Svitlana aus der Ukraine und Justyna aus Polen waren in ihrer Heimat erfolgreiche Geschäftsfrauen. In Deutschland mussten sie ganz von vorne anfangen. Durch die Teilnahme am „Resilient Futures“-Projekt, das IRC gemeinsam mit der Citi Foundation umsetzt​,  lernten sich die beiden Frauen kennen und unterstützen sich seitdem auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit. Trotz aller Herausforderungen motivieren sie sich gegenseitig, ihre Träume zu verwirklichen.

Freundschaft als Fundament für den Neuanfang

Svitlana und Justyna treffen sich regelmäßig bei ihrem Lieblingsitaliener in der Frankfurter Innenstadt. Nur ein paar Straßen weiter haben sie sich vor einigen Monaten im Rahmen des Programms „Resilient Futures“​ kennengelernt. Das Programm in Frankfurt richtet sich an Frauen, die nach Deutschland geflüchtet oder zugewandert sind und ein eigenes Unternehmen gründen wollen. „Die Chemie zwischen uns hat auf Anhieb gestimmt“, sagt Justyna über ihre Freundschaft mit Svitlana. Die beiden Frauen verfolgen unterschiedliche Ziele: Svitlana sprüht vor kreativen Ideen und träumt davon, als Expertin für künstliche Intelligenz in den sozialen Medien durchzustarten. Justyna leitete vor ihrem Umzug nach Deutschland eine erfolgreiche Personalvermittlung in Polen. Sie möchte ihre Erfahrungen nutzen, um auch in Deutschland Fachkräfte zu rekrutieren, an denen es vielerorts mangelt. Für beide ist Freundschaft eine große Stütze auf dem Weg zum Erfolg, denn Svitlana und Justyna meisterten in ihrem Leben bereits viele Herausforderungen.

Svitlana: Von der Juristin zur KI-Expertin

Als Svitlana aus der Ukraine floh, hatte sie nur eine Tasche bei sich. In ihrer Heimat war sie eine erfolgreiche Juristin, in Deutschland musste sie sich alles erst aufbauen. Während der Corona-Pandemie entdeckte sie ihre Leidenschaft für Videoproduktion und Social Media.  Ihren ersten YouTube-Kanal eröffnete sie 2020. Bei ihrer Flucht musste sie ihre Videoausrüstung in der Ukraine zurücklassen. Anstatt aufzugeben, wurde Svitlana erfinderisch: Sie begann, sich mit künstlicher Intelligenz (KI) zu beschäftigen, und erkannte das Potenzial der neuen Technologie. Heute erstellt Svitlana mit Hilfe von KI kreative Videos, ganz ohne teure Ausrüstung. In ihren Youtube-Tutorials stellt sie ihren Follower*innen die neuesten Programme vor und zeigt Unternehmen, wie sie KI für ihre Online-Präsenz nutzen können.

Svitlana glaubt fest daran, dass sie mit dieser Idee ein erfolgreiches Unternehmen gründen kann. Doch in Deutschland bekommt sie viel Gegenwind. Viele Bekannte rieten ihr, lieber als Angestellte zu arbeiten, anstatt sich selbstständig zu machen. „Es war nicht schön zu hören, dass andere nicht an einen glauben, wenn man etwas so sehr will”, erinnert sich Svitlana. Aber sie gibt nicht auf: „Wenn mir jemand sagt, ‘Du kannst das nicht’, dann tue ich alles, um der Person das Gegenteil zu beweisen.“ Bei „Resilient Futures“ hat Svitlana Menschen kennengelernt, die an ihre Vision glauben und sie auf ihrem Weg in die Selbstständigkeit begleiten.

„Ich kam mit nur einer Tasche nach Deutschland, ohne Geld, ohne Familie, ohne alles. Die Menschen, die ich im Kurs kennengelernt habe, sind für mich zu einer Art Familie geworden. Sie waren immer freundlich, haben mich unterstützt - als Frau, als Mensch, in allem. Das war unglaublich wichtig für mich und hat mich sehr geprägt. Das hat mir Kraft gegeben. Wenn man sieht, wie andere Frauen um einen herum erfolgreich sind, fühlt man sich inspiriert und erkennt, dass man selbst ein Teil dieses Erfolgs sein kann. Die Kurse haben mich motiviert und mir gezeigt, dass ich das Zeug dazu habe. Jeden Tag bin ich mit einer neuen Idee nach Hause gegangen.“

Svitlana nimmt ein neues Video für ihre Social-Media-Kanäle auf.
Svitlana nimmt ein neues Video für ihre Social-Media-Kanäle auf.
Foto: Hannah Belina/IRC

Justyna: Von der Unternehmerin zur Tellerwäscherin und wieder zurück

Eine der Frauen, die Svitlana im Kurs kennenlernte, war Justyna. Auch für sie war der Start in Deutschland alles andere als leicht. Justyna kam vor acht Jahren nach einer schwierigen Scheidung von Polen nach Deutschland. In Polen leitete sie erfolgreich ihr eigenes Unternehmen und rekrutierte mehr als 4.000 Arbeitskräfte für deutsche Bauunternehmen, aber auch Mitarbeitende in der Pflege. In Deutschland musste sie ganz von vorne anfangen und fand sich zunächst in Jobs als Tellerwäscherin oder am Fließband in einer Fabrik wieder. „Ich fühlte mich auf jeden Fall beruflich degradiert”, sagt Justyna über diese Zeit. Als alleinerziehende Mutter arbeitete sie in drei Jobs gleichzeitig und lernte zusätzlich Deutsch. Durch eine Anstellung als Re­crui­te­rin gewann sie schließlich das Vertrauen in ihre Fähigkeiten zurück. Doch insgeheim hatte sie den Wunsch, wieder ein eigenes Unternehmen zu führen, nie aufgegeben. Kurzerhand meldete Justyna sich für das Programm „Resilient Futures“ an.

Dort erarbeitete sie Businesspläne und Pitches für ihre Ideen. Die Teilnehmenden lernten auch die bürokratischen Hürden in Deutschland zu meistern. Vor einem Monat wagte sie schließlich den Schritt und arbeitet nun Vollzeit in ihrem eigenen Unternehmen. Dieses rekrutiert Pflegekräfte, Hotelangestellte und Bauarbeiter*innen aus Polen und anderen Ländern für den deutschen Arbeitsmarkt. 

„Ich möchte den Menschen helfen, einen guten Job zu finden und den Unternehmen helfen, die richtigen Mitarbeitenden zu finden. Ich glaube, dass fast jede Bewerbung gut ist. Man muss nur die Stärken der Menschen erkennen und herausfinden, wo genau sie reinpassen, denn jeder Mensch kann etwas, wenn der Wille und der Einsatz da sind. Wir brauchen Reinigungskräfte und Ingenieur*innen. Es ist wie in einem Krankenhaus: Wenn die Reinigungskraft das Bett nicht macht, können keine Patient*innen aufgenommen werden. Ohne die haben die Krankenpfleger*innen nichts zu tun und dann können auch die Ärzt*in nicht arbeiten. Jede Person ist wichtig.“

Justyna in ihrem Garten.
Justyna ist gerade auf der Suche nach eigenen Büroräumen. Bis es soweit ist, arbeitet sie am liebsten in ihrem Garten.
Foto: Hannah Belina/IRC

Resilient Futures: Sprungbrett in die Selbständigkeit

Für Menschen wie Justyna und Svitlana wurde das Programm „Resilient Futures” von IRC und der Citi Foundation entwickelt. Es richtet sich an angehende Unternehmer*innen, die eine große Vision und viel Mut haben, aber in ihrer neuen Heimat erst noch Fuß fassen müssen. Das Programm bietet umfassende Schulungen, Startkapital und Beratung, um den Teilnehmer*innen die Gründung und den Ausbau eigener Unternehmen zu ermöglichen. In Deutschland wird der Kurs in Zusammenarbeit mit Jumpp und AAU durchgeführt, zwei gemeinnützige Vereine in Frankfurt am Main und Nürnberg, die Menschen mit Fluchterfahrung bei der Gründung ihrer Unternehmen in Deutschland unterstützen.

In dem mehrwöchigen Kurs lernen die Teilnehmer*innen nicht nur wichtige Fähigkeiten wie das Schreiben von Businessplänen, das Aufstellen von Finanzplänen und wie man in Deutschland ein Unternehmen gründet, sondern treffen auch Gleichgesinnte und können anfangen, ein berufliches Netzwerk aufzubauen. 

„In meinem Umfeld gibt es nur wenige Menschen, die in der Geschäftswelt aktiv sind. Deshalb ist es so wichtig, Menschen zu treffen, die die gleiche Denkweise und die gleichen Überzeugungen haben. Dann fühlt man sich besser verstanden. Ich habe wertvolle Bekanntschaften gemacht und eine tolle Kooperationspartnerin gefunden. Wir ergänzen unsere Fähigkeiten, um gemeinsam größer und stärker zu werden“, betont Justyna.

Gegenseitige Unterstützung

Svitlana und Justyna haben erkannt, dass sie sich gegenseitig stärken können: Svitlana hilft Justyna bei der Gestaltung ihrer Website und ihrer Visitenkarten. Gleichzeitig steht Justyna Svitlana bei rechtlichen und bürokratischen Fragen bei. Ihre regelmäßigen Treffen sind nicht nur geschäftlich, sondern auch emotional eine wichtige Unterstützung. Beide hatten Momente, in denen es einfacher schien, aufzugeben und sich mit einer Angestelltenposition zufrieden zu geben. Genau in diesen Momenten sind ihre regelmäßigen Treffen so wichtig, denn sie ermutigen einander, nicht aufzugeben. „Ich lasse Justyna nicht müde werden“, lacht Svitlana. 

Mit ihrer Geschichte wollen die beiden anderen Frauen Mut machen, auch nach einer Lebenskrise und Flucht nicht den Glauben an die eigenen Fähigkeiten zu verlieren.

„Die Botschaft, die ich allen Frauen mitgeben möchte, ist: Glaubt an Euch! Es geht darum, die richtigen Menschen zu finden, die einem ein bisschen mehr Motivation geben und zeigen, was alles möglich ist. Wir sind alle stark. Wir müssen nur an uns glauben, denn alles ist möglich.“, sagt Justyna.

Zwei Frauen umarmen sich in der Stadt.
Svitlana und Justyna glauben aneinander und geben sich gegenseitig Halt.
Foto: Hannah Belina/IRC

Visionen für die Zukunft

Justyna plant demnächst ein eigenes Büro in Frankfurt zu eröffnen, während Svitlana bald auch außerhalb von Youtube KI-Workshops für Unternehmen anbieten möchte. Durch das Resilient-Futures-Programm haben die beiden nicht nur ihre beruflichen Träume verwirklicht, sondern auch eine starke Freundschaft aufgebaut, die sie auf ihrem Weg stärkt. 

Zwei Frauen schauen in die Ferne, im Hintergrund die Stadt.
Ihre Freundschaft hilft den beiden Frauen, mutig in die Zukunft zu blicken.
Foto: Hannah Belina/IRC

Die Geschichten der beiden Frauen zeigen, wie groß das Potenzial von Frauen mit Migrationshintergrund auf dem deutschen Arbeitsmarkt ist, wenn man ihnen die richtigen Chancen und Unterstützung bietet, um ihre Ideen zu verwirklichen. Mit Programmen wie Resilient Futures unterstützt IRC Menschen, die neu in Deutschland sind, dabei, nach Flucht und Krisen wieder auf eigenen Beinen zu stehen und sich ein neues Leben aufzubauen.

Erfahre, wie IRC mit dem „Resilient-Futures“-Programm Geflüchteten und anderen Schutzsuchenden in Griechenland, Nigeria, Jordanien, Kamerun, Libanon und Deutschland dabei hilft, ein eigenes Unternehmen aufzubauen und finanzielle Eigenständigkeit zu erreichen.