Unterkünfte für Binnenvertriebene dienen, zählen zur geschützten zivilen Infrastruktur, deren Schutz respektiert werden muss.
Sicheren und sofortigen Zugang für humanitäre Hilfe über alle Zugangswege zu gewährleisten: Humanitäre Organisationen in Gaza berichten von einer humanitären Krise noch nie dagewesenen Ausmaßes. Die Grenzübergänge nach Gaza, einschließlich der ägyptischen Stadt Rafah, müssen geöffnet werden, damit humanitäre Güter und Helfer*innen die betroffenen Gemeinden sicher erreichen können. Ebenso sollten betroffenen Menschen die Möglichkeit haben, über sichere Routen zu fliehen, wenn sie sich selbst dazu entscheiden.
Humanitäre Helfer*innen zu schützen: Im Einklang mit dem Humanitären Völkerrecht müssen die Helfer*innen, die in Gaza humanitäre Hilfe leisten, geschützt und unterstützt werden.
Alle Maßnahmen aufzuheben, die der Zivilbevölkerung überlebenswichtige Versorgung vorenthalten, einschließlich der sofortigen Wiederherstellung der Wasser- und Stromversorgung in Gaza. Belagerungen, die der Zivilbevölkerung überlebenswichtige Versorgung vorenthalten, sind nach dem Humanitären Völkerrecht verboten. Ein Krieg kann nicht geführt werden, indem Zivilist*innen der grundlegenden Versorgung beraubt werden und sie können nicht für das verantwortlich gemacht werden, was Streitkräfte an ihren Wohnorten anrichten.
Den Aufruf von Unicef zu unterstützen, die Gewalt durch eine Kampfpause zu unterbrechen, damit Hilfsorganisationen die Zivilbevölkerung erreichen können.
Die Finanzierung der humanitären Hilfe aufzustocken. Geber sollten umgehend Mittel für die humanitäre Hilfe und die hilfeleistenden Organisationen vor Ort zur Verfügung stellen. IRC fordert Geber dringend auf, Finanzierungen nicht zu stoppen oder auszusetzen, da die Bedarfe ständig weiter steigen.