Im Flüchtlingslager Moria auf der griechischen Insel Lesbos leben fast 20.000 Flüchtlinge. Sie flohen vor Krieg, Misshandlung und Verfolgung. Sie riskierten bei der Fahrt über das Mittelmeer ihr Leben. Sie harren seitdem in überfüllten Lagern mit katastrophalen hygienischen Bedingen aus. Nun sind sie einer weiteren Gefahr ausgesetzt: Dem Coronavirus.
Die Anweisungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) zum Schutz vor dem neuartigen Virus SARS-CoV-2 sind deutlich: sich informieren, häufig Händewaschen, körperliche Distanz einhalten, bei ersten Krankheitszeichen sofort medizinische Hilfe einholen. Doch Geflüchtete können diese Ratschläge nur sehr schwer oder gar nicht befolgen. Hier ist, warum:
1. Die Lager sind überfüllt
Moria beherbergt sechs Mal so viele Geflüchtete wie ursprünglich vorgesehen – 20.000 Menschen statt 3.000. Das macht es unmöglich, einen oder zwei Meter Abstand zu anderen zu halten. Sie leben in notdürftigen Zelten oder provisorischen Häusern dicht an dicht, während sie auf den Anhörungstermin im Rahmen ihres Asylverfahrens warten. Viele tun das seit Monaten, manche seit Jahren.
International Rescue Committee fordert deshalb die Europäische Union dazu auf, Menschen von den Inseln auf das griechische Festland umzusiedeln. Dort können sie in angemesseneren Unterkünften leben und sich körperlich voneinander distanzieren.
2. Für alles gibt es Warteschlangen
Menschen in Moria müssen sich alles, was sie zum Leben brauchen, außerhalb ihrer Unterkunft besorgen. Dafür warten sie in enorm langen Schlangen. Wasser holen, duschen, zur Toilette gehen, Lebensmittel besorgen: Hunderte stehen beieinander ohne die Abstandsregel einhalten zu können. Dafür fehlt schlichtweg der Platz. Dazu kommt: Weil das Essen oft knapp ist, kommt es häufig zu Frust. Es wird geschoben und gedrängelt.
„Ich sehe so viele alte Menschen in diesen Warteschlangen. Das macht mich traurig. Viele von ihnen könnten sterben, wenn sich das Coronavirus hier verbreitet.“
3. Es gibt nur begrenzt Wasser
In Moria gibt es nur für ein paar Stunden am Tag Wasser. Bis zu 1.300 Menschen teilen sich dabei einen Hahn. Das Wasser, dass sie dabei zapfen muss für alles reichen: Sie waschen sich selbst damit, ihre Kleidung, Töpfe und Geschirr. Häufiges Händewaschen: Nicht möglich.
Im Lager Kara Tepe auf der Insel Lesbos stellt IRC deshalb sauberes Wasser und Toilettenanlagen zur Verfügung. Außerdem werden Hygiene-Kits mit Seife, Duschgel, Nase-Mund-Masken, Handschuhe und Toilettenpapier verteilt. Im Lager Moria werden die Hygieneeinrichtungen – besonders Toiletten – nun aufgestockt.
4. Es mangelt an medizinischem Fachpersonal
Weltweit geraten Gesundheitssysteme derzeit unter Druck. In wohlhabenden Ländern in Europa oder Nordamerika fehlt es an medizinischem Personal oder auch an persönlicher Schutzausrüstung (PSA). In Flüchtlingslagern wie zum Beispiel Moria ist die Lage weitaus angespannter. Schon jetzt können Geflüchtete aufgrund zu geringer Kapazitäten nur in wenigen Fällen behandelt werden. Eine Ausbreitung von COVID-19 hätte deshalb dramatische Folgen.
5. Verlässliche Informationen sind rar
Weil vieles über den neuartigen Virus SARS-CoV-2 noch nicht bekannt ist, empfiehlt die WHO, dass Menschen sich regelmäßig informieren. In Moria kann das schwierig sein. Gerüchte und Fehlinformationen verbreiten sich schnell. Menschen sind verunsichert. Fragen bleiben unbeantwortet.
IRC beteiligt sich deshalb an Aufklärungsaktivitäten und stellt Informationen über das Coronavirus in mehreren Sprachen zur Verfügung. Dies geschieht im Gespräch unter Einhaltung der persönlichen Schutzmaßnahmen als auch in Form von Broschüren. Das Ziel: Die Menschen sollen verstehen, was das Virus ist und wie sie sich vor einer Ansteckung schützen können. IRC nutzt dazu auch die Plattform Refugee.Info, Facebook-Gruppen und Instant Messaging, um Fragen zum Virus zu beantworten.
Die Menschen, denen wir helfen, erzählen uns, dass das Leben in Moria wie in der Hölle ist. Diese Pandemie macht es noch schlimmer. Wir engagieren uns deshalb auch weiterhin in Programmen zur psychologischen Betreuung. Für viele – vor allem die traumatisierten Geflüchteten – ist das eine überlebenswichtige Unterstützung in diesen schwierigen Zeiten.